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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Dreizehnte Vorlesung.
Erscheinung eine von den übrigen Bindegewebsbildungen ver-
schiedene Masse repräsentirt, hat mich veranlasst, ihr einen
neuen Namen beizulegen, den der Neuroglia (Nervenkitt).
Die Ansicht, dass es sich um eine Bindegewebsmasse handele,
ist in der neueren Zeit von allen Seiten recipirt worden, allein
über die Ausdehnung, innerhalb deren man die einzelnen vor-
kommenden Gebilde dieser Substanz zuzurechnen hat, sind die
Meinungen noch getheilt. Schon als ich meine ersten weiter-
gehenden Untersuchungen über diese Theile anstellte, ergab es
sich, dass gewisse sternförmige Elemente, welche in der Mitte
des Rückenmarks, im Umfang des nachher genauer constatirten
Centralkanals, in dem von mir sogenannten centralen Epen-
dymfaden
vorkommen und welche bis dahin als Nervenzellen be-
trachtet worden waren, unzweifelhaft der Neuroglia angehörten.
Es ist dann späterhin, namentlich durch die Dorpater Schule
unter Bidder, eine Reihe von Untersuchungen publicirt wor-
den, in denen man eine grosse Zahl von Zellen des Rücken-
marks diesem Bindegewebe zugerechnet hat. Bidder selbst
fasste zuletzt alle Zellen, welche in der hinteren Hälfte des
Rückenmarks vorkommen, also auch die von Ihnen eben ge-
sehenen sympathischen und sensitiven Zellen als Bindegewebs-
körper auf. Auf der anderen Seite dagegen hat noch Jacu-
bowitsch
geläugnet, dass überhaupt im Hirn oder Rücken-
mark irgendwo zellige Theile des Bindegewebes vorkommen;
das freilich auch von ihm als Bindesubstanz aufgefasste Zwischen-
gewebe sei eine ganz amorphe, fein granulirte oder netzartige
Masse, welche durchaus nirgend körperliche Theile mit sich
führe. Innerhalb dieser Extreme, so glaube ich, ist es in der
That empirisch vollkommen gerechtfertigt, die Mitte zu halten.
Es kann, meiner Ueberzeugung nach, nicht bezweifelt werden,
dass die grossen Elemente, welche in dem Rückenmark die
hinteren Hörner durchsetzen, Nervenzellen sind, allein auf der
anderen Seite muss ebenso bestimmt behauptet werden, dass,
wo Neuroglia vorkommt, sie auch eine gewisse Zahl von zel-
ligen Elementen enthält. An der Oberfläche der Hirnventrikel
kommen gewöhnlich der Oberfläche parallel liegende Spindel-
zellen vor, ähnlich, wie man sie in anderen Bindegewebsarten
findet; diese werden unter Umständen grösser, und geben sich,

