Schönes, helles, frisches Wetter. Man schreit hier Erd- beeren in Töpfen, diese in große Körbe gesetzt, aus, wie im Sommer.
-- Vorigen Dienstag Mittag speisten wir hier, wohlbe- halten, um 3 Uhr. Um 11 waren wir hier. Man wird jetzt an der preußischen Gränze ein Patriot: so schön ist Chaussee, Postbedienung, Einrichtung, und Betragen der Beamten. Man fährt wie ein Kourier; aber bequem und sicher auf den breiten gutbesorgten Wegen. Ich habe auch schon ein Volksstück gestern hier gesehen: "der Stralauer Fischzug;" das Volk aber hatte mehr Geschmack, als Julius von Voß, und schrie jede Platitüde en masse an, die ihm gröblich schmeichlen sollte; trommelte gemeine Stellen mit lachender Wuth aus, pfiff bei winzigen und etschte bei gedehnten; das Haus war der schönste Anblick, so voll war es, von allen Klassen; der Lärm so voll- ständig und anhaltend, daß ich meinen Kopf dem nicht zum gänzlichen Opfer bringen mochte; und ein Drittel des Stücks im Stich ließ; nach des Kastellans Zimmer ging, wo ich meinen Wagen abwartete. König, Prinzen, alles war drin. Wäre der raus gegangen, so hätte es zu viel Aufsehen ge- macht, drum blieb er wohl. Dies theilen Sie gütigst Tieck mit. Wie ich dazu kam in's Theater zu gehen? Ich, die bergauf, bergab, sich gratulirte, es nicht nöthig zu haben; sich einprägte, es nicht zu thun! Aus niedrer Feigheit -- lachete -- weil meine Familie einen Logenplatz los sein wollte.
III. 4
An Fanny Tarnow, in Dresden.
Berlin, Montag den 29. Oktober 1821.
Schönes, helles, friſches Wetter. Man ſchreit hier Erd- beeren in Töpfen, dieſe in große Körbe geſetzt, aus, wie im Sommer.
— Vorigen Dienstag Mittag ſpeiſten wir hier, wohlbe- halten, um 3 Uhr. Um 11 waren wir hier. Man wird jetzt an der preußiſchen Gränze ein Patriot: ſo ſchön iſt Chauſſee, Poſtbedienung, Einrichtung, und Betragen der Beamten. Man fährt wie ein Kourier; aber bequem und ſicher auf den breiten gutbeſorgten Wegen. Ich habe auch ſchon ein Volksſtück geſtern hier geſehen: „der Stralauer Fiſchzug;“ das Volk aber hatte mehr Geſchmack, als Julius von Voß, und ſchrie jede Platitüde en masse an, die ihm gröblich ſchmeichlen ſollte; trommelte gemeine Stellen mit lachender Wuth aus, pfiff bei winzigen und etſchte bei gedehnten; das Haus war der ſchönſte Anblick, ſo voll war es, von allen Klaſſen; der Lärm ſo voll- ſtändig und anhaltend, daß ich meinen Kopf dem nicht zum gänzlichen Opfer bringen mochte; und ein Drittel des Stücks im Stich ließ; nach des Kaſtellans Zimmer ging, wo ich meinen Wagen abwartete. König, Prinzen, alles war drin. Wäre der raus gegangen, ſo hätte es zu viel Aufſehen ge- macht, drum blieb er wohl. Dies theilen Sie gütigſt Tieck mit. Wie ich dazu kam in’s Theater zu gehen? Ich, die bergauf, bergab, ſich gratulirte, es nicht nöthig zu haben; ſich einprägte, es nicht zu thun! Aus niedrer Feigheit — lâcheté — weil meine Familie einen Logenplatz los ſein wollte.
III. 4
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An Fanny Tarnow, in Dresden.
Berlin, Montag den 29. Oktober 1821.
Schönes, helles, friſches Wetter. Man ſchreit hier Erd-
beeren in Töpfen, dieſe in große Körbe geſetzt, aus,
wie im Sommer.
— Vorigen Dienstag Mittag ſpeiſten wir hier, wohlbe-
halten, um 3 Uhr. Um 11 waren wir hier. Man wird jetzt
an der preußiſchen Gränze ein Patriot: ſo ſchön iſt Chauſſee,
Poſtbedienung, Einrichtung, und Betragen der Beamten. Man
fährt wie ein Kourier; aber bequem und ſicher auf den breiten
gutbeſorgten Wegen. Ich habe auch ſchon ein Volksſtück
geſtern hier geſehen: „der Stralauer Fiſchzug;“ das Volk
aber hatte mehr Geſchmack, als Julius von Voß, und ſchrie
jede Platitüde en masse an, die ihm gröblich ſchmeichlen ſollte;
trommelte gemeine Stellen mit lachender Wuth aus, pfiff bei
winzigen und etſchte bei gedehnten; das Haus war der ſchönſte
Anblick, ſo voll war es, von allen Klaſſen; der Lärm ſo voll-
ſtändig und anhaltend, daß ich meinen Kopf dem nicht zum
gänzlichen Opfer bringen mochte; und ein Drittel des Stücks
im Stich ließ; nach des Kaſtellans Zimmer ging, wo ich
meinen Wagen abwartete. König, Prinzen, alles war drin.
Wäre der raus gegangen, ſo hätte es zu viel Aufſehen ge-
macht, drum blieb er wohl. Dies theilen Sie gütigſt Tieck
mit. Wie ich dazu kam in’s Theater zu gehen? Ich, die
bergauf, bergab, ſich gratulirte, es nicht nöthig zu haben;
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III. 4
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/57>, abgerufen am 24.11.2024.
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