Weh dem, der mit seinen Einsichten und Gedanken dem Allgemeinen vor ist! Für den kann dies Allgemeine nichts thun: für den wird das nie ein gutes Schicksal. Wie wohl für den, welcher gleich mit ihm steht, oder gar nach! --
Der Denkende, in Wahrheit Erwägende erhält ein anderes Glück, muß es wo anders her sich schaffen; nicht durch ein Allgemeines, Vorhandenes. Aber sein Glück selbst ist etwas Allgemeines; nämlich auf das Höchste sich Beziehendes, von diesem Gespendetes, und darum generell in der Anwendung. Hauptsächlich besteht dies Glück der Forscher und Erwäger darin, daß sie einer ganzen Art von Unglück enthoben wer- den: die Erde nicht als etwas Vereinzeltes anzusehn brauchen; und deren Leben und Empfinden mit -- wenn auch unbe- kannter -- Vergangenheit und Zukunft sich in Zusammenhang vorstellen können: heißt eigentlich, als ein Ganzes. Und die größten Momente des Lebens sind die, wo es auch so empfun- den wird. Solche Momente müssen sich gewiß bis zum hei- ligsten Dasein, dem unantastbaren, immer gleich hohen, stei- gern! --
Stiller Freitag, 1831.
Beschränkt zu sein, das ist nicht genug; wenn wir uns nicht beschränkt machen können. In Ermanglung deß aber, ist sich beschränkt wissen schon ein großer Besitz. Abends dank' ich Gott, daß ich nicht mehr Arges, Verwirrtes weiß, und für jedes bischen Kinderunschuld; die kein Defizit einsehn, nach allem wie nach einem Ganzen greifen, und es glücklich so sehen und zum Genuß gebrauchen kann. -- Höhere Ge-
schöpfe,
Weh dem, der mit ſeinen Einſichten und Gedanken dem Allgemeinen vor iſt! Für den kann dies Allgemeine nichts thun: für den wird das nie ein gutes Schickſal. Wie wohl für den, welcher gleich mit ihm ſteht, oder gar nach! —
Der Denkende, in Wahrheit Erwägende erhält ein anderes Glück, muß es wo anders her ſich ſchaffen; nicht durch ein Allgemeines, Vorhandenes. Aber ſein Glück ſelbſt iſt etwas Allgemeines; nämlich auf das Höchſte ſich Beziehendes, von dieſem Geſpendetes, und darum generell in der Anwendung. Hauptſächlich beſteht dies Glück der Forſcher und Erwäger darin, daß ſie einer ganzen Art von Unglück enthoben wer- den: die Erde nicht als etwas Vereinzeltes anzuſehn brauchen; und deren Leben und Empfinden mit — wenn auch unbe- kannter — Vergangenheit und Zukunft ſich in Zuſammenhang vorſtellen können: heißt eigentlich, als ein Ganzes. Und die größten Momente des Lebens ſind die, wo es auch ſo empfun- den wird. Solche Momente müſſen ſich gewiß bis zum hei- ligſten Daſein, dem unantaſtbaren, immer gleich hohen, ſtei- gern! —
Stiller Freitag, 1831.
