Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwanzigste Vorlesung.
schwulst krebsig ist. Ich habe Fälle gesehen, wo Jahre lang
von Zeit zu Zeit unstillbare Blutungen wiederkehrten, unter
denen die Kranken endlich anämisch zu Grunde gingen, und
wo nicht die Spur von einer krebsigen Infiltration des Grundes
oder der Zotten existirte, sondern wo es eine ganz einfache
Papillargeschwulst war, eine gutartige Bildung, welche an der
Oberfläche der Haut mit Leichtigkeit hätte abgeschnitten oder
abgebunden werden können, welche aber bei der Verborgen-
heit des Sitzes hier eine Reihe von Erscheinungen mit sich
brachte, die man bei Lebzeiten nicht anders, als auf eine wirk-
lich bösartige Neubildung zu beziehen wusste.

Ganz ähnlich verhält es sich mit den viel discutirten
Blumenkohl-Geschwülsten, wie wir sie sowohl an der
Oberfläche der Genitalien des Mannes, als auch der Frau sehen.
Bei dem Manne, wo diese Papillärgeschwülste die Corona
glandis umkränzen, ausgehend vom Praeputium, sind sie
meistentheils von einer sehr dicken Epithel-Lage überzogen,
so dass auch bei der Ulceration sie kaum eine erhebliche
Absonderung liefern. Bei der Frau dagegen, wo die Geschwulst
am Collum uteri, einem sehr gefässreichen, mit einem schwachen
Epithelstratum versehenen, von Natur mit einem grossen Pa-
pillarlager überzogenen Theile sich findet, bedingt sie meisten-
theils sehr frühzeitig starke Transsudationen und bei Gelegen-
heit hämorrhagische Austretungen von fleischwasserartiger oder
wirklich rother, cruenter Flüssigkeit. Hier ist man häufig im
Zweifel gewesen, um was es sich handelt. Ich habe es selbst
erlebt, dass ein sehr renommirter junger Chirurg in die Klinik
von Dieffenbach kam, welcher eben einen Penis wegen
"Carcinom" amputirte, und dass der junge Chirurg nachher
erklärte, es sei ein einfaches Condylom gewesen. Hinwiederum
habe ich Fälle untersucht, wo man Jahre lang an diesen
Dingen herumkurirt hat, als ob es syphilitische Condylome
wären, weil die äussere Erscheinung so überaus analog und
es so überaus schwierig ist, das Kriterium zu ermitteln, wel-
ches genau die Entscheidung gibt, ob die Bildung nur der
Oberfläche angehört oder ob sie complicirt ist mit der Erkran-
kung des unterliegenden Gewebes. Es gibt allerdings heute
sehr viele Anatomen und Chirurgen, welche die Vorstellung

Zwanzigste Vorlesung.
schwulst krebsig ist. Ich habe Fälle gesehen, wo Jahre lang
von Zeit zu Zeit unstillbare Blutungen wiederkehrten, unter
denen die Kranken endlich anämisch zu Grunde gingen, und
wo nicht die Spur von einer krebsigen Infiltration des Grundes
oder der Zotten existirte, sondern wo es eine ganz einfache
Papillargeschwulst war, eine gutartige Bildung, welche an der
Oberfläche der Haut mit Leichtigkeit hätte abgeschnitten oder
abgebunden werden können, welche aber bei der Verborgen-
heit des Sitzes hier eine Reihe von Erscheinungen mit sich
brachte, die man bei Lebzeiten nicht anders, als auf eine wirk-
lich bösartige Neubildung zu beziehen wusste.

