Kammer, um Dir einige Worte zuzurufen: ich will meinem Herzen diese Freude nicht versa- gen, ich will zu Dir reden, will mir einbil- den, Du säßest neben mir, und ich sähe es dem lieben Gesicht an, wie Dein Herz die Freuden des meinigen theilt.
Aber auch schelten muß ich mit Dir, Du Uebervernünftige! Wie? Juliane wird zum Altare geführt, und Du bist nicht bey ihr? wie magst Du es nur verantworten? Du weißt wohl, wie ich Dein Thun und Deinen Wandel verehre; dennoch glaube ich nicht, daß Du die Art und Weise von uns Weltkindern so sichtbar verachten darfst: es ist wohl eben so verdienstlich von mir, daß ich mich aus dem Getümmel losreisse, um an Dich zu schreiben, als daß Du das Haus der Fröhlichkeit nicht be- suchen willst, um den armen kleinen Geschöpfen Deiner Pflege unter Deinen Augen Hülfe und Nahrung reichen zu lassen. Denkst Du nicht daran, wie nothwendig Du auch hier bist? Wer unter uns soll wohl Julianen das Beyspiel der Sammlung und Frömmigkeit geben, das
Kammer, um Dir einige Worte zuzurufen: ich will meinem Herzen dieſe Freude nicht verſa- gen, ich will zu Dir reden, will mir einbil- den, Du ſaͤßeſt neben mir, und ich ſaͤhe es dem lieben Geſicht an, wie Dein Herz die Freuden des meinigen theilt.
Aber auch ſchelten muß ich mit Dir, Du Uebervernuͤnftige! Wie? Juliane wird zum Altare gefuͤhrt, und Du biſt nicht bey ihr? wie magſt Du es nur verantworten? Du weißt wohl, wie ich Dein Thun und Deinen Wandel verehre; dennoch glaube ich nicht, daß Du die Art und Weiſe von uns Weltkindern ſo ſichtbar verachten darfſt: es iſt wohl eben ſo verdienſtlich von mir, daß ich mich aus dem Getuͤmmel losreiſſe, um an Dich zu ſchreiben, als daß Du das Haus der Froͤhlichkeit nicht be- ſuchen willſt, um den armen kleinen Geſchoͤpfen Deiner Pflege unter Deinen Augen Huͤlfe und Nahrung reichen zu laſſen. Denkſt Du nicht daran, wie nothwendig Du auch hier biſt? Wer unter uns ſoll wohl Julianen das Beyſpiel der Sammlung und Froͤmmigkeit geben, das
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Kammer, um Dir einige Worte zuzurufen:
ich will meinem Herzen dieſe Freude nicht verſa-
gen, ich will zu Dir reden, will mir einbil-
den, Du ſaͤßeſt neben mir, und ich ſaͤhe es
dem lieben Geſicht an, wie Dein Herz die
Freuden des meinigen theilt.
Aber auch ſchelten muß ich mit Dir, Du
Uebervernuͤnftige! Wie? Juliane wird zum
Altare gefuͤhrt, und Du biſt nicht bey ihr?
wie magſt Du es nur verantworten? Du
weißt wohl, wie ich Dein Thun und Deinen
Wandel verehre; dennoch glaube ich nicht, daß
Du die Art und Weiſe von uns Weltkindern
ſo ſichtbar verachten darfſt: es iſt wohl eben ſo
verdienſtlich von mir, daß ich mich aus dem
Getuͤmmel losreiſſe, um an Dich zu ſchreiben,
als daß Du das Haus der Froͤhlichkeit nicht be-
ſuchen willſt, um den armen kleinen Geſchoͤpfen
Deiner Pflege unter Deinen Augen Huͤlfe und
Nahrung reichen zu laſſen. Denkſt Du nicht
daran, wie nothwendig Du auch hier biſt?
Wer unter uns ſoll wohl Julianen das Beyſpiel
der Sammlung und Froͤmmigkeit geben, das
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/306>, abgerufen am 22.11.2024.
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