an Menschen und Menschenwerk erinnert, war seiner Seele dabey gegenwärtig, nie hatte er die Göttlichkeit der Musik so verstanden, als vor diesem Angesicht.
Die Sonne warf im Untersinken noch einen blendenden Strahl durch die hohen Fenster, die weißen Kerzen schimmerten blaß hindurch, alle Gegenstände lenchteten auf eine seltsame Weise, und bewegten sich wie Geister. Der Strahl fiel gerade auf das Gesicht der heiligen Cäcilia; Farben und Züge waren verschwun- den, es war nur ein blendender Glanz; Floren- tin hätte in die Knie sinken mögen vor dieser Herrlichkeit. --
Die Betenden standen auf; zuletzt erhob sich langsam von den Stufen des Altars die Gräfin Clementine. Es war eine edle schlan- ke Gestalt, etwas über die gewöhnliche Größe. Ein schwarzes glänzendes Kleid floß in rei- chen Falten bis zu ihren Füßen herab, und bedeckte die Arme bis zur weißen, feinen Hand. Auf der linken Seite trug sie ein Kreuz von Diamanten; ein langer schwarzer Schleyer verhüllte Kopf und Haare, so daß
an Menſchen und Menſchenwerk erinnert, war ſeiner Seele dabey gegenwaͤrtig, nie hatte er die Goͤttlichkeit der Muſik ſo verſtanden, als vor dieſem Angeſicht.
Die Sonne warf im Unterſinken noch einen blendenden Strahl durch die hohen Fenſter, die weißen Kerzen ſchimmerten blaß hindurch, alle Gegenſtaͤnde lenchteten auf eine ſeltſame Weiſe, und bewegten ſich wie Geiſter. Der Strahl fiel gerade auf das Geſicht der heiligen Caͤcilia; Farben und Zuͤge waren verſchwun- den, es war nur ein blendender Glanz; Floren- tin haͤtte in die Knie ſinken moͤgen vor dieſer Herrlichkeit. —
Die Betenden ſtanden auf; zuletzt erhob ſich langſam von den Stufen des Altars die Graͤfin Clementine. Es war eine edle ſchlan- ke Geſtalt, etwas uͤber die gewoͤhnliche Groͤße. Ein ſchwarzes glaͤnzendes Kleid floß in rei- chen Falten bis zu ihren Fuͤßen herab, und bedeckte die Arme bis zur weißen, feinen Hand. Auf der linken Seite trug ſie ein Kreuz von Diamanten; ein langer ſchwarzer Schleyer verhuͤllte Kopf und Haare, ſo daß
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an Menſchen und Menſchenwerk erinnert, war
ſeiner Seele dabey gegenwaͤrtig, nie hatte er
die Goͤttlichkeit der Muſik ſo verſtanden, als
vor dieſem Angeſicht.
Die Sonne warf im Unterſinken noch einen
blendenden Strahl durch die hohen Fenſter,
die weißen Kerzen ſchimmerten blaß hindurch,
alle Gegenſtaͤnde lenchteten auf eine ſeltſame
Weiſe, und bewegten ſich wie Geiſter. Der
Strahl fiel gerade auf das Geſicht der heiligen
Caͤcilia; Farben und Zuͤge waren verſchwun-
den, es war nur ein blendender Glanz; Floren-
tin haͤtte in die Knie ſinken moͤgen vor dieſer
Herrlichkeit. —
Die Betenden ſtanden auf; zuletzt erhob
ſich langſam von den Stufen des Altars die
Graͤfin Clementine. Es war eine edle ſchlan-
ke Geſtalt, etwas uͤber die gewoͤhnliche Groͤße.
Ein ſchwarzes glaͤnzendes Kleid floß in rei-
chen Falten bis zu ihren Fuͤßen herab, und
bedeckte die Arme bis zur weißen, feinen
Hand. Auf der linken Seite trug ſie ein
Kreuz von Diamanten; ein langer ſchwarzer
Schleyer verhuͤllte Kopf und Haare, ſo daß
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/378>, abgerufen am 25.05.2024.
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