Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie antwor- ten, nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet! N'importe; hier ist die Antwort, die Sie verlangen. -- Frau von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, -- weil die Lebensplagen -- mes dragons nennt dies Madame de Sevigne -- ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß man nach dreißig werden. Sie war auf falschen Boden ge- bracht; den alle ihre Kräfte nicht zum richtigen wandlen konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an sich selbst, dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera- risches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta- gen! -- -- noch immer Hoffnungsirritation, aber wenigster Trost. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo- chen vor ihrem Tode etwa, habe ich sie noch, unter den Lin- den, im Saldernschen Hause, in einer Prachtwohnung, die sie eben eingenommen hatte, besucht. Sie sprach viel und heftig, und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht gesehen; wir schrieben uns; dann wurden wir beide kränker; ich schickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was sonst man sich nicht selbst kauft: hauptsächlich als Liebeszeichen; was sie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich ein Billet, von dem ich wußte, es sei das letzte. Dies Wort und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über
An Gentz, in Wien.
Freitag, den 6. Januar 1832. Graues Wetter.
Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie antwor- ten, nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet! N’importe; hier iſt die Antwort, die Sie verlangen. — Frau von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, — weil die Lebensplagen — mes dragons nennt dies Madame de Sevigné — ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß man nach dreißig werden. Sie war auf falſchen Boden ge- bracht; den alle ihre Kräfte nicht zum richtigen wandlen konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an ſich ſelbſt, dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera- riſches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta- gen! — — noch immer Hoffnungsirritation, aber wenigſter Troſt. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo- chen vor ihrem Tode etwa, habe ich ſie noch, unter den Lin- den, im Saldernſchen Hauſe, in einer Prachtwohnung, die ſie eben eingenommen hatte, beſucht. Sie ſprach viel und heftig, und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht geſehen; wir ſchrieben uns; dann wurden wir beide kränker; ich ſchickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was ſonſt man ſich nicht ſelbſt kauft: hauptſächlich als Liebeszeichen; was ſie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich ein Billet, von dem ich wußte, es ſei das letzte. Dies Wort und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über
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An Gentz, in Wien.
Freitag, den 6. Januar 1832. Graues Wetter.
Schon nicht einmal auf ein Billet können Sie antwor-
ten, nicht einmal auf eines, welches mich krank meldet!
N’importe; hier iſt die Antwort, die Sie verlangen. — Frau
von H. war lange Jahre leidend, und immer leidender, —
weil die Lebensplagen — mes dragons nennt dies Madame
de Sevigné — ihr nicht aufhalfen: und aufgeholfen muß
man nach dreißig werden. Sie war auf falſchen Boden ge-
bracht; den alle ihre Kräfte nicht zum richtigen wandlen
konnten: und ein ewiges Arbeiten daran; und an ſich ſelbſt,
dies in Tugend recht und gut finden zu wollen; auch littera-
riſches Arbeiten; hiezu das Abfallen aller Freude und Schutz
bringenden Blätter des Lebensbaumes, bei zunehmenden Ta-
gen! — — noch immer Hoffnungsirritation, aber wenigſter
Troſt. Sie war geehrt, und hatte viele Freunde. Acht Wo-
chen vor ihrem Tode etwa, habe ich ſie noch, unter den Lin-
den, im Saldernſchen Hauſe, in einer Prachtwohnung, die ſie
eben eingenommen hatte, beſucht. Sie ſprach viel und heftig,
und ordnete viel an; wir hatten uns der Cholera wegen nicht
geſehen; wir ſchrieben uns; dann wurden wir beide kränker;
ich ſchickte ihr Spargel, Ananas, Blumen; und was ſonſt
man ſich nicht ſelbſt kauft: hauptſächlich als Liebeszeichen;
was ſie nöthig hatte. Zehn Tage vor ihrem Tode erhielt ich
ein Billet, von dem ich wußte, es ſei das letzte. Dies Wort
und Tod kam nicht darin vor. Ich hatte ihr Vertrauen über
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/556>, abgerufen am 23.11.2024.
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