nicht geben konnte. Ich war in Todesrachen; er käute mich schon, er hat mich zurückgespien. Jahrelange Beklemmung -- ich kann sagen vernachlässigte, -- ward den 7. Nachts so, daß ich von Bett auf Stuhl, von dem auf die Erde sank und in Agonie lag. Um 3 Uhr Nachts ein Aderlaß. Zu mir gekommen. Noch sehr krank. Und alsbald bildete sich ein andres Übel auf den Rückenwirbeln. Geschnitten; gefährlich: das erste wußte ich nicht vorher, das zweite erfuhr ich her- nach. -- Große, lange Leiden: mit noch andern dazu. Seit acht Tagen fahr' ich aus. Mein Bruder Ludwig Robert ant- wortete mir nicht, dem ich nach Baden-Baden, wo er wohnte, hingeschrieben hatte! Fragen; Zweifel: sie, wußte ich, war sehr kränklich; und Dienstag endlich sagt man mir, er sei todt. An einem Nervenfieber; den 5. Juli. Worte sind blaß. Schweigen heißt Reden. Mein Religionsbruder. Jede Über- zeugung theilten wir. Jeden Gegenstand der Intelligenz und des Lebens haben wir durchgemacht. Erzogen habe ich ihn, gepflegt; in allen Stücken. Ein besseres Stück Jugend- leben liegt auch von mir in Badener Erde. Gott wollte es: er ist klüger. Das war meine Konvaleszenz. Ich sage, Gott hat Recht; und weiß es. Ich bin sehr gefaßt, und denke über alles wie immer. Je ne suis pas gatee. Wie schön sind die Worte von Goethe, die Sie schrieben: die einfachen. Wo sind all die Todten? -- Mehr, theure Freundin, kann ich nicht schreiben. Die besten Grüße Ihrer ganzen Familie. Gott schütze Sie für Krankheit; und lasse Sie bei einander! --
nicht geben konnte. Ich war in Todesrachen; er käute mich ſchon, er hat mich zurückgeſpien. Jahrelange Beklemmung — ich kann ſagen vernachläſſigte, — ward den 7. Nachts ſo, daß ich von Bett auf Stuhl, von dem auf die Erde ſank und in Agonie lag. Um 3 Uhr Nachts ein Aderlaß. Zu mir gekommen. Noch ſehr krank. Und alsbald bildete ſich ein andres Übel auf den Rückenwirbeln. Geſchnitten; gefährlich: das erſte wußte ich nicht vorher, das zweite erfuhr ich her- nach. — Große, lange Leiden: mit noch andern dazu. Seit acht Tagen fahr’ ich aus. Mein Bruder Ludwig Robert ant- wortete mir nicht, dem ich nach Baden-Baden, wo er wohnte, hingeſchrieben hatte! Fragen; Zweifel: ſie, wußte ich, war ſehr kränklich; und Dienstag endlich ſagt man mir, er ſei todt. An einem Nervenfieber; den 5. Juli. Worte ſind blaß. Schweigen heißt Reden. Mein Religionsbruder. Jede Über- zeugung theilten wir. Jeden Gegenſtand der Intelligenz und des Lebens haben wir durchgemacht. Erzogen habe ich ihn, gepflegt; in allen Stücken. Ein beſſeres Stück Jugend- leben liegt auch von mir in Badener Erde. Gott wollte es: er iſt klüger. Das war meine Konvaleszenz. Ich ſage, Gott hat Recht; und weiß es. Ich bin ſehr gefaßt, und denke über alles wie immer. Je ne suis pas gâtée. Wie ſchön ſind die Worte von Goethe, die Sie ſchrieben: die einfachen. Wo ſind all die Todten? — Mehr, theure Freundin, kann ich nicht ſchreiben. Die beſten Grüße Ihrer ganzen Familie. Gott ſchütze Sie für Krankheit; und laſſe Sie bei einander! —
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[583/0591]
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ich kann ſagen vernachläſſigte, — ward den 7. Nachts ſo,
daß ich von Bett auf Stuhl, von dem auf die Erde ſank
und in Agonie lag. Um 3 Uhr Nachts ein Aderlaß. Zu mir
gekommen. Noch ſehr krank. Und alsbald bildete ſich ein
andres Übel auf den Rückenwirbeln. Geſchnitten; gefährlich:
das erſte wußte ich nicht vorher, das zweite erfuhr ich her-
nach. — Große, lange Leiden: mit noch andern dazu. Seit
acht Tagen fahr’ ich aus. Mein Bruder Ludwig Robert ant-
wortete mir nicht, dem ich nach Baden-Baden, wo er wohnte,
hingeſchrieben hatte! Fragen; Zweifel: ſie, wußte ich, war
ſehr kränklich; und Dienstag endlich ſagt man mir, er ſei
todt. An einem Nervenfieber; den 5. Juli. Worte ſind blaß.
Schweigen heißt Reden. Mein Religionsbruder. Jede Über-
zeugung theilten wir. Jeden Gegenſtand der Intelligenz und
des Lebens haben wir durchgemacht. Erzogen habe ich ihn,
gepflegt; in allen Stücken. Ein beſſeres Stück Jugend-
leben liegt auch von mir in Badener Erde. Gott wollte es:
er iſt klüger. Das war meine Konvaleszenz. Ich ſage, Gott
hat Recht; und weiß es. Ich bin ſehr gefaßt, und denke über
alles wie immer. Je ne suis pas gâtée. Wie ſchön ſind die
Worte von Goethe, die Sie ſchrieben: die einfachen. Wo ſind
all die Todten? — Mehr, theure Freundin, kann ich nicht
ſchreiben. Die beſten Grüße Ihrer ganzen Familie. Gott
ſchütze Sie für Krankheit; und laſſe Sie bei einander! —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/591>, abgerufen am 23.11.2024.
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