erst älter wäre, gewiß ändern, und ich woll- te sie frey machen, sobald ich frey wäre. Darauf wußte sie aber niemals etwas zu sa- gen, sie sah mich mit großen Augen an, und es schien als glaubte sie mir nicht, was mich denn nicht wenig verdroß.
Meine Tage füllten trostlose Studien, die alle darauf abzweckten, mich zu meinem künftigen Stande geschickt zu machen; das kanonische Recht, geistliche Gebräuche, Kir- chengeschichte, kurz alles was in dieses Fach gehört: mein armes Gedächtniß ward mit diesen todten Dingen bis zur Zerstöhrung ge- martert. Das beste, was ich davon trug, war die Kenntniß einiger alten, und der deutschen Sprache; der Pater war ein Deut- scher von Geburt, und liebte seine Sprache. Der Prior, der als ein gelehrter Mann be- kannt war, hatte es über sich genommen, meine Studien zu dirigiren. Er kam je- de Woche einmal und untersuchte meine Fort- schritte, es war daher leicht zu begreifen, daß der Pater sein Bestes an mir versuchte.
erſt aͤlter waͤre, gewiß aͤndern, und ich woll- te ſie frey machen, ſobald ich frey waͤre. Darauf wußte ſie aber niemals etwas zu ſa- gen, ſie ſah mich mit großen Augen an, und es ſchien als glaubte ſie mir nicht, was mich denn nicht wenig verdroß.
Meine Tage fuͤllten troſtloſe Studien, die alle darauf abzweckten, mich zu meinem kuͤnftigen Stande geſchickt zu machen; das kanoniſche Recht, geiſtliche Gebraͤuche, Kir- chengeſchichte, kurz alles was in dieſes Fach gehoͤrt: mein armes Gedaͤchtniß ward mit dieſen todten Dingen bis zur Zerſtoͤhrung ge- martert. Das beſte, was ich davon trug, war die Kenntniß einiger alten, und der deutſchen Sprache; der Pater war ein Deut- ſcher von Geburt, und liebte ſeine Sprache. Der Prior, der als ein gelehrter Mann be- kannt war, hatte es uͤber ſich genommen, meine Studien zu dirigiren. Er kam je- de Woche einmal und unterſuchte meine Fort- ſchritte, es war daher leicht zu begreifen, daß der Pater ſein Beſtes an mir verſuchte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0111"n="103"/>
erſt aͤlter waͤre, gewiß aͤndern, und ich woll-<lb/>
te ſie frey machen, ſobald ich frey waͤre.<lb/>
Darauf wußte ſie aber niemals etwas zu ſa-<lb/>
gen, ſie ſah mich mit großen Augen an,<lb/>
und es ſchien als glaubte ſie mir nicht, was<lb/>
mich denn nicht wenig verdroß.</p><lb/><p>Meine Tage fuͤllten troſtloſe Studien,<lb/>
die alle darauf abzweckten, mich zu meinem<lb/>
kuͤnftigen Stande geſchickt zu machen; das<lb/>
kanoniſche Recht, geiſtliche Gebraͤuche, Kir-<lb/>
chengeſchichte, kurz alles was in dieſes Fach<lb/>
gehoͤrt: mein armes Gedaͤchtniß ward mit<lb/>
dieſen todten Dingen bis zur Zerſtoͤhrung ge-<lb/>
martert. Das beſte, was ich davon trug,<lb/>
war die Kenntniß einiger alten, und der<lb/>
deutſchen Sprache; der Pater war ein Deut-<lb/>ſcher von Geburt, und liebte ſeine Sprache.<lb/>
Der Prior, der als ein gelehrter Mann be-<lb/>
kannt war, hatte es uͤber ſich genommen,<lb/>
meine Studien zu dirigiren. Er kam je-<lb/>
de Woche einmal und unterſuchte meine Fort-<lb/>ſchritte, es war daher leicht zu begreifen,<lb/>
daß der Pater ſein Beſtes an mir verſuchte.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[103/0111]
erſt aͤlter waͤre, gewiß aͤndern, und ich woll-
te ſie frey machen, ſobald ich frey waͤre.
Darauf wußte ſie aber niemals etwas zu ſa-
gen, ſie ſah mich mit großen Augen an,
und es ſchien als glaubte ſie mir nicht, was
mich denn nicht wenig verdroß.
Meine Tage fuͤllten troſtloſe Studien,
die alle darauf abzweckten, mich zu meinem
kuͤnftigen Stande geſchickt zu machen; das
kanoniſche Recht, geiſtliche Gebraͤuche, Kir-
chengeſchichte, kurz alles was in dieſes Fach
gehoͤrt: mein armes Gedaͤchtniß ward mit
dieſen todten Dingen bis zur Zerſtoͤhrung ge-
martert. Das beſte, was ich davon trug,
war die Kenntniß einiger alten, und der
deutſchen Sprache; der Pater war ein Deut-
ſcher von Geburt, und liebte ſeine Sprache.
Der Prior, der als ein gelehrter Mann be-
kannt war, hatte es uͤber ſich genommen,
meine Studien zu dirigiren. Er kam je-
de Woche einmal und unterſuchte meine Fort-
ſchritte, es war daher leicht zu begreifen,
daß der Pater ſein Beſtes an mir verſuchte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/111>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.