bis die ihrer Freundin geendigt wäre. Da diese ihr doch endlich zu lang dünkte, rief sie ihr zu; da sie aber ohne zu ant- worten und ohne sich zu bewegen liegen blieb, so beugte sie sich zu ihr hinunter, hob den Schleyer von ihrem Gesicht und fand sie ohne Bewußtseyn, kalt und in tiefe Ohn- macht gesunken.
Mit Hülfe einiger zunächst stehender Men- schen führte meine Tante sie aus der Kirche, und half sie in den Wagen heben, der vor der Kirchthür hielt. Sie hatten einen ziemlich großen Weg nach ihrem Hause zu fahren, wäh- rend dem gelang es ihr, sie durch alle Hülfe, die in dem Augenblick möglich war, wieder zn sich selbst zu beingen. Als sie wieder sprechen konnte, fragte sie die Tante um die Ursache ihrer sonderbaren Heftigkeit, und bat sie so dringend und unter so zärtlichen Liebkosungen, ihr Herz gegen sie zu öffnen, daß sie nicht län- ger widerstehen konnte. Sie vergoß in den Armen ihrer Freundin einen Strom von Thrä- nen, und nachdem diese ihrem Herzen Luft ge-
bis die ihrer Freundin geendigt waͤre. Da dieſe ihr doch endlich zu lang duͤnkte, rief ſie ihr zu; da ſie aber ohne zu ant- worten und ohne ſich zu bewegen liegen blieb, ſo beugte ſie ſich zu ihr hinunter, hob den Schleyer von ihrem Geſicht und fand ſie ohne Bewußtſeyn, kalt und in tiefe Ohn- macht geſunken.
Mit Huͤlfe einiger zunaͤchſt ſtehender Men- ſchen fuͤhrte meine Tante ſie aus der Kirche, und half ſie in den Wagen heben, der vor der Kirchthuͤr hielt. Sie hatten einen ziemlich großen Weg nach ihrem Hauſe zu fahren, waͤh- rend dem gelang es ihr, ſie durch alle Huͤlfe, die in dem Augenblick moͤglich war, wieder zn ſich ſelbſt zu beingen. Als ſie wieder ſprechen konnte, fragte ſie die Tante um die Urſache ihrer ſonderbaren Heftigkeit, und bat ſie ſo dringend und unter ſo zaͤrtlichen Liebkoſungen, ihr Herz gegen ſie zu oͤffnen, daß ſie nicht laͤn- ger widerſtehen konnte. Sie vergoß in den Armen ihrer Freundin einen Strom von Thraͤ- nen, und nachdem dieſe ihrem Herzen Luft ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0246"n="238"/>
bis die ihrer Freundin geendigt waͤre.<lb/>
Da dieſe ihr doch endlich zu lang duͤnkte,<lb/>
rief ſie ihr zu; da ſie aber ohne zu ant-<lb/>
worten und ohne ſich zu bewegen liegen<lb/>
blieb, ſo beugte ſie ſich zu ihr hinunter, hob<lb/>
den Schleyer von ihrem Geſicht und fand<lb/>ſie ohne Bewußtſeyn, kalt und in tiefe Ohn-<lb/>
macht geſunken.</p><lb/><p>Mit Huͤlfe einiger zunaͤchſt ſtehender Men-<lb/>ſchen fuͤhrte meine Tante ſie aus der Kirche,<lb/>
und half ſie in den Wagen heben, der vor der<lb/>
Kirchthuͤr hielt. Sie hatten einen ziemlich<lb/>
großen Weg nach ihrem Hauſe zu fahren, waͤh-<lb/>
rend dem gelang es ihr, ſie durch alle Huͤlfe,<lb/>
die in dem Augenblick moͤglich war, wieder zn<lb/>ſich ſelbſt zu beingen. Als ſie wieder ſprechen<lb/>
konnte, fragte ſie die Tante um die Urſache<lb/>
ihrer ſonderbaren Heftigkeit, und bat ſie ſo<lb/>
dringend und unter ſo zaͤrtlichen Liebkoſungen,<lb/>
ihr Herz gegen ſie zu oͤffnen, daß ſie nicht laͤn-<lb/>
ger widerſtehen konnte. Sie vergoß in den<lb/>
Armen ihrer Freundin einen Strom von Thraͤ-<lb/>
nen, und nachdem dieſe ihrem Herzen Luft ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[238/0246]
bis die ihrer Freundin geendigt waͤre.
Da dieſe ihr doch endlich zu lang duͤnkte,
rief ſie ihr zu; da ſie aber ohne zu ant-
worten und ohne ſich zu bewegen liegen
blieb, ſo beugte ſie ſich zu ihr hinunter, hob
den Schleyer von ihrem Geſicht und fand
ſie ohne Bewußtſeyn, kalt und in tiefe Ohn-
macht geſunken.
Mit Huͤlfe einiger zunaͤchſt ſtehender Men-
ſchen fuͤhrte meine Tante ſie aus der Kirche,
und half ſie in den Wagen heben, der vor der
Kirchthuͤr hielt. Sie hatten einen ziemlich
großen Weg nach ihrem Hauſe zu fahren, waͤh-
rend dem gelang es ihr, ſie durch alle Huͤlfe,
die in dem Augenblick moͤglich war, wieder zn
ſich ſelbſt zu beingen. Als ſie wieder ſprechen
konnte, fragte ſie die Tante um die Urſache
ihrer ſonderbaren Heftigkeit, und bat ſie ſo
dringend und unter ſo zaͤrtlichen Liebkoſungen,
ihr Herz gegen ſie zu oͤffnen, daß ſie nicht laͤn-
ger widerſtehen konnte. Sie vergoß in den
Armen ihrer Freundin einen Strom von Thraͤ-
nen, und nachdem dieſe ihrem Herzen Luft ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/246>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.