Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

Fee aller schönen lieblichen Kinder; sie schenkt
den unglücklichen, mitleidswürdigen noch eine
besondere thätige Aufmerksamkeit. Es war
ihr nemlich nicht entgangen, daß die gerin-
gere Klasse der Eltern nur wenig Sorgfalt
auf ihre kranken Kinder zu wenden vermag;
daß aus Mangel an der nothwendigen War-
tung eine große Menge davon sterben, oft
als Krüppel ein höchst elendes Leben fort-
schleppen müssen, den Eltern eine Last, und
von diesen dafür verachtet und schlecht behan-
delt werden. Das Elend selbst muß ihnen ein
Nahrungszweig werden, indem sie es vorzei-
gen, um das Mitleid andrer zu erregen, und
sich selbst immer mehr dargegen abstumpfen.
Denken Sie sich, wie diese Vorstellungen eine
Seele wie die ihrige erschüttern mußten! Jch
sah sie in der gewaltsamsten Anstrengung, bis
es ihr gelang, zu helfen, so weit menschliche
Hülfe reicht.

Den Garten der Gräfin begrenzt ein
See -- Jch sah ihn diesen Morgen. Kleine
Häuser, Felder und Gärten umgeben ihn. --

Fee aller ſchoͤnen lieblichen Kinder; ſie ſchenkt
den ungluͤcklichen, mitleidswuͤrdigen noch eine
beſondere thaͤtige Aufmerkſamkeit. Es war
ihr nemlich nicht entgangen, daß die gerin-
gere Klaſſe der Eltern nur wenig Sorgfalt
auf ihre kranken Kinder zu wenden vermag;
daß aus Mangel an der nothwendigen War-
tung eine große Menge davon ſterben, oft
als Kruͤppel ein hoͤchſt elendes Leben fort-
ſchleppen muͤſſen, den Eltern eine Laſt, und
von dieſen dafuͤr verachtet und ſchlecht behan-
delt werden. Das Elend ſelbſt muß ihnen ein
Nahrungszweig werden, indem ſie es vorzei-
gen, um das Mitleid andrer zu erregen, und
ſich ſelbſt immer mehr dargegen abſtumpfen.
Denken Sie ſich, wie dieſe Vorſtellungen eine
Seele wie die ihrige erſchuͤttern mußten! Jch
ſah ſie in der gewaltſamſten Anſtrengung, bis
es ihr gelang, zu helfen, ſo weit menſchliche
Huͤlfe reicht.

Den Garten der Graͤfin begrenzt ein
See — Jch ſah ihn dieſen Morgen. Kleine
Haͤuſer, Felder und Gaͤrten umgeben ihn. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0343" n="335"/>
Fee aller &#x017F;cho&#x0364;nen lieblichen Kinder; &#x017F;ie &#x017F;chenkt<lb/>
den unglu&#x0364;cklichen, mitleidswu&#x0364;rdigen noch eine<lb/>
be&#x017F;ondere tha&#x0364;tige Aufmerk&#x017F;amkeit. Es war<lb/>
ihr nemlich nicht entgangen, daß die gerin-<lb/>
gere Kla&#x017F;&#x017F;e der Eltern nur wenig Sorgfalt<lb/>
auf ihre kranken Kinder zu wenden vermag;<lb/>
daß aus Mangel an der nothwendigen War-<lb/>
tung eine große Menge davon &#x017F;terben, oft<lb/>
als Kru&#x0364;ppel ein ho&#x0364;ch&#x017F;t elendes Leben fort-<lb/>
&#x017F;chleppen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, den Eltern eine La&#x017F;t, und<lb/>
von die&#x017F;en dafu&#x0364;r verachtet und &#x017F;chlecht behan-<lb/>
delt werden. Das Elend &#x017F;elb&#x017F;t muß ihnen ein<lb/>
Nahrungszweig werden, indem &#x017F;ie es vorzei-<lb/>
gen, um das Mitleid andrer zu erregen, und<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t immer mehr dargegen ab&#x017F;tumpfen.<lb/>
Denken Sie &#x017F;ich, wie die&#x017F;e Vor&#x017F;tellungen eine<lb/>
Seele wie die ihrige er&#x017F;chu&#x0364;ttern mußten! Jch<lb/>
&#x017F;ah &#x017F;ie in der gewalt&#x017F;am&#x017F;ten An&#x017F;trengung, bis<lb/>
es ihr gelang, zu helfen, &#x017F;o weit men&#x017F;chliche<lb/>
Hu&#x0364;lfe reicht.</p><lb/>
          <p>Den Garten der Gra&#x0364;fin begrenzt ein<lb/>
See &#x2014; Jch &#x017F;ah ihn die&#x017F;en Morgen. Kleine<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;er, Felder und Ga&#x0364;rten umgeben ihn. &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0343] Fee aller ſchoͤnen lieblichen Kinder; ſie ſchenkt den ungluͤcklichen, mitleidswuͤrdigen noch eine beſondere thaͤtige Aufmerkſamkeit. Es war ihr nemlich nicht entgangen, daß die gerin- gere Klaſſe der Eltern nur wenig Sorgfalt auf ihre kranken Kinder zu wenden vermag; daß aus Mangel an der nothwendigen War- tung eine große Menge davon ſterben, oft als Kruͤppel ein hoͤchſt elendes Leben fort- ſchleppen muͤſſen, den Eltern eine Laſt, und von dieſen dafuͤr verachtet und ſchlecht behan- delt werden. Das Elend ſelbſt muß ihnen ein Nahrungszweig werden, indem ſie es vorzei- gen, um das Mitleid andrer zu erregen, und ſich ſelbſt immer mehr dargegen abſtumpfen. Denken Sie ſich, wie dieſe Vorſtellungen eine Seele wie die ihrige erſchuͤttern mußten! Jch ſah ſie in der gewaltſamſten Anſtrengung, bis es ihr gelang, zu helfen, ſo weit menſchliche Huͤlfe reicht. Den Garten der Graͤfin begrenzt ein See — Jch ſah ihn dieſen Morgen. Kleine Haͤuſer, Felder und Gaͤrten umgeben ihn. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/343
Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/343>, abgerufen am 22.11.2024.