Dreizehnte Vorlesung.
Erscheinung eine von den übrigen Bindegewebsbildungen ver-
schiedene Masse repräsentirt, hat mich veranlasst, ihr einen
neuen Namen beizulegen, den der Neuroglia (Nervenkitt).
Die Ansicht, dass es sich um eine Bindegewebsmasse handele,
ist in der neueren Zeit von allen Seiten recipirt worden, allein
über die Ausdehnung, innerhalb deren man die einzelnen vor-
kommenden Gebilde dieser Substanz zuzurechnen hat, sind die
Meinungen noch getheilt. Schon als ich meine ersten weiter-
gehenden Untersuchungen über diese Theile anstellte, ergab es
sich, dass gewisse sternförmige Elemente, welche in der Mitte
des Rückenmarks, im Umfang des nachher genauer constatirten
Centralkanals, in dem von mir sogenannten centralen Epen-
dymfaden
vorkommen und welche bis dahin als Nervenzellen be-
trachtet worden waren, unzweifelhaft der Neuroglia angehörten.
Es ist dann späterhin, namentlich durch die Dorpater Schule
unter Bidder, eine Reihe von Untersuchungen publicirt wor-
den, in denen man eine grosse Zahl von Zellen des Rücken-
marks diesem Bindegewebe zugerechnet hat. Bidder selbst
fasste zuletzt alle Zellen, welche in der hinteren Hälfte des
Rückenmarks vorkommen, also auch die von Ihnen eben ge-
sehenen sympathischen und sensitiven Zellen als Bindegewebs-
körper auf. Auf der anderen Seite dagegen hat noch Jacu-
bowitsch
geläugnet, dass überhaupt im Hirn oder Rücken-
mark irgendwo zellige Theile des Bindegewebes vorkommen;
das freilich auch von ihm als Bindesubstanz aufgefasste Zwischen-
gewebe sei eine ganz amorphe, fein granulirte oder netzartige
Masse, welche durchaus nirgend körperliche Theile mit sich
führe. Innerhalb dieser Extreme, so glaube ich, ist es in der
That empirisch vollkommen gerechtfertigt, die Mitte zu halten.
Es kann, meiner Ueberzeugung nach, nicht bezweifelt werden,
dass die grossen Elemente, welche in dem Rückenmark die
hinteren Hörner durchsetzen, Nervenzellen sind, allein auf der
anderen Seite muss ebenso bestimmt behauptet werden, dass,
wo Neuroglia vorkommt, sie auch eine gewisse Zahl von zel-
ligen Elementen enthält. An der Oberfläche der Hirnventrikel
kommen gewöhnlich der Oberfläche parallel liegende Spindel-
zellen vor, ähnlich, wie man sie in anderen Bindegewebsarten
findet; diese werden unter Umständen grösser, und geben sich,

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[250/0272] Dreizehnte Vorlesung. Erscheinung eine von den übrigen Bindegewebsbildungen ver- schiedene Masse repräsentirt, hat mich veranlasst, ihr einen neuen Namen beizulegen, den der Neuroglia (Nervenkitt). Die Ansicht, dass es sich um eine Bindegewebsmasse handele, ist in der neueren Zeit von allen Seiten recipirt worden, allein über die Ausdehnung, innerhalb deren man die einzelnen vor- kommenden Gebilde dieser Substanz zuzurechnen hat, sind die Meinungen noch getheilt. Schon als ich meine ersten weiter- gehenden Untersuchungen über diese Theile anstellte, ergab es sich, dass gewisse sternförmige Elemente, welche in der Mitte des Rückenmarks, im Umfang des nachher genauer constatirten Centralkanals, in dem von mir sogenannten centralen Epen- dymfaden vorkommen und welche bis dahin als Nervenzellen be- trachtet worden waren, unzweifelhaft der Neuroglia angehörten. Es ist dann späterhin, namentlich durch die Dorpater Schule unter Bidder, eine Reihe von Untersuchungen publicirt wor- den, in denen man eine grosse Zahl von Zellen des Rücken- marks diesem Bindegewebe zugerechnet hat. Bidder selbst fasste zuletzt alle Zellen, welche in der hinteren Hälfte des Rückenmarks vorkommen, also auch die von Ihnen eben ge- sehenen sympathischen und sensitiven Zellen als Bindegewebs- körper auf. Auf der anderen Seite dagegen hat noch Jacu- bowitsch geläugnet, dass überhaupt im Hirn oder Rücken- mark irgendwo zellige Theile des Bindegewebes vorkommen; das freilich auch von ihm als Bindesubstanz aufgefasste Zwischen- gewebe sei eine ganz amorphe, fein granulirte oder netzartige Masse, welche durchaus nirgend körperliche Theile mit sich führe. Innerhalb dieser Extreme, so glaube ich, ist es in der That empirisch vollkommen gerechtfertigt, die Mitte zu halten. Es kann, meiner Ueberzeugung nach, nicht bezweifelt werden, dass die grossen Elemente, welche in dem Rückenmark die hinteren Hörner durchsetzen, Nervenzellen sind, allein auf der anderen Seite muss ebenso bestimmt behauptet werden, dass, wo Neuroglia vorkommt, sie auch eine gewisse Zahl von zel- ligen Elementen enthält. An der Oberfläche der Hirnventrikel kommen gewöhnlich der Oberfläche parallel liegende Spindel- zellen vor, ähnlich, wie man sie in anderen Bindegewebsarten findet; diese werden unter Umständen grösser, und geben sich,

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/272>, abgerufen am 24.11.2024.