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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Dritte Vorlesung.
Umstand, dass entweder mehr die Längs- oder mehr die Quer-
muskulatur entwickelt ist.

Ich habe Sie deshalb hierauf aufmerksam gemacht, weil
Sie daraus ersehen können, wie eine einfache anatomische Ent-
deckung die wichtigsten Aufschlüsse zum Theil ganz weit aus-
einanderliegender physiologischer Erfahrungen gibt, und wie
an den Nachweis bestimmter morphologischer Elemente sofort
die wichtigsten Verdeutlichungen von Functionen geknüpft
werden können, die ohne solche Voraussetzung ganz unbe-
greiflich sein würden. --

Ich übergehe es hier, über die feineren Einrichtungen des
Nervenapparates zu sprechen, weil ich später im Zusammen-
hange darauf zurückkommen werde; dies würde sonst der
Gegenstand sein, welcher hier zunächst anzuschliessen wäre,
weil zwischen Muskel- und Nervenfasern in der Einrichtung
vielfache Aehnlichkeiten bestehen. Allein bei den Nerven
treten die Ganglienzellen hinzu, welche die einzelnen Fasern
untereinander verbinden, und welche als die wichtigsten Sammel-
punkte des ganzen Nervenlebens betrachtet werden müssen.

Auch über die Einrichtung des Gefässapparates will ich
hier nicht im Zusammenhange handeln und nur so viel sagen,
als nöthig, um eine vorläufige Anschauung zu geben.

Das Capillar-Gefäss ist eine einfache Röhre (Fig. 3 c.)
an der wir mit unseren Hülfsmitteln bis jetzt nur eine ein-
fache Haut wahrnehmen, welche von Strecke zu Strecke mit
platten Kernen besetzt ist, welche, wenn sie auf der Fläche
des Gefässes gesehen werden, dieselbe Erscheinung darbieten,
wie bei den Muskelelementen, welche aber gewöhnlich mehr
am Rande liegen und daher häufig pfriemenförmig erscheinen,
indem man nur ihre scharfe Kante wahrnimmt. Diese ein-
fachste Form der Gefässe ist es, welche wir heut zu Tage
einzig und allein Capillaren nennen, und von denen wir nicht
sagen können, dass sie sich durch eigene Thätigkeit erweitern
oder verengern, höchstens dass ihre Elasticität eine gewisse
Verengung möglich macht. Nirgends handelt es sich bei ihnen
um eigentliche Vorgänge der Contraction oder des Nachlasses
derselben. Die früheren Discussionen über die Contractilität
der Capillaren sind wesentlich auf kleine Arterien und Venen

Dritte Vorlesung.
Umstand, dass entweder mehr die Längs- oder mehr die Quer-
muskulatur entwickelt ist.

Ich habe Sie deshalb hierauf aufmerksam gemacht, weil
Sie daraus ersehen können, wie eine einfache anatomische Ent-
deckung die wichtigsten Aufschlüsse zum Theil ganz weit aus-
einanderliegender physiologischer Erfahrungen gibt, und wie
an den Nachweis bestimmter morphologischer Elemente sofort
die wichtigsten Verdeutlichungen von Functionen geknüpft
werden können, die ohne solche Voraussetzung ganz unbe-
greiflich sein würden. —

Ich übergehe es hier, über die feineren Einrichtungen des
Nervenapparates zu sprechen, weil ich später im Zusammen-
hange darauf zurückkommen werde; dies würde sonst der
Gegenstand sein, welcher hier zunächst anzuschliessen wäre,
weil zwischen Muskel- und Nervenfasern in der Einrichtung
vielfache Aehnlichkeiten bestehen. Allein bei den Nerven
treten die Ganglienzellen hinzu, welche die einzelnen Fasern
untereinander verbinden, und welche als die wichtigsten Sammel-
punkte des ganzen Nervenlebens betrachtet werden müssen.

