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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

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Der Orgel gegenüber befand sich ein Mol
nument. Florentin ging näher hinzu, um es
zu betrachten. Auf einem Sarkophag ruhte
ein Genius in Gestalt eines Kindes, die Fackel
entsank verlöschend seiner Hand; es war nicht
gewiß, ob er todt oder schlafend abgebildet
war. Auf den Seiten des Sarkophags zeigten
sich in halberhobener Arbeit die Horen, die
traurend, mit verhülltem Angesicht, eine nach
der andern hinschlichen; über dem Monu-
ment befand sich das Gemälde der heiligen Cä-
cilia, der Beschützerin der Tonkunst und Erfin-
derin der Orgel. Florentin erschrack fast, als
er seine Augen zu dem Bilde aufhob; es war
die göttliche Muse, die in lichter, freudenrei-
cher Glorie des großen Gedankens, über Tod
und Trauer siegend schwebte.

Das Gemälde jener heiligen Anna, das
ihn, als er es zuerst gesehen, so ergriffen hatte,
war nur ein schwacher Abglanz dieser Herrlich-
keit. Jm Anschauen verloren, vergaß er es
völlig, daß es Clementinens Porträt sey, von
dem er schon so viel gehört hatte. Nichts was

Florentin. I. 24

Der Orgel gegenuͤber befand ſich ein Mol
nument. Florentin ging naͤher hinzu, um es
zu betrachten. Auf einem Sarkophag ruhte
ein Genius in Geſtalt eines Kindes, die Fackel
entſank verloͤſchend ſeiner Hand; es war nicht
gewiß, ob er todt oder ſchlafend abgebildet
war. Auf den Seiten des Sarkophags zeigten
ſich in halberhobener Arbeit die Horen, die
traurend, mit verhuͤlltem Angeſicht, eine nach
der andern hinſchlichen; uͤber dem Monu-
ment befand ſich das Gemaͤlde der heiligen Caͤ-
cilia, der Beſchuͤtzerin der Tonkunſt und Erfin-
derin der Orgel. Florentin erſchrack faſt, als
er ſeine Augen zu dem Bilde aufhob; es war
die goͤttliche Muſe, die in lichter, freudenrei-
cher Glorie des großen Gedankens, uͤber Tod
und Trauer ſiegend ſchwebte.

Das Gemaͤlde jener heiligen Anna, das
ihn, als er es zuerſt geſehen, ſo ergriffen hatte,
war nur ein ſchwacher Abglanz dieſer Herrlich-
keit. Jm Anſchauen verloren, vergaß er es
voͤllig, daß es Clementinens Portraͤt ſey, von
dem er ſchon ſo viel gehoͤrt hatte. Nichts was

Florentin. I. 24
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[369/0377] Der Orgel gegenuͤber befand ſich ein Mol nument. Florentin ging naͤher hinzu, um es zu betrachten. Auf einem Sarkophag ruhte ein Genius in Geſtalt eines Kindes, die Fackel entſank verloͤſchend ſeiner Hand; es war nicht gewiß, ob er todt oder ſchlafend abgebildet war. Auf den Seiten des Sarkophags zeigten ſich in halberhobener Arbeit die Horen, die traurend, mit verhuͤlltem Angeſicht, eine nach der andern hinſchlichen; uͤber dem Monu- ment befand ſich das Gemaͤlde der heiligen Caͤ- cilia, der Beſchuͤtzerin der Tonkunſt und Erfin- derin der Orgel. Florentin erſchrack faſt, als er ſeine Augen zu dem Bilde aufhob; es war die goͤttliche Muſe, die in lichter, freudenrei- cher Glorie des großen Gedankens, uͤber Tod und Trauer ſiegend ſchwebte. Das Gemaͤlde jener heiligen Anna, das ihn, als er es zuerſt geſehen, ſo ergriffen hatte, war nur ein ſchwacher Abglanz dieſer Herrlich- keit. Jm Anſchauen verloren, vergaß er es voͤllig, daß es Clementinens Portraͤt ſey, von dem er ſchon ſo viel gehoͤrt hatte. Nichts was Florentin. I. 24

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Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/377>, abgerufen am 18.05.2024.