ähnlich. Vorgestern war ich auf der Potsdammer Chaussee ausgestiegen: und V. schrie mir zu: Nicht so geschwind! Und ich antwortete in Eil: "Ich bin nicht mehr so alt!" Alles lachte. Aber -- das Unendliche habe ich gelitten: auch Lan- geweile. Alles!! Schreiben konnte ich gar nicht; gewiß ein Jahr. Eben schrie mir V. zu: Nur wenig! ruhe dich! Und er wußte, es ist an Auguste. Gestern, theuerste Auguste, war das liebe Mädchen Mlle. Gley bei mir -- den Morgen -- Gott im Himmel! was soll ich mit ihr anfangen! Ich fahre alle Tage aus; empfange jetzt nie: wegen Hitze, Fati- gue, Menschenluft. Seit Elslers weg sind, war ich in keinem Theater; jetzt ging' ich nur wegen dem seligen Fleck, glaub' ich. Treppen kann ich nicht steigen, Menschenluft nicht ath- men. Nun will ich die Liebe nach einem Garten einladen mit dem Vater. Ich freue mich, daß Sie diesen weichen, erhei- ternden Umgang haben! O! hätten Sie meinen! Und ich denke nicht bei allem an Sie, wie Sie an mich?! Ich freue mich, jetzt zu leben; weil wirklich, reell, die Welt schreitet; weil Ideen, gute Träume in's Leben treten. Technik, Gewerbe, Erfindungen, Associationen sie auszuführen, die Über- zeugung selbst der Gouvernements, daß das endlich so sein muß, -- alles dies erlaubt nicht, so dumm zu sein; die Dumm- heit noch ferner in Spiritus zu erhalten: anders wollte sie schon längst nicht dauren. Allen Vorschub, den legitimen, hatte sie: vergeblich! Einsicht ist eine Pflanze, von hoch her eingesetzt, und eine Witterung muß kommen, sie gedeihen zu lassen; denn sie wartet Tausende von Jahren auf solche, sich -- wenn auch nicht uns Menschen -- unbeschadet. Wer
ähnlich. Vorgeſtern war ich auf der Potsdammer Chauſſée ausgeſtiegen: und V. ſchrie mir zu: Nicht ſo geſchwind! Und ich antwortete in Eil: „Ich bin nicht mehr ſo alt!“ Alles lachte. Aber — das Unendliche habe ich gelitten: auch Lan- geweile. Alles!! Schreiben konnte ich gar nicht; gewiß ein Jahr. Eben ſchrie mir V. zu: Nur wenig! ruhe dich! Und er wußte, es iſt an Auguſte. Geſtern, theuerſte Auguſte, war das liebe Mädchen Mlle. Gley bei mir — den Morgen — Gott im Himmel! was ſoll ich mit ihr anfangen! Ich fahre alle Tage aus; empfange jetzt nie: wegen Hitze, Fati- gue, Menſchenluft. Seit Elslers weg ſind, war ich in keinem Theater; jetzt ging’ ich nur wegen dem ſeligen Fleck, glaub’ ich. Treppen kann ich nicht ſteigen, Menſchenluft nicht ath- men. Nun will ich die Liebe nach einem Garten einladen mit dem Vater. Ich freue mich, daß Sie dieſen weichen, erhei- ternden Umgang haben! O! hätten Sie meinen! Und ich denke nicht bei allem an Sie, wie Sie an mich?! Ich freue mich, jetzt zu leben; weil wirklich, reell, die Welt ſchreitet; weil Ideen, gute Träume in’s Leben treten. Technik, Gewerbe, Erfindungen, Aſſociationen ſie auszuführen, die Über- zeugung ſelbſt der Gouvernements, daß das endlich ſo ſein muß, — alles dies erlaubt nicht, ſo dumm zu ſein; die Dumm- heit noch ferner in Spiritus zu erhalten: anders wollte ſie ſchon längſt nicht dauren. Allen Vorſchub, den legitimen, hatte ſie: vergeblich! Einſicht iſt eine Pflanze, von hoch her eingeſetzt, und eine Witterung muß kommen, ſie gedeihen zu laſſen; denn ſie wartet Tauſende von Jahren auf ſolche, ſich — wenn auch nicht uns Menſchen — unbeſchadet. Wer
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ähnlich. Vorgeſtern war ich auf der Potsdammer Chauſſée
ausgeſtiegen: und V. ſchrie mir zu: Nicht ſo geſchwind! Und
ich antwortete in Eil: „Ich bin nicht mehr ſo alt!“ Alles
lachte. Aber — das Unendliche habe ich gelitten: auch Lan-
geweile. Alles!! Schreiben konnte ich gar nicht; gewiß
ein Jahr. Eben ſchrie mir V. zu: Nur wenig! ruhe dich!
Und er wußte, es iſt an Auguſte. Geſtern, theuerſte Auguſte,
war das liebe Mädchen Mlle. Gley bei mir — den Morgen
— Gott im Himmel! was ſoll ich mit ihr anfangen! Ich
fahre alle Tage aus; empfange jetzt nie: wegen Hitze, Fati-
gue, Menſchenluft. Seit Elslers weg ſind, war ich in keinem
Theater; jetzt ging’ ich nur wegen dem ſeligen Fleck, glaub’
ich. Treppen kann ich nicht ſteigen, Menſchenluft nicht ath-
men. Nun will ich die Liebe nach einem Garten einladen mit
dem Vater. Ich freue mich, daß Sie dieſen weichen, erhei-
ternden Umgang haben! O! hätten Sie meinen! Und ich
denke nicht bei allem an Sie, wie Sie an mich?! Ich
freue mich, jetzt zu leben; weil wirklich, reell, die Welt
ſchreitet; weil Ideen, gute Träume in’s Leben treten. Technik,
Gewerbe, Erfindungen, Aſſociationen ſie auszuführen, die Über-
zeugung ſelbſt der Gouvernements, daß das endlich ſo ſein
muß, — alles dies erlaubt nicht, ſo dumm zu ſein; die Dumm-
heit noch ferner in Spiritus zu erhalten: anders wollte ſie
ſchon längſt nicht dauren. Allen Vorſchub, den legitimen,
hatte ſie: vergeblich! Einſicht iſt eine Pflanze, von hoch
her eingeſetzt, und eine Witterung muß kommen, ſie gedeihen
zu laſſen; denn ſie wartet Tauſende von Jahren auf ſolche,
ſich — wenn auch nicht uns Menſchen — unbeſchadet. Wer
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/508>, abgerufen am 22.11.2024.
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