nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu- frieden: ich würde nie diesen Meister vergöttern können, hätte ich kein unschuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und auch als Geschenk der Natur erhalten. Was Sie wider sein Buch sagen, gefällt mir eben so, als was Sie dafür sagen. So munter (alerte, mein' ich) aufgefaßt, angeschaut, mit so großem Vorrath kombinirt; und so hell überdacht dazugelegt; so glücklich, natürlich, und kunstgeübt, und kunstvoll, und nur wie im Fluge, sich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen, dem im Lesen -- bester Art -- und Leben ganz durcharbeite- ten, und gereiften, gallisch-deutschen Menschen möglich sein. Ich goutire solch reifes, ironisches, lächlend-traurig-ruhiges Wesen, als hätte ich es selbst in meiner Gewalt: denn be- sitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief -- wie viele Ihrer Briefe -- gefiel mir unendlich: und Sie lassen sich mein Applaudissement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit sich bringt: wie ich zu dieser neben dem großen Kurfürsten komme, frag' ich die ganze. (Wissen Sie nicht mehr, welche? die ganze Natur.) Gerne schrieb' ich Ihnen Schönes, Pikan- tes, Geistvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich sehe hier nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei- ten Kanape. Es geht schwach vor sich hin, was man erfah- ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich gar nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann- ten, müßt' ich erst etwas spinnen; aber es ist nichts zurecht gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal so einen schö- nen Brief schicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch so etwas will ich wissen.
nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu- frieden: ich würde nie dieſen Meiſter vergöttern können, hätte ich kein unſchuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und auch als Geſchenk der Natur erhalten. Was Sie wider ſein Buch ſagen, gefällt mir eben ſo, als was Sie dafür ſagen. So munter (alerte, mein’ ich) aufgefaßt, angeſchaut, mit ſo großem Vorrath kombinirt; und ſo hell überdacht dazugelegt; ſo glücklich, natürlich, und kunſtgeübt, und kunſtvoll, und nur wie im Fluge, ſich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen, dem im Leſen — beſter Art — und Leben ganz durcharbeite- ten, und gereiften, galliſch-deutſchen Menſchen möglich ſein. Ich goutire ſolch reifes, ironiſches, lächlend-traurig-ruhiges Weſen, als hätte ich es ſelbſt in meiner Gewalt: denn be- ſitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief — wie viele Ihrer Briefe — gefiel mir unendlich: und Sie laſſen ſich mein Applaudiſſement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit ſich bringt: wie ich zu dieſer neben dem großen Kurfürſten komme, frag’ ich die ganze. (Wiſſen Sie nicht mehr, welche? die ganze Natur.) Gerne ſchrieb’ ich Ihnen Schönes, Pikan- tes, Geiſtvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich ſehe hier nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei- ten Kanapé. Es geht ſchwach vor ſich hin, was man erfah- ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich gar nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann- ten, müßt’ ich erſt etwas ſpinnen; aber es iſt nichts zurecht gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal ſo einen ſchö- nen Brief ſchicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch ſo etwas will ich wiſſen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0062"n="54"/>
nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu-<lb/>
frieden: ich würde nie dieſen Meiſter vergöttern können, hätte<lb/>
ich kein unſchuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und<lb/><hirendition="#g">auch</hi> als Geſchenk der Natur erhalten. Was Sie wider ſein<lb/>
Buch ſagen, gefällt mir eben ſo, als was Sie dafür ſagen.<lb/>
So munter (<hirendition="#aq">alerte,</hi> mein’ ich) aufgefaßt, angeſchaut, mit ſo<lb/>
großem Vorrath kombinirt; und ſo hell überdacht dazugelegt;<lb/>ſo glücklich, natürlich, und kunſtgeübt, und kunſtvoll, und nur<lb/>
wie im Fluge, ſich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen,<lb/>
dem im Leſen — beſter Art — und Leben ganz durcharbeite-<lb/>
ten, und gereiften, galliſch-deutſchen <hirendition="#g">Menſchen</hi> möglich ſein.<lb/>
Ich goutire ſolch reifes, ironiſches, lächlend-traurig-ruhiges<lb/>
Weſen, als hätte ich es ſelbſt in meiner <hirendition="#g">Gewalt</hi>: denn be-<lb/>ſitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief — wie viele<lb/>
Ihrer Briefe — gefiel mir unendlich: und Sie laſſen ſich mein<lb/>
Applaudiſſement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit<lb/>ſich bringt: wie ich zu dieſer neben dem großen Kurfürſten<lb/>
komme, frag’ ich die ganze. (Wiſſen Sie nicht mehr, welche?<lb/>
die ganze Natur.) Gerne ſchrieb’ ich Ihnen Schönes, Pikan-<lb/>
tes, Geiſtvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich<lb/>ſehe <hirendition="#g">hier</hi> nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei-<lb/>
ten Kanap<hirendition="#aq">é</hi>. Es geht ſchwach vor ſich hin, was man erfah-<lb/>
ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich <hirendition="#g">gar</hi><lb/>
nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann-<lb/>
ten, müßt’ ich erſt etwas ſpinnen; aber es iſt nichts zurecht<lb/>
gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal ſo einen ſchö-<lb/>
nen Brief ſchicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen<lb/>
haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch ſo etwas will ich wiſſen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[54/0062]
nicht, und glauben, weil Goethe gelobt wird, bin ich nur zu-
frieden: ich würde nie dieſen Meiſter vergöttern können, hätte
ich kein unſchuldig Herz, kein immer neues Urtheil bereit; und
auch als Geſchenk der Natur erhalten. Was Sie wider ſein
Buch ſagen, gefällt mir eben ſo, als was Sie dafür ſagen.
So munter (alerte, mein’ ich) aufgefaßt, angeſchaut, mit ſo
großem Vorrath kombinirt; und ſo hell überdacht dazugelegt;
ſo glücklich, natürlich, und kunſtgeübt, und kunſtvoll, und nur
wie im Fluge, ſich darüber auszudrücken: kann nur Ihnen,
dem im Leſen — beſter Art — und Leben ganz durcharbeite-
ten, und gereiften, galliſch-deutſchen Menſchen möglich ſein.
Ich goutire ſolch reifes, ironiſches, lächlend-traurig-ruhiges
Weſen, als hätte ich es ſelbſt in meiner Gewalt: denn be-
ſitzen thue ich wahrlich davon. Kurz, Ihr Brief — wie viele
Ihrer Briefe — gefiel mir unendlich: und Sie laſſen ſich mein
Applaudiſſement gefallen; weil es meine Italiäner-Natur mit
ſich bringt: wie ich zu dieſer neben dem großen Kurfürſten
komme, frag’ ich die ganze. (Wiſſen Sie nicht mehr, welche?
die ganze Natur.) Gerne ſchrieb’ ich Ihnen Schönes, Pikan-
tes, Geiſtvolles von hier: ich weiß aber nichts von hier: ich
ſehe hier nichts: ich bleibe auf meiner Domaine; einem brei-
ten Kanapé. Es geht ſchwach vor ſich hin, was man erfah-
ren darf: vom andern weiß natürlich die Polizei, ich gar
nichts. Vom Theater, von meinen Lektüren, meinen Bekann-
ten, müßt’ ich erſt etwas ſpinnen; aber es iſt nichts zurecht
gelegt. Vielleicht wenn Sie uns wieder einmal ſo einen ſchö-
nen Brief ſchicken! Haben Sie angenehme Bekannte? Wen
haben Sie bei Ihrem Kindchen: auch ſo etwas will ich wiſſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/62>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.