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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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schrieb sie mit der größten Genauigkeit und
ganz gelassen die Gestalt des Kindes, das sie
zu ihren Füßen an das Bett gelehnt stehen sah.
Es schien ihr in einem Alter von drey Jahren,
trug ein leichtes weißes Gewand, Arme und
Füße waren nackt, um den Leib hatte es einen
blauen Gürtel von hellglänzendem Zeuge, des-
sen Enden hinter ihm nieder flatterten. Das
Köpfchen sey mit himmlischen blonden Locken,
wie mit den zartesten Strahlen umgeben,
das mit den kindlichen Wangen, dem frischen
Munde und den lachenden blauen Augen
wie ein wundersüßes Engelsköpfchen aussehe.
Das ganze Figürchen umschwebe hinreißende
Anmuth; kurz, sie beschrieb es so umständlich,
daß man gar nicht mehr zweifeln durfte, sie
sähe es in der That vor sich; da sie es aber
anfangs hätte umarmen wollen, wäre es zu-
rückgewichen, daher sey ihr Schreck und die
Ohnmacht gekommen, denn es hätte sie über-
zeugt, daß sie eine Erscheinung sehe.

Jhre Freunde durften keinen Widerspruch
wagen, aus Besorgniß sie aufzubringen, und

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ſchrieb ſie mit der groͤßten Genauigkeit und
ganz gelaſſen die Geſtalt des Kindes, das ſie
zu ihren Fuͤßen an das Bett gelehnt ſtehen ſah.
Es ſchien ihr in einem Alter von drey Jahren,
trug ein leichtes weißes Gewand, Arme und
Fuͤße waren nackt, um den Leib hatte es einen
blauen Guͤrtel von hellglaͤnzendem Zeuge, deſ-
ſen Enden hinter ihm nieder flatterten. Das
Koͤpfchen ſey mit himmliſchen blonden Locken,
wie mit den zarteſten Strahlen umgeben,
das mit den kindlichen Wangen, dem friſchen
Munde und den lachenden blauen Augen
wie ein wunderſuͤßes Engelskoͤpfchen ausſehe.
Das ganze Figuͤrchen umſchwebe hinreißende
Anmuth; kurz, ſie beſchrieb es ſo umſtaͤndlich,
daß man gar nicht mehr zweifeln durfte, ſie
ſaͤhe es in der That vor ſich; da ſie es aber
anfangs haͤtte umarmen wollen, waͤre es zu-
ruͤckgewichen, daher ſey ihr Schreck und die
Ohnmacht gekommen, denn es haͤtte ſie uͤber-
zeugt, daß ſie eine Erſcheinung ſehe.

Jhre Freunde durften keinen Widerſpruch
wagen, aus Beſorgniß ſie aufzubringen, und

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[243/0251] ſchrieb ſie mit der groͤßten Genauigkeit und ganz gelaſſen die Geſtalt des Kindes, das ſie zu ihren Fuͤßen an das Bett gelehnt ſtehen ſah. Es ſchien ihr in einem Alter von drey Jahren, trug ein leichtes weißes Gewand, Arme und Fuͤße waren nackt, um den Leib hatte es einen blauen Guͤrtel von hellglaͤnzendem Zeuge, deſ- ſen Enden hinter ihm nieder flatterten. Das Koͤpfchen ſey mit himmliſchen blonden Locken, wie mit den zarteſten Strahlen umgeben, das mit den kindlichen Wangen, dem friſchen Munde und den lachenden blauen Augen wie ein wunderſuͤßes Engelskoͤpfchen ausſehe. Das ganze Figuͤrchen umſchwebe hinreißende Anmuth; kurz, ſie beſchrieb es ſo umſtaͤndlich, daß man gar nicht mehr zweifeln durfte, ſie ſaͤhe es in der That vor ſich; da ſie es aber anfangs haͤtte umarmen wollen, waͤre es zu- ruͤckgewichen, daher ſey ihr Schreck und die Ohnmacht gekommen, denn es haͤtte ſie uͤber- zeugt, daß ſie eine Erſcheinung ſehe. Jhre Freunde durften keinen Widerſpruch wagen, aus Beſorgniß ſie aufzubringen, und (16) 2

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/251>, abgerufen am 24.11.2024.