Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

mit nichts Wirklichem beschäftigt, der sich mit Bettlervolk ab-
giebt, nichts zuwege bringt; nicht einmal weiß, was er den-
ken soll; der für einen Helden in einem Roman nicht einmal
gut genug ist; von welcher Sorte man schon tausendmal bes-
sere, bei den Fieldings aller Länder, gehabt hat, die doch noch
ein Resultat geben! Während unser Weiser die edelste, reinste,
ehrlichste Seele in ununterbrochenem Bemühen und Kampfe
geschildert hat mit der Welt, wie sie leibt und lebt; ohne je
einen Moment in ihre unreine Verwirrung zu gerathen; immer
im Bemühen, sich zu tadeln und zu bessern; immer in der
Unschuld, die Andern besser zu sehen, als sie sind, und meist
sie sich vorzuziehen; immer aufgelegt zu lernen und nachzu-
geben, außer dem evident Unedlen: rührenderes, verehrungs-
würdigeres Benehmen, vortrefflichere Gesinnung, kann man
nicht erfinden; und je mehr man ihn sich deutlich macht, je
mehr ehrt und liebt man ihn, und Goethe'n. Don Quixote
mußte mit eben solcher Seele eine -- also eine einseitige --
Eigenschaft, die des Ritters, wählen, und mußte sie in Aus-
übung bringen wollen. Meister mußte den ganzen Menschen
ausbilden wollen; und mir ist's, als ob Goethe dem Cervantes
nur die Feder abgenommen hätte, weil die Menschen sich in
der Zeit folgen. Was die beiden Meister sonst noch in den
Werken gelehrt und gezeigt haben, ist ihre Zeit: und das so
rein und wahr, daß sich die künftigen gleich daran anschlie-
ßen, für den Geschichtsblick, für wahre Augen überhaupt. --



mit nichts Wirklichem beſchäftigt, der ſich mit Bettlervolk ab-
giebt, nichts zuwege bringt; nicht einmal weiß, was er den-
ken ſoll; der für einen Helden in einem Roman nicht einmal
gut genug iſt; von welcher Sorte man ſchon tauſendmal beſ-
ſere, bei den Fieldings aller Länder, gehabt hat, die doch noch
ein Reſultat geben! Während unſer Weiſer die edelſte, reinſte,
ehrlichſte Seele in ununterbrochenem Bemühen und Kampfe
geſchildert hat mit der Welt, wie ſie leibt und lebt; ohne je
einen Moment in ihre unreine Verwirrung zu gerathen; immer
im Bemühen, ſich zu tadeln und zu beſſern; immer in der
Unſchuld, die Andern beſſer zu ſehen, als ſie ſind, und meiſt
ſie ſich vorzuziehen; immer aufgelegt zu lernen und nachzu-
geben, außer dem evident Unedlen: rührenderes, verehrungs-
würdigeres Benehmen, vortrefflichere Geſinnung, kann man
nicht erfinden; und je mehr man ihn ſich deutlich macht, je
mehr ehrt und liebt man ihn, und Goethe’n. Don Quixote
mußte mit eben ſolcher Seele eine — alſo eine einſeitige —
Eigenſchaft, die des Ritters, wählen, und mußte ſie in Aus-
übung bringen wollen. Meiſter mußte den ganzen Menſchen
ausbilden wollen; und mir iſt’s, als ob Goethe dem Cervantes
nur die Feder abgenommen hätte, weil die Menſchen ſich in
der Zeit folgen. Was die beiden Meiſter ſonſt noch in den
Werken gelehrt und gezeigt haben, iſt ihre Zeit: und das ſo
rein und wahr, daß ſich die künftigen gleich daran anſchlie-
ßen, für den Geſchichtsblick, für wahre Augen überhaupt. —



