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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Ordnung, die schön über einen belebten Körper herrschen soll, die ge-
genwärtige Rede fertig zu seyn" benützen und die Platonische Ansicht
weiter dahin bestimmen wollte: das Schöne ist die unkörperliche Ordnung
(das Gute und Wahre), wenn sie in einem durch sie beseelten Körper
zur Anschauung wird. Dann würde nur noch Ein Mittelbegriff fehlen,
der nämlich zu enthalten hätte, was erst mit diesem Körper vor sich
gehen müsse, wenn jene Ordnung in ihm zur Anschauung kommen soll,
und es wäre der Unterschied vom Guten und Wahren (bei der Einheit)
gefunden. Allein Ed. Müller (Geschichte der Theorie der Kunst bei
den Alten, B. 1, S. 71) wendet gegen diese Folgerung mit Recht ein,
daß man sich hüten müsse, dem Plato unterzuschieben, und es ist nicht
zu läugnen: es herrscht hierin bei ihm große Confusion. Die Folgerung
Ruges wird schon dadurch aufgehoben, daß Plato an mehr als Einer
Stelle (vergl. Ed. Müller a. a. O. 72 ff.) vielmehr eine Stufen-
leiter annimmt, auf welcher er die körperliche Schönheit als niedrigere,
die geistige Schönheit als höhere Stufe setzt und so die Logik des
Schönen völlig verwirrt. Zwar erklärt er im Staat für das allerschönste
Schauspiel dies, wenn geistige Schönheit und Körperschönheit zusammen-
fällt; allein das Schiefe liegt schon darin, daß er überhaupt rein geistige
Vollkommenheit an sich Schönheit nennt. Der tiefere Sitz der Ver-
wirrung liegt also auch hier auf demselben Punkte, auf welchem, wie
§. 29 Anm. nachgewiesen ist, überhaupt die Schwäche der Platonischen
Lehre liegt, der Fixirung der Ideen gegen ihre Wirklichkeit. Plato
verwechselt den abstracten Begriff des Schönen trotzdem, daß er das
Hellglänzende in denselben aufnimmt, mit der Idee überhaupt, und statt
ihn vom einzelnen wirklich Schönen zu unterscheiden, unterscheidet oder
richtiger trennt er ihn mit der Idee überhaupt von der Erscheinungswelt
überhaupt, confundirt ihn daher mit jener, vergißt, daß, wenn das Urbild
hellleuchtend und glänzend ist, auch das Abbild es seyn muß, was doch
im Phädrus ausdrücklich und mit besonderer Beziehung auf den Ge-
sichtssinn ausgesprochen ist, und kann nun den Begriff des Maßes
nicht mehr als den des wahren Bands der Idee mit einem individuellen
Leibe benützen.

Auch Aristoteles setzt die wesentlichen Merkmale des Schönen in die
taxis kai summetria kai to orismenon. Bei dieser Bestimmung,
welche E. Müller a. a. O. B. 2, S. 97 anführt, mag znnächst
davon abgesehen werden, daß sie von Aristoteles auch auf das Mathe-
matische angewandt wird. Hiedurch ist eine Einheit als Band des

Ordnung, die ſchön über einen belebten Körper herrſchen ſoll, die ge-
genwärtige Rede fertig zu ſeyn“ benützen und die Platoniſche Anſicht
weiter dahin beſtimmen wollte: das Schöne iſt die unkörperliche Ordnung
(das Gute und Wahre), wenn ſie in einem durch ſie beſeelten Körper
zur Anſchauung wird. Dann würde nur noch Ein Mittelbegriff fehlen,
der nämlich zu enthalten hätte, was erſt mit dieſem Körper vor ſich
gehen müſſe, wenn jene Ordnung in ihm zur Anſchauung kommen ſoll,
und es wäre der Unterſchied vom Guten und Wahren (bei der Einheit)
gefunden. Allein Ed. Müller (Geſchichte der Theorie der Kunſt bei
den Alten, B. 1, S. 71) wendet gegen dieſe Folgerung mit Recht ein,
daß man ſich hüten müſſe, dem Plato unterzuſchieben, und es iſt nicht
zu läugnen: es herrſcht hierin bei ihm große Confuſion. Die Folgerung
Ruges wird ſchon dadurch aufgehoben, daß Plato an mehr als Einer
Stelle (vergl. Ed. Müller a. a. O. 72 ff.) vielmehr eine Stufen-
leiter annimmt, auf welcher er die körperliche Schönheit als niedrigere,
die geiſtige Schönheit als höhere Stufe ſetzt und ſo die Logik des
Schönen völlig verwirrt. Zwar erklärt er im Staat für das allerſchönſte
Schauſpiel dies, wenn geiſtige Schönheit und Körperſchönheit zuſammen-
fällt; allein das Schiefe liegt ſchon darin, daß er überhaupt rein geiſtige
Vollkommenheit an ſich Schönheit nennt. Der tiefere Sitz der Ver-
wirrung liegt alſo auch hier auf demſelben Punkte, auf welchem, wie
§. 29 Anm. nachgewieſen iſt, überhaupt die Schwäche der Platoniſchen
Lehre liegt, der Fixirung der Ideen gegen ihre Wirklichkeit. Plato
verwechſelt den abſtracten Begriff des Schönen trotzdem, daß er das
Hellglänzende in denſelben aufnimmt, mit der Idee überhaupt, und ſtatt
ihn vom einzelnen wirklich Schönen zu unterſcheiden, unterſcheidet oder
richtiger trennt er ihn mit der Idee überhaupt von der Erſcheinungswelt
überhaupt, confundirt ihn daher mit jener, vergißt, daß, wenn das Urbild
hellleuchtend und glänzend iſt, auch das Abbild es ſeyn muß, was doch
im Phädrus ausdrücklich und mit beſonderer Beziehung auf den Ge-
ſichtsſinn ausgeſprochen iſt, und kann nun den Begriff des Maßes
nicht mehr als den des wahren Bands der Idee mit einem individuellen
Leibe benützen.

