des Allgemeinen gegenüber seiner Wirklichkeit im Besondern als eine Hypostase und so kommt das Abbild gegen das Urbild zu kurz; was aber insbesondere die Idee des Schönen betrifft, so muß jene Fixirung noch einen weitern Uebelstand zur Folge haben. Da nämlich das, was diese vom Wahren und Guten unterscheidet, die sinnliche Form, eben in der Welt des Abbilds, in der Gegenwart der Sinnenwelt zu Hause ist, so kann es mit der Aufnahme dieses unterscheidenden Kennzeichens in die Idee des Schönen eben um dieser Jenseitigkeit willen kein rechter Ernst seyn und daher wird nicht nur das Abbild mißtrauisch angesehen, sondern auch das Urbild wieder mit dem rein geistigen Wesen der Ideen, die dem denkenden Geiste und dem Innern der Gesinnung angehören, des Guten und Wahren, confundirt. Wo daher Plato die Idee des Schönen verfolgen soll in ihre Verwirklichung, da benützt er jenes Moment des Unterschieds nicht. Denn zwar heißt es im Philebus, das Schöne entstehe, wenn metriotes und summetria durch die ordnende königliche Seele des Zeus in die Mannigfaltigkeit, wenn to peras in das apeiron und ametron trete, und wenn nun weiter die Tugenden einer wohlgeordneten Seele, Weisheit und Gerechtigkeit, als der wahre Inhalt des Schönen dargestellt werden, so hätten wir, da die königliche Seele des Zeus zunächst die Naturordnung ist, das Ergebniß: das Schöne ist der göttliche Geist, wie er sich in der Natur und in der sittlichen Welt durch die Harmonie der Form offenbart. Allein im Symposion, im Phädrus, im Timäus, im Staat wird nun Seelenschönheit und körperliche Schönheit so unterschieden, daß die erstere allein als wahre Schönheit, die letztere nicht als ihr Ausdruck, sondern nur als ihr Symbol erscheint; es handelt sich darum, zu zeigen, wie die nicht rein ästhetische, sondern begierdevolle Liebe zu der letzteren in eine sittliche und erziehende zu der ersteren verwandelt werden soll, im Timäus wird ausdrücklich gesagt, alles Gute sey schön, und in den Gesetzen heißt es sogar: alle Gerechten sind schön und Alles, was sie thun und leiden, wenn sie auch noch so häßlich von Gestalt seyn sollten. Wie mit dem Guten, so wird das Schöne durchgängig auch mit dem Wahren nicht nur an sich, sondern dem Wahren als der geistigen Thätigkeit des Denkens, d. h. mit der Weisheit verwechselt, besonders im Staate. Der pädagogische Rigorismus, der in den Urtheilen über die Kunst herrscht, ist eine nothwendige Folge dieser Vermischung, deren genauere Kritik aus der folgenden Entwicklung des Unterschieds von selbst sich ergeben wird. Vom blos relativ Wohlgefälligen, vom Nützlichen und
des Allgemeinen gegenüber ſeiner Wirklichkeit im Beſondern als eine Hypoſtaſe und ſo kommt das Abbild gegen das Urbild zu kurz; was aber insbeſondere die Idee des Schönen betrifft, ſo muß jene Fixirung noch einen weitern Uebelſtand zur Folge haben. Da nämlich das, was dieſe vom Wahren und Guten unterſcheidet, die ſinnliche Form, eben in der Welt des Abbilds, in der Gegenwart der Sinnenwelt zu Hauſe iſt, ſo kann es mit der Aufnahme dieſes unterſcheidenden Kennzeichens in die Idee des Schönen eben um dieſer Jenſeitigkeit willen kein rechter Ernſt ſeyn und daher wird nicht nur das Abbild mißtrauiſch angeſehen, ſondern auch das Urbild wieder mit dem rein geiſtigen Weſen der Ideen, die dem denkenden Geiſte und dem Innern der Geſinnung angehören, des Guten und Wahren, confundirt. Wo daher Plato die Idee des Schönen verfolgen ſoll in ihre Verwirklichung, da benützt er jenes Moment des Unterſchieds nicht. Denn zwar heißt es im Philebus, das Schöne entſtehe, wenn μετριότης und συμμετρία durch die ordnende königliche Seele des Zeus in die Mannigfaltigkeit, wenn τὸ πέρας in das ἄπειρον und ἄμετρον trete, und wenn nun weiter die Tugenden einer wohlgeordneten Seele, Weisheit und Gerechtigkeit, als der wahre Inhalt des Schönen dargeſtellt werden, ſo hätten wir, da die königliche Seele des Zeus zunächſt die Naturordnung iſt, das Ergebniß: das Schöne