zweifelhaft von der flüssigen Masse der Lymphe gewisse Be- standtheile in sich aufnimmt, zurückhält und dadurch auch die chemische Beschaffenheit der Flüssigkeit alterirt, so dass diese um so mehr verändert aus der Drüse hervortritt, als zugleich angenommen werden muss, dass die Drüse gewisse Bestand- theile an die Lymphe abgibt, welche vorher in derselben nicht vorhanden waren.
Ich will hier nicht auf minutiöse Verhältnisse eingehen, da die Geschichte jeder bösartigen Geschwulst die besten Beispiele für diesen Satz liefert. Wenn eine Achseldrüse kreb- sig wird, nachdem die Brustdrüse vorher krebsig erkrankt war, und wenn längere Zeit hindurch bloss die Achseldrüse krank bleibt, ohne dass die folgende Drüsenreihe oder irgend ein anderes Organ vom Krebs befallen wird, so können wir uns dies nicht anders vorstellen, als dass die Drüse die schäd- lichen, von der Brustdrüse her aufgenommenen Bestandtheile sammelt, dadurch eine Zeit lang dem Körper einen Schutz ge- währt, am Ende aber insufficient wird, ja vielleicht späterhin selbst eine neue Quelle selbständiger Infection für den Körper darstellt, indem von den kranken Theilen der Drüse aus die weitere Verbreitung des giftigen Stoffes stattfinden kann. Ebenso lehrreiche Beispiele liefert die Geschichte der Syphi- lis, wo der Bubo eine Zeit lang eine Ablagerungsstätte des Giftes werden kann, so dass die übrige Oekonomie in einer verhältnissmässig geringen Weise afficirt wird. Wie Ricord zeigte, findet sich die virulente Substanz gerade im Innern der eigentlichen Drüsensubstanz, während der Eiter im Umfange des Bubo frei davon ist; nur so weit die Theile in Contact kommen mit der zugeführten Lymphe, nehmen sie den viru- lenten Stoff in sich auf.
Wenden wir diese Erfahrungen auf die Eiterresorption an, so kann man selbst in dem Falle, dass wirklich Eiter in Lymphgefässe gelangt, durchaus nicht als nächste Folge da- von eine Inficirung des Blutes durch eitrige Bestandtheile er- schliessen; vielmehr wird wahrscheinlich innerhalb der Drüse eine Retention der Eiterkörperchen stattfinden, und auch die Flüssigkeiten, welche durch die Drüse hindurch gelangen, werden während des Durchganges einen grossen Theil ihrer
Neunte Vorlesung.
zweifelhaft von der flüssigen Masse der Lymphe gewisse Be- standtheile in sich aufnimmt, zurückhält und dadurch auch die chemische Beschaffenheit der Flüssigkeit alterirt, so dass diese um so mehr verändert aus der Drüse hervortritt, als zugleich angenommen werden muss, dass die Drüse gewisse Bestand- theile an die Lymphe abgibt, welche vorher in derselben nicht vorhanden waren.
Ich will hier nicht auf minutiöse Verhältnisse eingehen, da die Geschichte jeder bösartigen Geschwulst die besten Beispiele für diesen Satz liefert. Wenn eine Achseldrüse kreb- sig wird, nachdem die Brustdrüse vorher krebsig erkrankt war, und wenn längere Zeit hindurch bloss die Achseldrüse krank bleibt, ohne dass die folgende Drüsenreihe oder irgend ein anderes Organ vom Krebs befallen wird, so können wir uns dies nicht anders vorstellen, als dass die Drüse die schäd- lichen, von der Brustdrüse her aufgenommenen Bestandtheile sammelt, dadurch eine Zeit lang dem Körper einen Schutz ge- währt, am Ende aber insufficient wird, ja vielleicht späterhin selbst eine neue Quelle selbständiger Infection für den Körper darstellt, indem von den kranken Theilen der Drüse aus die weitere Verbreitung des giftigen Stoffes stattfinden kann. Ebenso lehrreiche Beispiele liefert die Geschichte der Syphi- lis, wo der Bubo eine Zeit lang eine Ablagerungsstätte des Giftes werden kann, so dass die übrige Oekonomie in einer verhältnissmässig geringen Weise afficirt wird. Wie Ricord zeigte, findet sich die virulente Substanz gerade im Innern der eigentlichen Drüsensubstanz, während der Eiter im Umfange des Bubo frei davon ist; nur so weit die Theile in Contact kommen mit der zugeführten Lymphe, nehmen sie den viru- lenten Stoff in sich auf.
Wenden wir diese Erfahrungen auf die Eiterresorption an, so kann man selbst in dem Falle, dass wirklich Eiter in Lymphgefässe gelangt, durchaus nicht als nächste Folge da- von eine Inficirung des Blutes durch eitrige Bestandtheile er- schliessen; vielmehr wird wahrscheinlich innerhalb der Drüse eine Retention der Eiterkörperchen stattfinden, und auch die Flüssigkeiten, welche durch die Drüse hindurch gelangen, werden während des Durchganges einen grossen Theil ihrer
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[168/0190]
Neunte Vorlesung.
zweifelhaft von der flüssigen Masse der Lymphe gewisse Be-
standtheile in sich aufnimmt, zurückhält und dadurch auch die
chemische Beschaffenheit der Flüssigkeit alterirt, so dass diese
um so mehr verändert aus der Drüse hervortritt, als zugleich
angenommen werden muss, dass die Drüse gewisse Bestand-
theile an die Lymphe abgibt, welche vorher in derselben nicht
vorhanden waren.
Ich will hier nicht auf minutiöse Verhältnisse eingehen,
da die Geschichte jeder bösartigen Geschwulst die besten
Beispiele für diesen Satz liefert. Wenn eine Achseldrüse kreb-
sig wird, nachdem die Brustdrüse vorher krebsig erkrankt
war, und wenn längere Zeit hindurch bloss die Achseldrüse
krank bleibt, ohne dass die folgende Drüsenreihe oder irgend
ein anderes Organ vom Krebs befallen wird, so können wir
uns dies nicht anders vorstellen, als dass die Drüse die schäd-
lichen, von der Brustdrüse her aufgenommenen Bestandtheile
sammelt, dadurch eine Zeit lang dem Körper einen Schutz ge-
währt, am Ende aber insufficient wird, ja vielleicht späterhin
selbst eine neue Quelle selbständiger Infection für den Körper
darstellt, indem von den kranken Theilen der Drüse aus die
weitere Verbreitung des giftigen Stoffes stattfinden kann.
Ebenso lehrreiche Beispiele liefert die Geschichte der Syphi-
lis, wo der Bubo eine Zeit lang eine Ablagerungsstätte des
Giftes werden kann, so dass die übrige Oekonomie in einer
verhältnissmässig geringen Weise afficirt wird. Wie Ricord
zeigte, findet sich die virulente Substanz gerade im Innern der
eigentlichen Drüsensubstanz, während der Eiter im Umfange
des Bubo frei davon ist; nur so weit die Theile in Contact
kommen mit der zugeführten Lymphe, nehmen sie den viru-
lenten Stoff in sich auf.
Wenden wir diese Erfahrungen auf die Eiterresorption
an, so kann man selbst in dem Falle, dass wirklich Eiter in
Lymphgefässe gelangt, durchaus nicht als nächste Folge da-
von eine Inficirung des Blutes durch eitrige Bestandtheile er-
schliessen; vielmehr wird wahrscheinlich innerhalb der Drüse
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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/190>, abgerufen am 21.11.2024.
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