Auch Ariſtoteles ſetzt die weſentlichen Merkmale des Schönen in die
τάξις καὶ συμμετρία καὶ τὸ ὡρισμένον. Bei dieſer Beſtimmung,
welche E. Müller a. a. O. B. 2, S. 97 anführt, mag znnächſt
davon abgeſehen werden, daß ſie von Ariſtoteles auch auf das Mathe-
matiſche angewandt wird. Hiedurch iſt eine Einheit als Band des

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[100/0114] Ordnung, die ſchön über einen belebten Körper herrſchen ſoll, die ge- genwärtige Rede fertig zu ſeyn“ benützen und die Platoniſche Anſicht weiter dahin beſtimmen wollte: das Schöne iſt die unkörperliche Ordnung (das Gute und Wahre), wenn ſie in einem durch ſie beſeelten Körper zur Anſchauung wird. Dann würde nur noch Ein Mittelbegriff fehlen, der nämlich zu enthalten hätte, was erſt mit dieſem Körper vor ſich gehen müſſe, wenn jene Ordnung in ihm zur Anſchauung kommen ſoll, und es wäre der Unterſchied vom Guten und Wahren (bei der Einheit) gefunden. Allein Ed. Müller (Geſchichte der Theorie der Kunſt bei den Alten, B. 1, S. 71) wendet gegen dieſe Folgerung mit Recht ein, daß man ſich hüten müſſe, dem Plato unterzuſchieben, und es iſt nicht zu läugnen: es herrſcht hierin bei ihm große Confuſion. Die Folgerung Ruges wird ſchon dadurch aufgehoben, daß Plato an mehr als Einer Stelle (vergl. Ed. Müller a. a. O. 72 ff.) vielmehr eine Stufen- leiter annimmt, auf welcher er die körperliche Schönheit als niedrigere, die geiſtige Schönheit als höhere Stufe ſetzt und ſo die Logik des Schönen völlig verwirrt. Zwar erklärt er im Staat für das allerſchönſte Schauſpiel dies, wenn geiſtige Schönheit und Körperſchönheit zuſammen- fällt; allein das Schiefe liegt ſchon darin, daß er überhaupt rein geiſtige Vollkommenheit an ſich Schönheit nennt. Der tiefere Sitz der Ver- wirrung liegt alſo auch hier auf demſelben Punkte, auf welchem, wie §. 29 Anm. nachgewieſen iſt, überhaupt die Schwäche der Platoniſchen Lehre liegt, der Fixirung der Ideen gegen ihre Wirklichkeit. Plato verwechſelt den abſtracten Begriff des Schönen trotzdem, daß er das Hellglänzende in denſelben aufnimmt, mit der Idee überhaupt, und ſtatt ihn vom einzelnen wirklich Schönen zu unterſcheiden, unterſcheidet oder richtiger trennt er ihn mit der Idee überhaupt von der Erſcheinungswelt überhaupt, confundirt ihn daher mit jener, vergißt, daß, wenn das Urbild hellleuchtend und glänzend iſt, auch das Abbild es ſeyn muß, was doch im Phädrus ausdrücklich und mit beſonderer Beziehung auf den Ge- ſichtsſinn ausgeſprochen iſt, und kann nun den Begriff des Maßes nicht mehr als den des wahren Bands der Idee mit einem individuellen Leibe benützen. Auch Ariſtoteles ſetzt die weſentlichen Merkmale des Schönen in die τάξις καὶ συμμετρία καὶ τὸ ὡρισμένον. Bei dieſer Beſtimmung, welche E. Müller a. a. O. B. 2, S. 97 anführt, mag znnächſt davon abgeſehen werden, daß ſie von Ariſtoteles auch auf das Mathe- matiſche angewandt wird. Hiedurch iſt eine Einheit als Band des

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/114>, abgerufen am 23.11.2024.