iſt der göttliche Geiſt, wie er ſich in der Natur und in der ſittlichen Welt durch die Harmonie der Form offenbart. Allein im Sympoſion, im Phädrus, im Timäus, im Staat wird nun Seelenſchönheit und körperliche Schönheit ſo unterſchieden, daß die erſtere allein als wahre Schönheit, die letztere nicht als ihr Ausdruck, ſondern nur als ihr Symbol erſcheint; es handelt ſich darum, zu zeigen, wie die nicht rein äſthetiſche, ſondern begierdevolle Liebe zu der letzteren in eine ſittliche und erziehende zu der erſteren verwandelt werden ſoll, im Timäus wird ausdrücklich geſagt, alles Gute ſey ſchön, und in den Geſetzen heißt es ſogar: alle Gerechten ſind ſchön und Alles, was ſie thun und leiden, wenn ſie auch noch ſo häßlich von Geſtalt ſeyn ſollten. Wie mit dem Guten, ſo wird das Schöne durchgängig auch mit dem Wahren nicht nur an ſich, ſondern dem Wahren als der geiſtigen Thätigkeit des Denkens, d. h. mit der Weisheit verwechſelt, beſonders im Staate. Der pädagogiſche Rigorismus, der in den Urtheilen über die Kunſt herrſcht, iſt eine nothwendige Folge dieſer Vermiſchung, deren genauere Kritik aus der folgenden Entwicklung des Unterſchieds von ſelbſt ſich ergeben wird. Vom blos relativ Wohlgefälligen, vom Nützlichen und
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des Allgemeinen gegenüber ſeiner Wirklichkeit im Beſondern als eine
Hypoſtaſe und ſo kommt das Abbild gegen das Urbild zu kurz; was
aber insbeſondere die Idee des Schönen betrifft, ſo muß jene Fixirung
noch einen weitern Uebelſtand zur Folge haben. Da nämlich das, was
dieſe vom Wahren und Guten unterſcheidet, die ſinnliche Form, eben
in der Welt des Abbilds, in der Gegenwart der Sinnenwelt zu Hauſe
iſt, ſo kann es mit der Aufnahme dieſes unterſcheidenden Kennzeichens
in die Idee des Schönen eben um dieſer Jenſeitigkeit willen kein rechter
Ernſt ſeyn und daher wird nicht nur das Abbild mißtrauiſch angeſehen,
ſondern auch das Urbild wieder mit dem rein geiſtigen Weſen der Ideen,
die dem denkenden Geiſte und dem Innern der Geſinnung angehören,
des Guten und Wahren, confundirt. Wo daher Plato die Idee des
Schönen verfolgen ſoll in ihre Verwirklichung, da benützt er jenes
Moment des Unterſchieds nicht. Denn zwar heißt es im Philebus,
das Schöne entſtehe, wenn μετριότης und συμμετρία durch die ordnende
königliche Seele des Zeus in die Mannigfaltigkeit, wenn τὸ πέρας
in das ἄπειρον und ἄμετρον trete, und wenn nun weiter die Tugenden
einer wohlgeordneten Seele, Weisheit und Gerechtigkeit, als der wahre
Inhalt des Schönen dargeſtellt werden, ſo hätten wir, da die königliche
Seele des Zeus zunächſt die Naturordnung iſt, das Ergebniß: das Schöne
iſt der göttliche Geiſt, wie er ſich in der Natur und in der ſittlichen
Welt durch die Harmonie der Form offenbart. Allein im Sympoſion,
im Phädrus, im Timäus, im Staat wird nun Seelenſchönheit und
körperliche Schönheit ſo unterſchieden, daß die erſtere allein als wahre
Schönheit, die letztere nicht als ihr Ausdruck, ſondern nur als ihr
Symbol erſcheint; es handelt ſich darum, zu zeigen, wie die nicht rein
äſthetiſche, ſondern begierdevolle Liebe zu der letzteren in eine ſittliche
und erziehende zu der erſteren verwandelt werden ſoll, im Timäus wird
ausdrücklich geſagt, alles Gute ſey ſchön, und in den Geſetzen heißt
es ſogar: alle Gerechten ſind ſchön und Alles, was ſie thun und
leiden, wenn ſie auch noch ſo häßlich von Geſtalt ſeyn ſollten. Wie
mit dem Guten, ſo wird das Schöne durchgängig auch mit dem Wahren
nicht nur an ſich, ſondern dem Wahren als der geiſtigen Thätigkeit des
Denkens, d. h. mit der Weisheit verwechſelt, beſonders im Staate.
Der pädagogiſche Rigorismus, der in den Urtheilen über die Kunſt
herrſcht, iſt eine nothwendige Folge dieſer Vermiſchung, deren genauere
Kritik aus der folgenden Entwicklung des Unterſchieds von ſelbſt ſich
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/105>, abgerufen am 23.11.2024.
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