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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Form und Wesen der Neubildungen.
Unterschied. Wenn Sie z. B. ein breites Condylom, den
Schleimtuberkel oder die Plaque muqueuse von Ricord be-
trachten, so finden Sie unter der an sich noch glatten Ober-
haut die Papillen sich vergrössernd und endlich in ästige Fi-
guren auswachsend, so dass sie förmliche Bäume darstellen.
Diese Form des Condyloms kann aber verbunden sein mit
einer krebsigen Entwickelung. An der Haut sehen wir das
verhältnissmässig weniger häufig als an verschiedenen Schleim-
häuten. Hier kann es kommen, dass wirklicher Krebs in den
Zotten sitzt. Es ist dies ja an sich gar nichts Auffälliges.
Die Papille besteht aus Bindegewebe, wie die Haut, auf wel-
cher sie sitzt; es kann also innerhalb der Papillen vom
Bindegewebe aus eine Entwickelung von Krebsmasse stattfin-
den, wie von dem Bindegewebe der Haut. Nun lässt sich an-
dererseits nicht läugnen, dass diese Besonderheit der Ober-
flächen-Bildung sehr häufig gewisse Eigenthümlichkeiten des
Verlaufes erklärt, wodurch eine Papillärgeschwulst von der-
selben Art von Geschwulst, welche nicht papillär ist, sich auf-
fallend unterscheidet. Jemand kann einen Blasenkrebs, wenn
derselbe einfach in der Wand sitzt, sehr lange tragen, ohne
dass in der Art der Absonderung, welche mit dem Harn ent-
leert werden muss, andere Veränderungen zu bestehen brauchen,
als die eines einfachen Katarrhs. Sobald dagegen eine Zotten-
bildung an der Oberfläche stattfindet, so ist nichts gewöhn-
licher, als dass sich Hämaturie damit complicirt, aus dem
einfachen Grunde, weil jede Zotte auf der Harnblasenwand nicht
mit einem festen Epidermisstratum überzogen wird, sondern
unter einem losen Epithel fast frei zu Tage liegt. In das Innere
der Zotten treten grosse Gefässschlingen ein, welche bis an
die äusserste Oberfläche reichen; jede erhebliche mechanische
Einwirkung gibt daher ein Moment für Hyperämie und Berstung
der Zotten ab. Eine krampfhafte Zusammenziehung der Harn-
blase treibt, indem die Fläche, auf welcher die Zotten aufsitzen,
sich verkürzt, das Blut in die Zottenspitzen, und wenn nun noch
die mechanische Friction der Flächen hinzukommt, so ist nichts
leichter, als dass eine bald mehr bald weniger beträchtliche
Blutung erfolgt. Damit aber eine solche Blutaustretung zu
Stande komme, ist es durchaus unnöthig, dass die Papillarge-

Form und Wesen der Neubildungen.
Unterschied. Wenn Sie z. B. ein breites Condylom, den
Schleimtuberkel oder die Plaque muqueuse von Ricord be-
trachten, so finden Sie unter der an sich noch glatten Ober-
haut die Papillen sich vergrössernd und endlich in ästige Fi-
guren auswachsend, so dass sie förmliche Bäume darstellen.
Diese Form des Condyloms kann aber verbunden sein mit
einer krebsigen Entwickelung. An der Haut sehen wir das
verhältnissmässig weniger häufig als an verschiedenen Schleim-
häuten. Hier kann es kommen, dass wirklicher Krebs in den
Zotten sitzt. Es ist dies ja an sich gar nichts Auffälliges.