Beſchränkt zu ſein, das iſt nicht genug; wenn wir uns nicht beſchränkt machen können. In Ermanglung deß aber, iſt ſich beſchränkt wiſſen ſchon ein großer Beſitz. Abends dank’ ich Gott, daß ich nicht mehr Arges, Verwirrtes weiß, und für jedes bischen Kinderunſchuld; die kein Defizit einſehn, nach allem wie nach einem Ganzen greifen, und es glücklich ſo ſehen und zum Genuß gebrauchen kann. — Höhere Ge-
ſchöpfe,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0504"n="496"/><divn="3"><p>Weh dem, der mit ſeinen Einſichten und Gedanken dem<lb/>
Allgemeinen vor iſt! Für den kann dies Allgemeine nichts<lb/>
thun: für den wird das nie ein gutes Schickſal. Wie wohl<lb/>
für den, welcher gleich mit ihm ſteht, oder gar nach! —</p><lb/><p>Der Denkende, in Wahrheit Erwägende erhält ein anderes<lb/>
Glück, muß es wo anders her ſich ſchaffen; nicht durch ein<lb/>
Allgemeines, Vorhandenes. Aber ſein Glück ſelbſt iſt etwas<lb/>
Allgemeines; nämlich auf das Höchſte ſich Beziehendes, von<lb/>
dieſem Geſpendetes, und darum generell in der Anwendung.<lb/>
Hauptſächlich beſteht dies Glück der Forſcher und Erwäger<lb/>
darin, daß ſie einer ganzen Art von Unglück enthoben wer-<lb/>
den: die Erde nicht als etwas Vereinzeltes anzuſehn brauchen;<lb/>
und deren Leben und Empfinden mit — wenn auch unbe-<lb/>
kannter — Vergangenheit und Zukunft ſich in Zuſammenhang<lb/>
vorſtellen können: heißt eigentlich, als ein Ganzes. Und die<lb/>
größten Momente des Lebens ſind die, wo es auch ſo empfun-<lb/>
den wird. Solche Momente müſſen ſich gewiß bis zum hei-<lb/>
ligſten Daſein, dem unantaſtbaren, immer gleich hohen, ſtei-<lb/>
gern! —</p><dateline><hirendition="#et">Stiller Freitag, 1831.</hi></dateline></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><p>Beſchränkt zu ſein, das iſt nicht genug; wenn wir uns<lb/>
nicht beſchränkt machen können. In Ermanglung deß aber,<lb/>
iſt ſich beſchränkt wiſſen ſchon ein großer Beſitz. Abends dank’<lb/>
ich Gott, daß ich nicht mehr Arges, Verwirrtes weiß, und<lb/>
für jedes bischen Kinderunſchuld; die kein Defizit einſehn,<lb/>
nach allem wie nach einem Ganzen greifen, und es glücklich<lb/>ſo ſehen und zum Genuß gebrauchen kann. — Höhere Ge-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſchöpfe,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[496/0504]
Weh dem, der mit ſeinen Einſichten und Gedanken dem
Allgemeinen vor iſt! Für den kann dies Allgemeine nichts
thun: für den wird das nie ein gutes Schickſal. Wie wohl
für den, welcher gleich mit ihm ſteht, oder gar nach! —
Der Denkende, in Wahrheit Erwägende erhält ein anderes
Glück, muß es wo anders her ſich ſchaffen; nicht durch ein
Allgemeines, Vorhandenes. Aber ſein Glück ſelbſt iſt etwas
Allgemeines; nämlich auf das Höchſte ſich Beziehendes, von
dieſem Geſpendetes, und darum generell in der Anwendung.
Hauptſächlich beſteht dies Glück der Forſcher und Erwäger
darin, daß ſie einer ganzen Art von Unglück enthoben wer-
den: die Erde nicht als etwas Vereinzeltes anzuſehn brauchen;
und deren Leben und Empfinden mit — wenn auch unbe-
kannter — Vergangenheit und Zukunft ſich in Zuſammenhang
vorſtellen können: heißt eigentlich, als ein Ganzes. Und die
größten Momente des Lebens ſind die, wo es auch ſo empfun-
den wird. Solche Momente müſſen ſich gewiß bis zum hei-
ligſten Daſein, dem unantaſtbaren, immer gleich hohen, ſtei-
gern! —
Stiller Freitag, 1831.
Beſchränkt zu ſein, das iſt nicht genug; wenn wir uns
nicht beſchränkt machen können. In Ermanglung deß aber,
iſt ſich beſchränkt wiſſen ſchon ein großer Beſitz. Abends dank’
ich Gott, daß ich nicht mehr Arges, Verwirrtes weiß, und
für jedes bischen Kinderunſchuld; die kein Defizit einſehn,
nach allem wie nach einem Ganzen greifen, und es glücklich
ſo ſehen und zum Genuß gebrauchen kann. — Höhere Ge-
ſchöpfe,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/504>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.