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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Zwölfte Vorlesung.
kung auszuüben. Soll an einem kleinen Punkte des Körpers
Krebsmasse oder Eiter entstehen oder eine einfache Ernäh-
rungsstörung erfolgen, so bedarf der Neuropatholog einer Ein-
richtung, vermöge welcher das Centralorgan im Stande ist, der
Peripherie innerhalb ihrer kleinsten Bezirke seine Einwirkun-
gen zukommen zu lassen, irgend eines Weges, auf welchem
die Boten gehen können, welche nun einmal die Ordre nach
den entferntesten Punkten des Organismus zu bringen bestimmt
sind. Die wirkliche Erfahrung lehrt nichts der Art. Gerade
an den Stellen, wo wir eine so ausserordentlich vervielfältigte
Einrichtung der Endapparate kennen, wie ich sie Ihnen bei
den Sinnesorganen schilderte, haben die Nerven keine Bezie-
hung auf die Ernährung der Theile und insbesondere keine
nachweisbare Einwirkung auf elementare Theile. Fast an al-
len anderen Orten werden entweder ganze Flächen oder Organ-
Abschnitte in einer gleichmässigen Weise innervirt, oder es
werden von diesen Flächen oder Organ-Abschnitten aus Sam-
mel-Erregungen zu den Centren geführt. An vielen Theilen,
von denen wir allerdings nachweisen können, dass ein Nerven-
Einfluss auf sie stattfindet, z. B. an den kleinen und mittle-
ren Gefässen, wissen wir bis jetzt noch nicht einmal, wie weit
einzelne Abschnitte besondere Nervenfasern erhalten. So
schlecht sind die anatomischen Grundlagen der neuropatholo-
gischen Doctrin.

Es bleibt uns nun, meine Herren, nachdem wir die peri-
pherischen Einrichtungen des Nervenapparates besprochen ha-
ben, die wichtige Reihe der centralen Theile, oder im en-
geren Sinne, der Ganglien-Apparate. Wie ich schon neu-
lich hervorhob, so finden wir diese überwiegend da in den
Centren, wo graue Substanz lagert. Allein das bloss graue
Aussehen ist nicht entscheidend für die gangliöse Beschaffen-
heit eines Theiles; insbesondere darf man nicht glauben, dass
etwa die Ganglienzellen es seien, welche die graue Farbe we-
sentlich bedingen, denn an manchen Stellen finden wir graue
Masse, ohne dass Ganglienzellen vorhanden sind. So enthal-
ten die äussersten Schichten der Grosshirnrinde keine deutlichen
Ganglienzellen mehr, obwohl sie grau aussehen; hier findet

Zwölfte Vorlesung.
kung auszuüben. Soll an einem kleinen Punkte des Körpers
Krebsmasse oder Eiter entstehen oder eine einfache Ernäh-
rungsstörung erfolgen, so bedarf der Neuropatholog einer Ein-
richtung, vermöge welcher das Centralorgan im Stande ist, der
Peripherie innerhalb ihrer kleinsten Bezirke seine Einwirkun-
gen zukommen zu lassen, irgend eines Weges, auf welchem
die Boten gehen können, welche nun einmal die Ordre nach
den entferntesten Punkten des Organismus zu bringen bestimmt
sind. Die wirkliche Erfahrung lehrt nichts der Art. Gerade
an den Stellen, wo wir eine so ausserordentlich vervielfältigte
Einrichtung der Endapparate kennen, wie ich sie Ihnen bei
den Sinnesorganen schilderte, haben die Nerven keine Bezie-
hung auf die Ernährung der Theile und insbesondere keine
nachweisbare Einwirkung auf elementare Theile. Fast an al-
len anderen Orten werden entweder ganze Flächen oder Organ-
Abschnitte in einer gleichmässigen Weise innervirt, oder es
werden von diesen Flächen oder Organ-Abschnitten aus Sam-
mel-Erregungen zu den Centren geführt. An vielen Theilen,
von denen wir allerdings nachweisen können, dass ein Nerven-
Einfluss auf sie stattfindet, z. B. an den kleinen und mittle-
ren Gefässen, wissen wir bis jetzt noch nicht einmal, wie weit
einzelne Abschnitte besondere Nervenfasern erhalten. So
schlecht sind die anatomischen Grundlagen der neuropatholo-
gischen Doctrin.

