Jch war außer mir, ich wollte es durchaus nicht leiden, keine Drohung konnte mich be- wegen. Endlich zog meine Schwester mit stil- len sanften Thränen an, was man von ihr verlangte, da ließ ich mir's auch gefallen. Noch mehre Schrecken erwarteten mich an die- sem unglücklichen Tage.
Wir wurden zur Mutter herein gerufen; sie war im Gespräch mit dem Prior und noch einem Mann in geistlicher Kleidung, den ich nicht kannte, der mir aber einen so fatalen Eindruck machte, daß ich gewiß den Augenblick, wo ich ihn zuerst gesehen, nie vergessen werde. Er hatte ein finstres kaltes Gesicht wie der Prior, nur daß dieser, ein vollkommen schöner Mann, mit feyerlichem stol- zen Anstand sich sehr gut zu präsentiren wußte, auch über meine Mutter eine Supe- riorität hatte, die Allen Ehrfurcht einflößen mußte. Der neue Ankömmling war lang und mager, von gelber Gesichtsfarbe, und hatte so durchaus etwas jämmerliches und de- müthiges. Er bückte sich bey jedem Wort,
Jch war außer mir, ich wollte es durchaus nicht leiden, keine Drohung konnte mich be- wegen. Endlich zog meine Schweſter mit ſtil- len ſanften Thraͤnen an, was man von ihr verlangte, da ließ ich mir’s auch gefallen. Noch mehre Schrecken erwarteten mich an die- ſem ungluͤcklichen Tage.
Wir wurden zur Mutter herein gerufen; ſie war im Geſpraͤch mit dem Prior und noch einem Mann in geiſtlicher Kleidung, den ich nicht kannte, der mir aber einen ſo fatalen Eindruck machte, daß ich gewiß den Augenblick, wo ich ihn zuerſt geſehen, nie vergeſſen werde. Er hatte ein finſtres kaltes Geſicht wie der Prior, nur daß dieſer, ein vollkommen ſchoͤner Mann, mit feyerlichem ſtol- zen Anſtand ſich ſehr gut zu praͤſentiren wußte, auch uͤber meine Mutter eine Supe- rioritaͤt hatte, die Allen Ehrfurcht einfloͤßen mußte. Der neue Ankoͤmmling war lang und mager, von gelber Geſichtsfarbe, und hatte ſo durchaus etwas jaͤmmerliches und de- muͤthiges. Er buͤckte ſich bey jedem Wort,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0103"n="95"/>
Jch war außer mir, ich wollte es durchaus<lb/>
nicht leiden, keine Drohung konnte mich be-<lb/>
wegen. Endlich zog meine Schweſter mit ſtil-<lb/>
len ſanften Thraͤnen an, was man von ihr<lb/>
verlangte, da ließ ich mir’s auch gefallen.<lb/>
Noch mehre Schrecken erwarteten mich an die-<lb/>ſem ungluͤcklichen Tage.</p><lb/><p>Wir wurden zur Mutter herein gerufen;<lb/>ſie war im Geſpraͤch mit dem Prior und<lb/>
noch einem Mann in geiſtlicher Kleidung,<lb/>
den ich nicht kannte, der mir aber einen ſo<lb/>
fatalen Eindruck machte, daß ich gewiß den<lb/>
Augenblick, wo ich ihn zuerſt geſehen, nie<lb/>
vergeſſen werde. Er hatte ein finſtres kaltes<lb/>
Geſicht wie der Prior, nur daß dieſer, ein<lb/>
vollkommen ſchoͤner Mann, mit feyerlichem ſtol-<lb/>
zen Anſtand ſich ſehr gut zu praͤſentiren<lb/>
wußte, auch uͤber meine Mutter eine Supe-<lb/>
rioritaͤt hatte, die Allen Ehrfurcht einfloͤßen<lb/>
mußte. Der neue Ankoͤmmling war lang<lb/>
und mager, von gelber Geſichtsfarbe, und<lb/>
hatte ſo durchaus etwas jaͤmmerliches und de-<lb/>
muͤthiges. Er buͤckte ſich bey jedem Wort,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[95/0103]
Jch war außer mir, ich wollte es durchaus
nicht leiden, keine Drohung konnte mich be-
wegen. Endlich zog meine Schweſter mit ſtil-
len ſanften Thraͤnen an, was man von ihr
verlangte, da ließ ich mir’s auch gefallen.
Noch mehre Schrecken erwarteten mich an die-
ſem ungluͤcklichen Tage.
Wir wurden zur Mutter herein gerufen;
ſie war im Geſpraͤch mit dem Prior und
noch einem Mann in geiſtlicher Kleidung,
den ich nicht kannte, der mir aber einen ſo
fatalen Eindruck machte, daß ich gewiß den
Augenblick, wo ich ihn zuerſt geſehen, nie
vergeſſen werde. Er hatte ein finſtres kaltes
Geſicht wie der Prior, nur daß dieſer, ein
vollkommen ſchoͤner Mann, mit feyerlichem ſtol-
zen Anſtand ſich ſehr gut zu praͤſentiren
wußte, auch uͤber meine Mutter eine Supe-
rioritaͤt hatte, die Allen Ehrfurcht einfloͤßen
mußte. Der neue Ankoͤmmling war lang
und mager, von gelber Geſichtsfarbe, und
hatte ſo durchaus etwas jaͤmmerliches und de-
muͤthiges. Er buͤckte ſich bey jedem Wort,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/103>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.