Der Hohen meine Jugend zu verbünden, Dieß, wie ihr wißt, gelang noch niemals mir. Noch neu, noch alt wußt ich je zu ergründen; Das Schicksal gönn' im Alter Weisheit mir. Wir irren alle, denn wir müssen irren, Gelassen mag die Zeit den Knäul entwirren.
Der Waldstrom braust im tiefen Felsen- grund, Gar schroffe Klippen führen drüber hin, Die furchtbar hängen über'm finstern Schlund; Wer strauchelt, dem ist sichrer Tod Gewinn! Ein Müder wankt am Geist und Gliedern wund Daher, schaut bang hinab, kalt graust der Sinn: Am Felsen spielt ein Kind, sorglos bemühet Ein Blümchen pflückend, das am Abgrund blühet.
Oft mühten sinnreich Dichter sich und Weise, Das Leben mit dem Leben zu vergleichen.
Der Hohen meine Jugend zu verbuͤnden, Dieß, wie ihr wißt, gelang noch niemals mir. Noch neu, noch alt wußt ich je zu ergruͤnden; Das Schickſal goͤnn’ im Alter Weisheit mir. Wir irren alle, denn wir muͤſſen irren, Gelaſſen mag die Zeit den Knaͤul entwirren.
Der Waldſtrom brauſt im tiefen Felſen- grund, Gar ſchroffe Klippen fuͤhren druͤber hin, Die furchtbar haͤngen uͤber’m finſtern Schlund; Wer ſtrauchelt, dem iſt ſichrer Tod Gewinn! Ein Muͤder wankt am Geiſt und Gliedern wund Daher, ſchaut bang hinab, kalt grauſt der Sinn: Am Felſen ſpielt ein Kind, ſorglos bemuͤhet Ein Bluͤmchen pfluͤckend, das am Abgrund bluͤhet.
Oft muͤhten ſinnreich Dichter ſich und Weiſe, Das Leben mit dem Leben zu vergleichen.
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Der Hohen meine Jugend zu verbuͤnden,
Dieß, wie ihr wißt, gelang noch niemals
mir.
Noch neu, noch alt wußt ich je zu ergruͤnden;
Das Schickſal goͤnn’ im Alter Weisheit mir.
Wir irren alle, denn wir muͤſſen irren,
Gelaſſen mag die Zeit den Knaͤul entwirren.
Der Waldſtrom brauſt im tiefen Felſen-
grund,
Gar ſchroffe Klippen fuͤhren druͤber hin,
Die furchtbar haͤngen uͤber’m finſtern Schlund;
Wer ſtrauchelt, dem iſt ſichrer Tod Gewinn!
Ein Muͤder wankt am Geiſt und Gliedern
wund
Daher, ſchaut bang hinab, kalt grauſt der
Sinn:
Am Felſen ſpielt ein Kind, ſorglos bemuͤhet
Ein Bluͤmchen pfluͤckend, das am Abgrund
bluͤhet.
Oft muͤhten ſinnreich Dichter ſich und Weiſe,
Das Leben mit dem Leben zu vergleichen.
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/260>, abgerufen am 26.06.2024.
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