schöpfe, Wesen, leiden gewiß noch mehr, vermissen mehr; und müssen ihr Glück immer mehr selbst machen. Ja ich kann mir Regionen denken, wo die Wesen nur Andrer Glück be- reiten und Unglück abwenden. Ist es nicht hier schon so? Das reinste geht in etwas über, was für uns Nichts wird. Daher in allen Philosophieen der Punkt, den die unphiloso- phischen, nicht denkfähigen Menschen so leicht lächerlich finden. Leicht ist dies allerdings; aber nicht so, den Philosophen bis dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu ist kein Instrument im Kopf vorhanden.
Sonntag. Erster Ostertag, den 3. April 1831.
(Mündlich.)
"Ich habe mir nun auch eine Grabschrift erdacht. Sie soll heißen:
Gute Menschen, wenn etwas Gutes für die Mensch- heit geschieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch meiner." --
April, 1831.
Eine groß-bedenkliche Geschichtsansicht habe ich heute Gelegenheit gehabt mir vorzustellen; -- als ich in Familien- angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä- gen hatte.
Als Christus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge- halten wurde, waren seine Ankläger und Verfolger die Herr- schenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem siegenden großen
III. 32
ſchöpfe, Weſen, leiden gewiß noch mehr, vermiſſen mehr; und müſſen ihr Glück immer mehr ſelbſt machen. Ja ich kann mir Regionen denken, wo die Weſen nur Andrer Glück be- reiten und Unglück abwenden. Iſt es nicht hier ſchon ſo? Das reinſte geht in etwas über, was für uns Nichts wird. Daher in allen Philoſophieen der Punkt, den die unphiloſo- phiſchen, nicht denkfähigen Menſchen ſo leicht lächerlich finden. Leicht iſt dies allerdings; aber nicht ſo, den Philoſophen bis dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu iſt kein Inſtrument im Kopf vorhanden.
Sonntag. Erſter Oſtertag, den 3. April 1831.
(Mündlich.)
„Ich habe mir nun auch eine Grabſchrift erdacht. Sie ſoll heißen:
Gute Menſchen, wenn etwas Gutes für die Menſch- heit geſchieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch meiner.“ —
April, 1831.
Eine groß-bedenkliche Geſchichtsanſicht habe ich heute Gelegenheit gehabt mir vorzuſtellen; — als ich in Familien- angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä- gen hatte.
Als Chriſtus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge- halten wurde, waren ſeine Ankläger und Verfolger die Herr- ſchenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem ſiegenden großen
III. 32
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0505"n="497"/>ſchöpfe, Weſen, leiden gewiß noch mehr, vermiſſen mehr; und<lb/>
müſſen ihr Glück immer mehr ſelbſt machen. Ja ich kann<lb/>
mir Regionen denken, wo die Weſen nur Andrer Glück be-<lb/>
reiten und Unglück abwenden. Iſt es nicht hier ſchon ſo?<lb/>
Das reinſte geht in etwas über, was für uns <hirendition="#g">Nichts</hi> wird.<lb/>
Daher in allen Philoſophieen der Punkt, den die unphiloſo-<lb/>
phiſchen, nicht denkfähigen Menſchen ſo leicht lächerlich finden.<lb/>
Leicht iſt dies allerdings; aber nicht ſo, den Philoſophen bis<lb/>
dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies<lb/>
Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu iſt kein Inſtrument<lb/>
im Kopf vorhanden.</p><lb/><dateline><hirendition="#et">Sonntag. Erſter Oſtertag, den 3. April 1831.</hi></dateline></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p><hirendition="#c">(<hirendition="#g">Mündlich</hi>.)</hi></p><lb/><p>„Ich habe mir nun auch eine Grabſchrift erdacht. Sie<lb/>ſoll heißen:</p><lb/><p>Gute Menſchen, wenn etwas Gutes für die Menſch-<lb/>
heit geſchieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch<lb/>
meiner.“—</p><lb/><dateline><hirendition="#et">April, 1831.</hi></dateline></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p>Eine groß-bedenkliche Geſchichtsanſicht habe ich heute<lb/>
Gelegenheit gehabt mir vorzuſtellen; — als ich in Familien-<lb/>
angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä-<lb/>
gen hatte.</p><lb/><p>Als Chriſtus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge-<lb/>
halten wurde, waren ſeine Ankläger und Verfolger die Herr-<lb/>ſchenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem ſiegenden großen<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">III.</hi> 32</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[497/0505]
ſchöpfe, Weſen, leiden gewiß noch mehr, vermiſſen mehr; und
müſſen ihr Glück immer mehr ſelbſt machen. Ja ich kann
mir Regionen denken, wo die Weſen nur Andrer Glück be-
reiten und Unglück abwenden. Iſt es nicht hier ſchon ſo?
Das reinſte geht in etwas über, was für uns Nichts wird.
Daher in allen Philoſophieen der Punkt, den die unphiloſo-
phiſchen, nicht denkfähigen Menſchen ſo leicht lächerlich finden.
Leicht iſt dies allerdings; aber nicht ſo, den Philoſophen bis
dahin zu folgen: und wieder nicht recht von denen, dies
Nichts auch noch erklären zu wollen: dazu iſt kein Inſtrument
im Kopf vorhanden.
Sonntag. Erſter Oſtertag, den 3. April 1831.
(Mündlich.)
„Ich habe mir nun auch eine Grabſchrift erdacht. Sie
ſoll heißen:
Gute Menſchen, wenn etwas Gutes für die Menſch-
heit geſchieht, dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch
meiner.“ —
April, 1831.
Eine groß-bedenkliche Geſchichtsanſicht habe ich heute
Gelegenheit gehabt mir vorzuſtellen; — als ich in Familien-
angelegenheiten, über manche Glieder der meinigen zu erwä-
gen hatte.
Als Chriſtus für einen Ketzer, Frevler und Rebellen ge-
halten wurde, waren ſeine Ankläger und Verfolger die Herr-
ſchenden, Betitelten, Uniformirten, mit dem ſiegenden großen
III. 32
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/505>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.