Auch über die Einrichtung des Gefässapparates will ich
hier nicht im Zusammenhange handeln und nur so viel sagen,
als nöthig, um eine vorläufige Anschauung zu geben.

Das Capillar-Gefäss ist eine einfache Röhre (Fig. 3 c.)
an der wir mit unseren Hülfsmitteln bis jetzt nur eine ein-
fache Haut wahrnehmen, welche von Strecke zu Strecke mit
platten Kernen besetzt ist, welche, wenn sie auf der Fläche
des Gefässes gesehen werden, dieselbe Erscheinung darbieten,
wie bei den Muskelelementen, welche aber gewöhnlich mehr
am Rande liegen und daher häufig pfriemenförmig erscheinen,
indem man nur ihre scharfe Kante wahrnimmt. Diese ein-
fachste Form der Gefässe ist es, welche wir heut zu Tage
einzig und allein Capillaren nennen, und von denen wir nicht
sagen können, dass sie sich durch eigene Thätigkeit erweitern
oder verengern, höchstens dass ihre Elasticität eine gewisse
Verengung möglich macht. Nirgends handelt es sich bei ihnen
um eigentliche Vorgänge der Contraction oder des Nachlasses
derselben. Die früheren Discussionen über die Contractilität
der Capillaren sind wesentlich auf kleine Arterien und Venen

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[52/0074] Dritte Vorlesung. Umstand, dass entweder mehr die Längs- oder mehr die Quer- muskulatur entwickelt ist. Ich habe Sie deshalb hierauf aufmerksam gemacht, weil Sie daraus ersehen können, wie eine einfache anatomische Ent- deckung die wichtigsten Aufschlüsse zum Theil ganz weit aus- einanderliegender physiologischer Erfahrungen gibt, und wie an den Nachweis bestimmter morphologischer Elemente sofort die wichtigsten Verdeutlichungen von Functionen geknüpft werden können, die ohne solche Voraussetzung ganz unbe- greiflich sein würden. — Ich übergehe es hier, über die feineren Einrichtungen des Nervenapparates zu sprechen, weil ich später im Zusammen- hange darauf zurückkommen werde; dies würde sonst der Gegenstand sein, welcher hier zunächst anzuschliessen wäre, weil zwischen Muskel- und Nervenfasern in der Einrichtung vielfache Aehnlichkeiten bestehen. Allein bei den Nerven treten die Ganglienzellen hinzu, welche die einzelnen Fasern untereinander verbinden, und welche als die wichtigsten Sammel- punkte des ganzen Nervenlebens betrachtet werden müssen. Auch über die Einrichtung des Gefässapparates will ich hier nicht im Zusammenhange handeln und nur so viel sagen, als nöthig, um eine vorläufige Anschauung zu geben. Das Capillar-Gefäss ist eine einfache Röhre (Fig. 3 c.) an der wir mit unseren Hülfsmitteln bis jetzt nur eine ein- fache Haut wahrnehmen, welche von Strecke zu Strecke mit platten Kernen besetzt ist, welche, wenn sie auf der Fläche des Gefässes gesehen werden, dieselbe Erscheinung darbieten, wie bei den Muskelelementen, welche aber gewöhnlich mehr am Rande liegen und daher häufig pfriemenförmig erscheinen, indem man nur ihre scharfe Kante wahrnimmt. Diese ein- fachste Form der Gefässe ist es, welche wir heut zu Tage einzig und allein Capillaren nennen, und von denen wir nicht sagen können, dass sie sich durch eigene Thätigkeit erweitern oder verengern, höchstens dass ihre Elasticität eine gewisse Verengung möglich macht. Nirgends handelt es sich bei ihnen um eigentliche Vorgänge der Contraction oder des Nachlasses derselben. Die früheren Discussionen über die Contractilität der Capillaren sind wesentlich auf kleine Arterien und Venen

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/74>, abgerufen am 24.11.2024.