Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801.

Bild:
<< vorherige Seite

kam eine schöne| sehr prächtig gekleidete Dame,
von zwey Herrn begleitet, mit der zurückkehren-
den Barke. Diese Dame liebkoste mich zärt-
lich, gab mir Spielzeug und Konfekt, und
ich mußte sie Mutter nennen. Einer von den
Herren, der auch schön und glänzend gekleidet
war, bezeigte meiner Mutter viel Aufmerksam-
keit, und war sehr freundlich gegen sie, so wie
sie auch gegen ihn. Dem andern Herrn, der,
wie ich nachmals erfahren habe, ein Geistlicher
war, begegneten beyde mit Ehrfurcht. Gegen
mich waren beyde unfreundlich; sie schalten
mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter
drängte oder nicht von ihrem Schooß fort wollte.
Sie waren mir beyde verhaßt, besonders der geist-
liche Herr, dessen Recht mich zu schelten ich im-
mer im Herzen bezweifelte. Der Stolz und die
Unfreundlichkeit der beyden Männer hatte einen
so verhaßten Eindruck auf mein kindliches Ge-
müth gemacht, daß ich sie fürchtete, und sie
niemals begrüßen oder anreden mochte, so sehr
meine Mutter darauf bestand. Empfindlichen
Kindern ist Härte und Unfreundlichkeit un-

kam eine ſchoͤne| ſehr praͤchtig gekleidete Dame,
von zwey Herrn begleitet, mit der zuruͤckkehren-
den Barke. Dieſe Dame liebkoſte mich zaͤrt-
lich, gab mir Spielzeug und Konfekt, und
ich mußte ſie Mutter nennen. Einer von den
Herren, der auch ſchoͤn und glaͤnzend gekleidet
war, bezeigte meiner Mutter viel Aufmerkſam-
keit, und war ſehr freundlich gegen ſie, ſo wie
ſie auch gegen ihn. Dem andern Herrn, der,
wie ich nachmals erfahren habe, ein Geiſtlicher
war, begegneten beyde mit Ehrfurcht. Gegen
mich waren beyde unfreundlich; ſie ſchalten
mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter
draͤngte oder nicht von ihrem Schooß fort wollte.
Sie waren mir beyde verhaßt, beſonders der geiſt-
liche Herr, deſſen Recht mich zu ſchelten ich im-
mer im Herzen bezweifelte. Der Stolz und die
Unfreundlichkeit der beyden Maͤnner hatte einen
ſo verhaßten Eindruck auf mein kindliches Ge-
muͤth gemacht, daß ich ſie fuͤrchtete, und ſie
niemals begruͤßen oder anreden mochte, ſo ſehr
meine Mutter darauf beſtand. Empfindlichen
Kindern iſt Haͤrte und Unfreundlichkeit un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0097" n="89"/>
kam eine &#x017F;cho&#x0364;ne| &#x017F;ehr pra&#x0364;chtig gekleidete Dame,<lb/>
von zwey Herrn begleitet, mit der zuru&#x0364;ckkehren-<lb/>
den Barke. Die&#x017F;e Dame liebko&#x017F;te mich za&#x0364;rt-<lb/>
lich, gab mir Spielzeug und Konfekt, und<lb/>
ich mußte &#x017F;ie Mutter nennen. Einer von den<lb/>
Herren, der auch &#x017F;cho&#x0364;n und gla&#x0364;nzend gekleidet<lb/>
war, bezeigte meiner Mutter viel Aufmerk&#x017F;am-<lb/>
keit, und war &#x017F;ehr freundlich gegen &#x017F;ie, &#x017F;o wie<lb/>
&#x017F;ie auch gegen ihn. Dem andern Herrn, der,<lb/>
wie ich nachmals erfahren habe, ein Gei&#x017F;tlicher<lb/>
war, begegneten beyde mit Ehrfurcht. Gegen<lb/>
mich waren beyde unfreundlich; &#x017F;ie &#x017F;chalten<lb/>
mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter<lb/>
dra&#x0364;ngte oder nicht von ihrem Schooß fort wollte.<lb/>
Sie waren mir beyde verhaßt, be&#x017F;onders der gei&#x017F;t-<lb/>
liche Herr, de&#x017F;&#x017F;en Recht mich zu &#x017F;chelten ich im-<lb/>
mer im Herzen bezweifelte. Der Stolz und die<lb/>
Unfreundlichkeit der beyden Ma&#x0364;nner hatte einen<lb/>
&#x017F;o verhaßten Eindruck auf mein kindliches Ge-<lb/>
mu&#x0364;th gemacht, daß ich &#x017F;ie fu&#x0364;rchtete, und &#x017F;ie<lb/>
niemals begru&#x0364;ßen oder anreden mochte, &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
meine Mutter darauf be&#x017F;tand. Empfindlichen<lb/>
Kindern i&#x017F;t Ha&#x0364;rte und Unfreundlichkeit un-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0097] kam eine ſchoͤne| ſehr praͤchtig gekleidete Dame, von zwey Herrn begleitet, mit der zuruͤckkehren- den Barke. Dieſe Dame liebkoſte mich zaͤrt- lich, gab mir Spielzeug und Konfekt, und ich mußte ſie Mutter nennen. Einer von den Herren, der auch ſchoͤn und glaͤnzend gekleidet war, bezeigte meiner Mutter viel Aufmerkſam- keit, und war ſehr freundlich gegen ſie, ſo wie ſie auch gegen ihn. Dem andern Herrn, der, wie ich nachmals erfahren habe, ein Geiſtlicher war, begegneten beyde mit Ehrfurcht. Gegen mich waren beyde unfreundlich; ſie ſchalten mich wenn ich mich zu nah an meine Mutter draͤngte oder nicht von ihrem Schooß fort wollte. Sie waren mir beyde verhaßt, beſonders der geiſt- liche Herr, deſſen Recht mich zu ſchelten ich im- mer im Herzen bezweifelte. Der Stolz und die Unfreundlichkeit der beyden Maͤnner hatte einen ſo verhaßten Eindruck auf mein kindliches Ge- muͤth gemacht, daß ich ſie fuͤrchtete, und ſie niemals begruͤßen oder anreden mochte, ſo ſehr meine Mutter darauf beſtand. Empfindlichen Kindern iſt Haͤrte und Unfreundlichkeit un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/97
Zitationshilfe: Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/97>, abgerufen am 04.12.2024.