Es bleibt uns nun, meine Herren, nachdem wir die peri-
pherischen Einrichtungen des Nervenapparates besprochen ha-
ben, die wichtige Reihe der centralen Theile, oder im en-
geren Sinne, der Ganglien-Apparate. Wie ich schon neu-
lich hervorhob, so finden wir diese überwiegend da in den
Centren, wo graue Substanz lagert. Allein das bloss graue
Aussehen ist nicht entscheidend für die gangliöse Beschaffen-
heit eines Theiles; insbesondere darf man nicht glauben, dass
etwa die Ganglienzellen es seien, welche die graue Farbe we-
sentlich bedingen, denn an manchen Stellen finden wir graue
Masse, ohne dass Ganglienzellen vorhanden sind. So enthal-
ten die äussersten Schichten der Grosshirnrinde keine deutlichen
Ganglienzellen mehr, obwohl sie grau aussehen; hier findet

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[230/0252] Zwölfte Vorlesung. kung auszuüben. Soll an einem kleinen Punkte des Körpers Krebsmasse oder Eiter entstehen oder eine einfache Ernäh- rungsstörung erfolgen, so bedarf der Neuropatholog einer Ein- richtung, vermöge welcher das Centralorgan im Stande ist, der Peripherie innerhalb ihrer kleinsten Bezirke seine Einwirkun- gen zukommen zu lassen, irgend eines Weges, auf welchem die Boten gehen können, welche nun einmal die Ordre nach den entferntesten Punkten des Organismus zu bringen bestimmt sind. Die wirkliche Erfahrung lehrt nichts der Art. Gerade an den Stellen, wo wir eine so ausserordentlich vervielfältigte Einrichtung der Endapparate kennen, wie ich sie Ihnen bei den Sinnesorganen schilderte, haben die Nerven keine Bezie- hung auf die Ernährung der Theile und insbesondere keine nachweisbare Einwirkung auf elementare Theile. Fast an al- len anderen Orten werden entweder ganze Flächen oder Organ- Abschnitte in einer gleichmässigen Weise innervirt, oder es werden von diesen Flächen oder Organ-Abschnitten aus Sam- mel-Erregungen zu den Centren geführt. An vielen Theilen, von denen wir allerdings nachweisen können, dass ein Nerven- Einfluss auf sie stattfindet, z. B. an den kleinen und mittle- ren Gefässen, wissen wir bis jetzt noch nicht einmal, wie weit einzelne Abschnitte besondere Nervenfasern erhalten. So schlecht sind die anatomischen Grundlagen der neuropatholo- gischen Doctrin. Es bleibt uns nun, meine Herren, nachdem wir die peri- pherischen Einrichtungen des Nervenapparates besprochen ha- ben, die wichtige Reihe der centralen Theile, oder im en- geren Sinne, der Ganglien-Apparate. Wie ich schon neu- lich hervorhob, so finden wir diese überwiegend da in den Centren, wo graue Substanz lagert. Allein das bloss graue Aussehen ist nicht entscheidend für die gangliöse Beschaffen- heit eines Theiles; insbesondere darf man nicht glauben, dass etwa die Ganglienzellen es seien, welche die graue Farbe we- sentlich bedingen, denn an manchen Stellen finden wir graue Masse, ohne dass Ganglienzellen vorhanden sind. So enthal- ten die äussersten Schichten der Grosshirnrinde keine deutlichen Ganglienzellen mehr, obwohl sie grau aussehen; hier findet

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/252>, abgerufen am 24.11.2024.