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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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zu keiner höheren, ja nicht einmal zu einer betrachtenden
Stimmung auffordern, wobei man im Hause, im Quickmarsch-
tritt umhergehen, Thüren schließen, spinnen, Taback rauchen,
nähen, einen Gang machen kann; zu denen gehört offenbar
die des Jungfernkranzes; wenn man sich, ohne den Text zu
beachten, Rechenschaft von ihr giebt, so ist sie eine vergnüg-
liche Melodie, durch einen kleinen Trotz erhöht: solche werden
dann aus imitativer Schwäche allgemein gesungen; eine Art
musikalischer Strafe für höhere Musiker, wie auch jeder, wel-
cher ein solches Lied, fast unwillkürlich, singen muß, an sich
selbst erfahren kann. Ganz anderer Art ist gleich das tanti
palpiti.
Es unterbricht schon jedes häusliche Geschäft; es ist
eine Empfindung, die in Betrachtung ausartet, die ihre Pau-
sen macht, sich in sich selbst variiren will, und sich gezwun-
gen wiederholt, von stärkerem Schmerz unterbrochen, als sie
sich zugestehen will, in offenbare Musik ausartend, die immer
allgemeiner in ihren Beziehungen wird. Ein solches Lied wird
in Deutschland nicht so leicht allgemein werden, wo das Volk
Jungfernkränze haben will, und die Gebildetern tiefe Rechen-
exempel für den Geist verlangen, dem das Ohr erst nachzu-
kommen lernen muß, -- von denen, die sich nur wollen im-
poniren lassen, gar nicht zu reden! -- während der Italiäner
z. B. schon lange die schönen Gondolierlieder hat, die Stim-
mungen fordern und hervorbringen, und zu Lande und zu
Wasser vom ganzen Volke gesungen werden. --



zu keiner höheren, ja nicht einmal zu einer betrachtenden
Stimmung auffordern, wobei man im Hauſe, im Quickmarſch-
tritt umhergehen, Thüren ſchließen, ſpinnen, Taback rauchen,
nähen, einen Gang machen kann; zu denen gehört offenbar
die des Jungfernkranzes; wenn man ſich, ohne den Text zu
beachten, Rechenſchaft von ihr giebt, ſo iſt ſie eine vergnüg-
liche Melodie, durch einen kleinen Trotz erhöht: ſolche werden
dann aus imitativer Schwäche allgemein geſungen; eine Art
muſikaliſcher Strafe für höhere Muſiker, wie auch jeder, wel-
cher ein ſolches Lied, faſt unwillkürlich, ſingen muß, an ſich
ſelbſt erfahren kann. Ganz anderer Art iſt gleich das tanti
palpiti.
Es unterbricht ſchon jedes häusliche Geſchäft; es iſt
eine Empfindung, die in Betrachtung ausartet, die ihre Pau-
ſen macht, ſich in ſich ſelbſt variiren will, und ſich gezwun-
gen wiederholt, von ſtärkerem Schmerz unterbrochen, als ſie
ſich zugeſtehen will, in offenbare Muſik ausartend, die immer
allgemeiner in ihren Beziehungen wird. Ein ſolches Lied wird
in Deutſchland nicht ſo leicht allgemein werden, wo das Volk
Jungfernkränze haben will, und die Gebildetern tiefe Rechen-
exempel für den Geiſt verlangen, dem das Ohr erſt nachzu-
kommen lernen muß, — von denen, die ſich nur wollen im-
poniren laſſen, gar nicht zu reden! — während der Italiäner
z. B. ſchon lange die ſchönen Gondolierlieder hat, die Stim-
mungen fordern und hervorbringen, und zu Lande und zu
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[76/0084] zu keiner höheren, ja nicht einmal zu einer betrachtenden Stimmung auffordern, wobei man im Hauſe, im Quickmarſch- tritt umhergehen, Thüren ſchließen, ſpinnen, Taback rauchen, nähen, einen Gang machen kann; zu denen gehört offenbar die des Jungfernkranzes; wenn man ſich, ohne den Text zu beachten, Rechenſchaft von ihr giebt, ſo iſt ſie eine vergnüg- liche Melodie, durch einen kleinen Trotz erhöht: ſolche werden dann aus imitativer Schwäche allgemein geſungen; eine Art muſikaliſcher Strafe für höhere Muſiker, wie auch jeder, wel- cher ein ſolches Lied, faſt unwillkürlich, ſingen muß, an ſich ſelbſt erfahren kann. Ganz anderer Art iſt gleich das tanti palpiti. Es unterbricht ſchon jedes häusliche Geſchäft; es iſt eine Empfindung, die in Betrachtung ausartet, die ihre Pau- ſen macht, ſich in ſich ſelbſt variiren will, und ſich gezwun- gen wiederholt, von ſtärkerem Schmerz unterbrochen, als ſie ſich zugeſtehen will, in offenbare Muſik ausartend, die immer allgemeiner in ihren Beziehungen wird. Ein ſolches Lied wird in Deutſchland nicht ſo leicht allgemein werden, wo das Volk Jungfernkränze haben will, und die Gebildetern tiefe Rechen- exempel für den Geiſt verlangen, dem das Ohr erſt nachzu- kommen lernen muß, — von denen, die ſich nur wollen im- poniren laſſen, gar nicht zu reden! — während der Italiäner z. B. ſchon lange die ſchönen Gondolierlieder hat, die Stim- mungen fordern und hervorbringen, und zu Lande und zu Waſſer vom ganzen Volke geſungen werden. —

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/84>, abgerufen am 24.11.2024.