eine Gestalt, die mich bey der Hand nahm, nicht die bekannte, es war eine vertraute alte Kammerfrau, sie führte mich durch einige fin- stre Zimmer, jeder Umstand fiel mir unange- nehm auf. Endlich öffnete sie eine Thür und ging zurück. Die Gebieterin kam mir entge- gen, sie war im nachlässigen Nachtgewande, sehr schön, das Zimmer äußerst prächtig, der Schein einer Lampe erleuchtete es nur dämmernd, alles war köstlich, unvergleichlich, aber es war nicht jenes Zimmer, jene Erleuchtung, jene Spiegel, jener schöne Teppich; mich umgab nicht der süße Blumenduft, es war nicht die- selbe Grazie, die umherschwebte. Jch sehnte mich nach dem Schimmer, nach der Luft jenes kleinen Tempels, der mich zuerst so freundlich begrüßt, und meine Fantasie gefangen genom- men hatte. Das ganze reizende Bild war mir entrückt, meine Wünsche mir fremd geworden. Jch setzte mich neben die schöne gütige Dame, und sprach einiges mit ihr, wahrscheinlich wa- ren es höchst gleichgültige abgeschmackte Phra- sen, die die Dame sehr betreten machten, und
eine Geſtalt, die mich bey der Hand nahm, nicht die bekannte, es war eine vertraute alte Kammerfrau, ſie fuͤhrte mich durch einige fin- ſtre Zimmer, jeder Umſtand fiel mir unange- nehm auf. Endlich oͤffnete ſie eine Thuͤr und ging zuruͤck. Die Gebieterin kam mir entge- gen, ſie war im nachlaͤſſigen Nachtgewande, ſehr ſchoͤn, das Zimmer aͤußerſt praͤchtig, der Schein einer Lampe erleuchtete es nur daͤmmernd, alles war koͤſtlich, unvergleichlich, aber es war nicht jenes Zimmer, jene Erleuchtung, jene Spiegel, jener ſchoͤne Teppich; mich umgab nicht der ſuͤße Blumenduft, es war nicht die- ſelbe Grazie, die umherſchwebte. Jch ſehnte mich nach dem Schimmer, nach der Luft jenes kleinen Tempels, der mich zuerſt ſo freundlich begruͤßt, und meine Fantaſie gefangen genom- men hatte. Das ganze reizende Bild war mir entruͤckt, meine Wuͤnſche mir fremd geworden. Jch ſetzte mich neben die ſchoͤne guͤtige Dame, und ſprach einiges mit ihr, wahrſcheinlich wa- ren es hoͤchſt gleichguͤltige abgeſchmackte Phra- ſen, die die Dame ſehr betreten machten, und
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eine Geſtalt, die mich bey der Hand nahm,
nicht die bekannte, es war eine vertraute alte
Kammerfrau, ſie fuͤhrte mich durch einige fin-
ſtre Zimmer, jeder Umſtand fiel mir unange-
nehm auf. Endlich oͤffnete ſie eine Thuͤr und
ging zuruͤck. Die Gebieterin kam mir entge-
gen, ſie war im nachlaͤſſigen Nachtgewande,
ſehr ſchoͤn, das Zimmer aͤußerſt praͤchtig, der
Schein einer Lampe erleuchtete es nur daͤmmernd,
alles war koͤſtlich, unvergleichlich, aber es war
nicht jenes Zimmer, jene Erleuchtung, jene
Spiegel, jener ſchoͤne Teppich; mich umgab
nicht der ſuͤße Blumenduft, es war nicht die-
ſelbe Grazie, die umherſchwebte. Jch ſehnte
mich nach dem Schimmer, nach der Luft jenes
kleinen Tempels, der mich zuerſt ſo freundlich
begruͤßt, und meine Fantaſie gefangen genom-
men hatte. Das ganze reizende Bild war mir
entruͤckt, meine Wuͤnſche mir fremd geworden.
Jch ſetzte mich neben die ſchoͤne guͤtige Dame,
und ſprach einiges mit ihr, wahrſcheinlich wa-
ren es hoͤchſt gleichguͤltige abgeſchmackte Phra-
ſen, die die Dame ſehr betreten machten, und
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/213>, abgerufen am 24.11.2024.
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