Ganz ähnlich verhält es sich mit den viel discutirten
Blumenkohl-Geschwülsten, wie wir sie sowohl an der
Oberfläche der Genitalien des Mannes, als auch der Frau sehen.
Bei dem Manne, wo diese Papillärgeschwülste die Corona
glandis umkränzen, ausgehend vom Praeputium, sind sie
meistentheils von einer sehr dicken Epithel-Lage überzogen,
so dass auch bei der Ulceration sie kaum eine erhebliche
Absonderung liefern. Bei der Frau dagegen, wo die Geschwulst
am Collum uteri, einem sehr gefässreichen, mit einem schwachen
Epithelstratum versehenen, von Natur mit einem grossen Pa-
pillarlager überzogenen Theile sich findet, bedingt sie meisten-
theils sehr frühzeitig starke Transsudationen und bei Gelegen-
heit hämorrhagische Austretungen von fleischwasserartiger oder
wirklich rother, cruenter Flüssigkeit. Hier ist man häufig im
Zweifel gewesen, um was es sich handelt. Ich habe es selbst
erlebt, dass ein sehr renommirter junger Chirurg in die Klinik
von Dieffenbach kam, welcher eben einen Penis wegen
„Carcinom“ amputirte, und dass der junge Chirurg nachher
erklärte, es sei ein einfaches Condylom gewesen. Hinwiederum
habe ich Fälle untersucht, wo man Jahre lang an diesen
Dingen herumkurirt hat, als ob es syphilitische Condylome
wären, weil die äussere Erscheinung so überaus analog und
es so überaus schwierig ist, das Kriterium zu ermitteln, wel-
ches genau die Entscheidung gibt, ob die Bildung nur der
Oberfläche angehört oder ob sie complicirt ist mit der Erkran-
kung des unterliegenden Gewebes. Es gibt allerdings heute
sehr viele Anatomen und Chirurgen, welche die Vorstellung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0438" n="416"/><fw place="top" type="header">Zwanzigste Vorlesung.</fw><lb/>
schwulst krebsig ist. Ich habe Fälle gesehen, wo Jahre lang<lb/>
von Zeit zu Zeit unstillbare Blutungen wiederkehrten, unter<lb/>
denen die Kranken endlich anämisch zu Grunde gingen, und<lb/>
wo nicht die Spur von einer krebsigen Infiltration des Grundes<lb/>
oder der Zotten existirte, sondern wo es eine ganz einfache<lb/>
Papillargeschwulst war, eine gutartige Bildung, welche an der<lb/>
Oberfläche der Haut mit Leichtigkeit hätte abgeschnitten oder<lb/>
abgebunden werden können, welche aber bei der Verborgen-<lb/>
heit des Sitzes hier eine Reihe von Erscheinungen mit sich<lb/>
brachte, die man bei Lebzeiten nicht anders, als auf eine wirk-<lb/>
lich bösartige Neubildung zu beziehen wusste.</p><lb/>
        <p>Ganz ähnlich verhält es sich mit den viel discutirten<lb/><hi rendition="#g">Blumenkohl-Geschwülsten</hi>, wie wir sie sowohl an der<lb/>
Oberfläche der Genitalien des Mannes, als auch der Frau sehen.<lb/>
Bei dem Manne, wo diese Papillärgeschwülste die Corona<lb/>
glandis umkränzen, ausgehend vom Praeputium, sind sie<lb/>
meistentheils von einer sehr dicken Epithel-Lage überzogen,<lb/>
so dass auch bei der Ulceration sie kaum eine erhebliche<lb/>
Absonderung liefern. Bei der Frau dagegen, wo die Geschwulst<lb/>
am Collum uteri, einem sehr gefässreichen, mit einem schwachen<lb/>
Epithelstratum versehenen, von Natur mit einem grossen Pa-<lb/>
pillarlager überzogenen Theile sich findet, bedingt sie meisten-<lb/>
theils sehr frühzeitig starke Transsudationen und bei Gelegen-<lb/>
heit hämorrhagische Austretungen von fleischwasserartiger oder<lb/>
wirklich rother, cruenter Flüssigkeit. Hier ist man häufig im<lb/>
Zweifel gewesen, um was es sich handelt. Ich habe es selbst<lb/>
erlebt, dass ein sehr renommirter junger Chirurg in die Klinik<lb/>
von <hi rendition="#g">Dieffenbach</hi> kam, welcher eben einen Penis wegen<lb/>
&#x201E;Carcinom&#x201C; amputirte, und dass der junge Chirurg nachher<lb/>
erklärte, es sei ein einfaches Condylom gewesen. Hinwiederum<lb/>
habe ich Fälle untersucht, wo man Jahre lang an diesen<lb/>
Dingen herumkurirt hat, als ob es syphilitische Condylome<lb/>
wären, weil die äussere Erscheinung so überaus analog und<lb/>
es so überaus schwierig ist, das Kriterium zu ermitteln, wel-<lb/>
ches genau die Entscheidung gibt, ob die Bildung nur der<lb/>
Oberfläche angehört oder ob sie complicirt ist mit der Erkran-<lb/>
kung des unterliegenden Gewebes. Es gibt allerdings heute<lb/>
sehr viele Anatomen und Chirurgen, welche die Vorstellung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0438] Zwanzigste Vorlesung. schwulst krebsig ist. Ich habe Fälle gesehen, wo Jahre lang von Zeit zu Zeit unstillbare Blutungen wiederkehrten, unter denen die Kranken endlich anämisch zu Grunde gingen, und wo nicht die Spur von einer krebsigen Infiltration des Grundes oder der Zotten existirte, sondern wo es eine ganz einfache Papillargeschwulst war, eine gutartige Bildung, welche an der Oberfläche der Haut mit Leichtigkeit hätte abgeschnitten oder abgebunden werden können, welche aber bei der Verborgen- heit des Sitzes hier eine Reihe von Erscheinungen mit sich brachte, die man bei Lebzeiten nicht anders, als auf eine wirk- lich bösartige Neubildung zu beziehen wusste. Ganz ähnlich verhält es sich mit den viel discutirten Blumenkohl-Geschwülsten, wie wir sie sowohl an der Oberfläche der Genitalien des Mannes, als auch der Frau sehen. Bei dem Manne, wo diese Papillärgeschwülste die Corona glandis umkränzen, ausgehend vom Praeputium, sind sie meistentheils von einer sehr dicken Epithel-Lage überzogen, so dass auch bei der Ulceration sie kaum eine erhebliche Absonderung liefern. Bei der Frau dagegen, wo die Geschwulst am Collum uteri, einem sehr gefässreichen, mit einem schwachen Epithelstratum versehenen, von Natur mit einem grossen Pa- pillarlager überzogenen Theile sich findet, bedingt sie meisten- theils sehr frühzeitig starke Transsudationen und bei Gelegen- heit hämorrhagische Austretungen von fleischwasserartiger oder wirklich rother, cruenter Flüssigkeit. Hier ist man häufig im Zweifel gewesen, um was es sich handelt. Ich habe es selbst erlebt, dass ein sehr renommirter junger Chirurg in die Klinik von Dieffenbach kam, welcher eben einen Penis wegen „Carcinom“ amputirte, und dass der junge Chirurg nachher erklärte, es sei ein einfaches Condylom gewesen. Hinwiederum habe ich Fälle untersucht, wo man Jahre lang an diesen Dingen herumkurirt hat, als ob es syphilitische Condylome wären, weil die äussere Erscheinung so überaus analog und es so überaus schwierig ist, das Kriterium zu ermitteln, wel- ches genau die Entscheidung gibt, ob die Bildung nur der Oberfläche angehört oder ob sie complicirt ist mit der Erkran- kung des unterliegenden Gewebes. Es gibt allerdings heute sehr viele Anatomen und Chirurgen, welche die Vorstellung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/438
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/438>, abgerufen am 27.11.2024.