Die Papille besteht aus Bindegewebe, wie die Haut, auf wel-
cher sie sitzt; es kann also innerhalb der Papillen vom
Bindegewebe aus eine Entwickelung von Krebsmasse stattfin-
den, wie von dem Bindegewebe der Haut. Nun lässt sich an-
dererseits nicht läugnen, dass diese Besonderheit der Ober-
flächen-Bildung sehr häufig gewisse Eigenthümlichkeiten des
Verlaufes erklärt, wodurch eine Papillärgeschwulst von der-
selben Art von Geschwulst, welche nicht papillär ist, sich auf-
fallend unterscheidet. Jemand kann einen Blasenkrebs, wenn
derselbe einfach in der Wand sitzt, sehr lange tragen, ohne
dass in der Art der Absonderung, welche mit dem Harn ent-
leert werden muss, andere Veränderungen zu bestehen brauchen,
als die eines einfachen Katarrhs. Sobald dagegen eine Zotten-
bildung an der Oberfläche stattfindet, so ist nichts gewöhn-
licher, als dass sich Hämaturie damit complicirt, aus dem
einfachen Grunde, weil jede Zotte auf der Harnblasenwand nicht
mit einem festen Epidermisstratum überzogen wird, sondern
unter einem losen Epithel fast frei zu Tage liegt. In das Innere
der Zotten treten grosse Gefässschlingen ein, welche bis an
die äusserste Oberfläche reichen; jede erhebliche mechanische
Einwirkung gibt daher ein Moment für Hyperämie und Berstung
der Zotten ab. Eine krampfhafte Zusammenziehung der Harn-
blase treibt, indem die Fläche, auf welcher die Zotten aufsitzen,
sich verkürzt, das Blut in die Zottenspitzen, und wenn nun noch
die mechanische Friction der Flächen hinzukommt, so ist nichts
leichter, als dass eine bald mehr bald weniger beträchtliche
Blutung erfolgt. Damit aber eine solche Blutaustretung zu
Stande komme, ist es durchaus unnöthig, dass die Papillarge-

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[415/0437] Form und Wesen der Neubildungen. Unterschied. Wenn Sie z. B. ein breites Condylom, den Schleimtuberkel oder die Plaque muqueuse von Ricord be- trachten, so finden Sie unter der an sich noch glatten Ober- haut die Papillen sich vergrössernd und endlich in ästige Fi- guren auswachsend, so dass sie förmliche Bäume darstellen. Diese Form des Condyloms kann aber verbunden sein mit einer krebsigen Entwickelung. An der Haut sehen wir das verhältnissmässig weniger häufig als an verschiedenen Schleim- häuten. Hier kann es kommen, dass wirklicher Krebs in den Zotten sitzt. Es ist dies ja an sich gar nichts Auffälliges. Die Papille besteht aus Bindegewebe, wie die Haut, auf wel- cher sie sitzt; es kann also innerhalb der Papillen vom Bindegewebe aus eine Entwickelung von Krebsmasse stattfin- den, wie von dem Bindegewebe der Haut. Nun lässt sich an- dererseits nicht läugnen, dass diese Besonderheit der Ober- flächen-Bildung sehr häufig gewisse Eigenthümlichkeiten des Verlaufes erklärt, wodurch eine Papillärgeschwulst von der- selben Art von Geschwulst, welche nicht papillär ist, sich auf- fallend unterscheidet. Jemand kann einen Blasenkrebs, wenn derselbe einfach in der Wand sitzt, sehr lange tragen, ohne dass in der Art der Absonderung, welche mit dem Harn ent- leert werden muss, andere Veränderungen zu bestehen brauchen, als die eines einfachen Katarrhs. Sobald dagegen eine Zotten- bildung an der Oberfläche stattfindet, so ist nichts gewöhn- licher, als dass sich Hämaturie damit complicirt, aus dem einfachen Grunde, weil jede Zotte auf der Harnblasenwand nicht mit einem festen Epidermisstratum überzogen wird, sondern unter einem losen Epithel fast frei zu Tage liegt. In das Innere der Zotten treten grosse Gefässschlingen ein, welche bis an die äusserste Oberfläche reichen; jede erhebliche mechanische Einwirkung gibt daher ein Moment für Hyperämie und Berstung der Zotten ab. Eine krampfhafte Zusammenziehung der Harn- blase treibt, indem die Fläche, auf welcher die Zotten aufsitzen, sich verkürzt, das Blut in die Zottenspitzen, und wenn nun noch die mechanische Friction der Flächen hinzukommt, so ist nichts leichter, als dass eine bald mehr bald weniger beträchtliche Blutung erfolgt. Damit aber eine solche Blutaustretung zu Stande komme, ist es durchaus unnöthig, dass die Papillarge-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/437>, abgerufen am 27.11.2024.