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0068" n="60"/>
mit nichts Wirklichem be&#x017F;chäftigt, der &#x017F;ich mit Bettlervolk ab-<lb/>
giebt, nichts zuwege bringt; nicht einmal weiß, was er den-<lb/>
ken &#x017F;oll; der für einen Helden in einem Roman nicht einmal<lb/>
gut genug i&#x017F;t; von welcher Sorte man &#x017F;chon tau&#x017F;endmal be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ere, bei den Fieldings aller Länder, gehabt hat, die doch noch<lb/>
ein Re&#x017F;ultat geben! Während un&#x017F;er Wei&#x017F;er die edel&#x017F;te, rein&#x017F;te,<lb/>
ehrlich&#x017F;te Seele in ununterbrochenem Bemühen und Kampfe<lb/>
ge&#x017F;childert hat mit der Welt, wie &#x017F;ie leibt und lebt; ohne je<lb/>
einen Moment in ihre unreine Verwirrung zu gerathen; immer<lb/>
im Bemühen, &#x017F;ich zu tadeln und zu be&#x017F;&#x017F;ern; immer in der<lb/>
Un&#x017F;chuld, die Andern be&#x017F;&#x017F;er zu &#x017F;ehen, als &#x017F;ie &#x017F;ind, und mei&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich vorzuziehen; immer aufgelegt zu lernen und nachzu-<lb/>
geben, außer dem evident Unedlen: rührenderes, verehrungs-<lb/>
würdigeres Benehmen, vortrefflichere Ge&#x017F;innung, kann man<lb/>
nicht erfinden; und je mehr man ihn &#x017F;ich deutlich macht, je<lb/>
mehr ehrt und liebt man ihn, und Goethe&#x2019;n. Don Quixote<lb/>
mußte mit eben &#x017F;olcher Seele <hi rendition="#g">eine</hi> &#x2014; al&#x017F;o eine ein&#x017F;eitige &#x2014;<lb/>
Eigen&#x017F;chaft, die des Ritters, wählen, und mußte &#x017F;ie in Aus-<lb/>
übung bringen wollen. Mei&#x017F;ter mußte den ganzen Men&#x017F;chen<lb/>
ausbilden wollen; und mir i&#x017F;t&#x2019;s, als ob Goethe dem Cervantes<lb/>
nur die Feder abgenommen hätte, weil die Men&#x017F;chen &#x017F;ich in<lb/>
der Zeit folgen. Was die beiden Mei&#x017F;ter &#x017F;on&#x017F;t noch in den<lb/>
Werken gelehrt und gezeigt haben, i&#x017F;t ihre Zeit: und das &#x017F;o<lb/>
rein und wahr, daß &#x017F;ich die künftigen gleich daran an&#x017F;chlie-<lb/>
ßen, für den Ge&#x017F;chichtsblick, für wahre Augen überhaupt. &#x2014;</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0068] mit nichts Wirklichem beſchäftigt, der ſich mit Bettlervolk ab- giebt, nichts zuwege bringt; nicht einmal weiß, was er den- ken ſoll; der für einen Helden in einem Roman nicht einmal gut genug iſt; von welcher Sorte man ſchon tauſendmal beſ- ſere, bei den Fieldings aller Länder, gehabt hat, die doch noch ein Reſultat geben! Während unſer Weiſer die edelſte, reinſte, ehrlichſte Seele in ununterbrochenem Bemühen und Kampfe geſchildert hat mit der Welt, wie ſie leibt und lebt; ohne je einen Moment in ihre unreine Verwirrung zu gerathen; immer im Bemühen, ſich zu tadeln und zu beſſern; immer in der Unſchuld, die Andern beſſer zu ſehen, als ſie ſind, und meiſt ſie ſich vorzuziehen; immer aufgelegt zu lernen und nachzu- geben, außer dem evident Unedlen: rührenderes, verehrungs- würdigeres Benehmen, vortrefflichere Geſinnung, kann man nicht erfinden; und je mehr man ihn ſich deutlich macht, je mehr ehrt und liebt man ihn, und Goethe’n. Don Quixote mußte mit eben ſolcher Seele eine — alſo eine einſeitige — Eigenſchaft, die des Ritters, wählen, und mußte ſie in Aus- übung bringen wollen. Meiſter mußte den ganzen Menſchen ausbilden wollen; und mir iſt’s, als ob Goethe dem Cervantes nur die Feder abgenommen hätte, weil die Menſchen ſich in der Zeit folgen. Was die beiden Meiſter ſonſt noch in den Werken gelehrt und gezeigt haben, iſt ihre Zeit: und das ſo rein und wahr, daß ſich die künftigen gleich daran anſchlie- ßen, für den Geſchichtsblick, für wahre Augen überhaupt. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/68
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/68>, abgerufen am 21.11.2024.