Graues drückendes Wetter; meist mit kühlem Winde; nie nahrhaft, stärkend, wie es soll; wenn auch auf ein paar Stunden: gleich schlägt's um.
Ich höre von allen Orten her das Gleiche: dabei prospe- riren Blumen, Früchte, Gemüse, Bäume. Menschen sollen gelichtet werden; denen thut es nicht gut. Ich habe, und hatte viel zu leiden davon; ich fühlte es den Andern weit vor- aus. So habe ich auch die allerliebste Julie -- so nenn' ich Mlle. Gley -- nicht bei mir gesehn, als auf flüchtige zwei Morgenbesuche; und vorgestern eine Soiree bei Ludwig Ro- bert. Ein liebes natürliches Mädchen, mit edlem großartigen Antlitz. Ich, die ich seit Elslers hier nicht im Theater war, will sie heute im Stern von Sevilla sehn; wenn es mir ge- lingt, im Ifflands-Theater Plätze -- bei größter Leerheit zu erlangen; -- von dem Seligen und seinen eitlen Luxusein- richtungen leiden wir noch. Und, wie Goethens Tasso, "ver- lieh mir die Natur Worte, zu sagen was ich leide!" und so sagte ich denn, wie dieser Mann noch unselig war, und lebte; dieser! -- verdirbt uns die deutschen Theater auf fünfzig Jahre hinaus; der Geruch, den der nachließ, ist für Publikum, Fürsten, und Höfe, und Intendanten, beneblend, betäubend, todbringend; und nur die Künstler gedeihen dabei, die auch Histrionen, Pedanten, Lügner in der Kunst, und im Leben sind; wie der Schöpfer dieser Affektation, in Kunst, ihren Einrichtungen; und in Sitte! Diesen Nachruf erlauben
An Auguſte Brede, in Wien.
Mittwoch 11 Uhr Morgens, den 27. Juli 1831.
Graues drückendes Wetter; meiſt mit kühlem Winde; nie nahrhaft, ſtärkend, wie es ſoll; wenn auch auf ein paar Stunden: gleich ſchlägt’s um.
Ich höre von allen Orten her das Gleiche: dabei prospe- riren Blumen, Früchte, Gemüſe, Bäume. Menſchen ſollen gelichtet werden; denen thut es nicht gut. Ich habe, und hatte viel zu leiden davon; ich fühlte es den Andern weit vor- aus. So habe ich auch die allerliebſte Julie — ſo nenn’ ich Mlle. Gley — nicht bei mir geſehn, als auf flüchtige zwei Morgenbeſuche; und vorgeſtern eine Soirée bei Ludwig Ro- bert. Ein liebes natürliches Mädchen, mit edlem großartigen Antlitz. Ich, die ich ſeit Elslers hier nicht im Theater war, will ſie heute im Stern von Sevilla ſehn; wenn es mir ge- lingt, im Ifflands-Theater Plätze — bei größter Leerheit zu erlangen; — von dem Seligen und ſeinen eitlen Luxusein- richtungen leiden wir noch. Und, wie Goethens Taſſo, „ver- lieh mir die Natur Worte, zu ſagen was ich leide!“ und ſo ſagte ich denn, wie dieſer Mann noch unſelig war, und lebte; dieſer! — verdirbt uns die deutſchen Theater auf fünfzig Jahre hinaus; der Geruch, den der nachließ, iſt für Publikum, Fürſten, und Höfe, und Intendanten, beneblend, betäubend, todbringend; und nur die Künſtler gedeihen dabei, die auch Hiſtrionen, Pedanten, Lügner in der Kunſt, und im Leben ſind; wie der Schöpfer dieſer Affektation, in Kunſt, ihren Einrichtungen; und in Sitte! Dieſen Nachruf erlauben
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An Auguſte Brede, in Wien.
Mittwoch 11 Uhr Morgens, den 27. Juli 1831.
Graues drückendes Wetter; meiſt mit kühlem Winde; nie
nahrhaft, ſtärkend, wie es ſoll; wenn auch auf ein paar
Stunden: gleich ſchlägt’s um.
Ich höre von allen Orten her das Gleiche: dabei prospe-
riren Blumen, Früchte, Gemüſe, Bäume. Menſchen ſollen
gelichtet werden; denen thut es nicht gut. Ich habe, und
hatte viel zu leiden davon; ich fühlte es den Andern weit vor-
aus. So habe ich auch die allerliebſte Julie — ſo nenn’ ich
Mlle. Gley — nicht bei mir geſehn, als auf flüchtige zwei
Morgenbeſuche; und vorgeſtern eine Soirée bei Ludwig Ro-
bert. Ein liebes natürliches Mädchen, mit edlem großartigen
Antlitz. Ich, die ich ſeit Elslers hier nicht im Theater war,
will ſie heute im Stern von Sevilla ſehn; wenn es mir ge-
lingt, im Ifflands-Theater Plätze — bei größter Leerheit zu
erlangen; — von dem Seligen und ſeinen eitlen Luxusein-
richtungen leiden wir noch. Und, wie Goethens Taſſo, „ver-
lieh mir die Natur Worte, zu ſagen was ich leide!“ und ſo
ſagte ich denn, wie dieſer Mann noch unſelig war, und
lebte; dieſer! — verdirbt uns die deutſchen Theater auf
fünfzig Jahre hinaus; der Geruch, den der nachließ, iſt
für Publikum, Fürſten, und Höfe, und Intendanten, beneblend,
betäubend, todbringend; und nur die Künſtler gedeihen dabei,
die auch Hiſtrionen, Pedanten, Lügner in der Kunſt, und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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