einen Standpunkt herein, durch den er seine Lehre vom geistigen Einklang unvermerkt verläßt, indem er sie nur zu verengern meint. Reine Formen, Farben, Töne erklärt er für schön, weil die in ihnen ent- haltenen Punkte, Mischungstheile, mittönende Fasern u. s. w. rein disponirt sind zum Ausdruck der jeweiligen Form. Er findet offenbar schon hierin den erforderlichen Einklang. Geht aber nun die Form ins Große und Ganze, wird sie zur Totalität des organischen Körpers, so meint nun Plato, gerade hier sey die Schönheit nicht rein, weil diese Körper (und ihre Darstellungen) pros ti kala, d. h. weil sie zweck- mäßig seyen. Genau so zählt Kant (a. a. O. §. 16. 17) die Schönheit des Menschen zur blos adhärirenden, weil sie einen Begriff vom Zwecke voraussetze. Beide verkennen, daß die durchgeführte innere Zweck- mäßigkeit sich als blose Zweckmäßigkeit aufhebt und selbständige Totalität wird. Sonst spricht aber Plato ohne Einschränkung vom Werthe der organischen Schönheit und wird nun seinem Grundbegriffe wieder treu. Ganz ebenso Plotin (peri tou~ kalou~ Cap. 1); nur wird hier die Inconsequenz voll. Denn zuerst läugnet er, daß das Ebenmaß aller Theile die Schönheit begründe, und nennt einzelne Theile eines schönen Körpers, einzelne Farben u. s. f. ebenfalls schön, dann sagt er, schön werde die Materie durch Theilnahme an der gestaltenden Idee, und vergißt, daß diese Gestaltung gerade als Zusammenstimmung der Theile wesentlich sich äußert.
2. Hat man nun aber die Idee als Einheitspunkt im Schönen verloren, so meint man schlechtweg in vereinzelten äußeren Merkmalen das Wesen des Schönen selbst einzufangen; man vergißt, daß nur eine Concretion solcher formeller Bestimmungen ein Schönes bilden kann, man vergißt also z. B., daß das Schöne auf gewissen seiner Stufen zwar symmetrisch (im jetzigen Sinne einer Wiederholung gleich gezählter sich gegenüber- stehender Theile) ist, aber nicht blos symmetrisch, sondern so, daß das Symmetrische von freien Linien umspielt wird, und glaubt trotzdem durch die Symmetrie nicht nur ein Merkmal, sondern eine Definition des Subjects der Merkmale gegeben zu haben. In dieser Enge befanden sich die englischen Sensualisten des vorigen Jahrhunderts, welche freilich einen ganz anderen Ausgang nahmen, nämlich von dem Sinne, womit das Schöne aufgenommen wird; eine subjective Wendung, die uns als solche hier noch nicht beschäftigt. Der Sinn nun aber, eine gewisse Anlage, die vom Schöpfer in uns gelegt und nicht weiter zu definiren ist, wird zwar nicht als eine blos sinnliche Anregungsfähigkeit genommen;
einen Standpunkt herein, durch den er ſeine Lehre vom geiſtigen Einklang unvermerkt verläßt, indem er ſie nur zu verengern meint. Reine Formen, Farben, Töne erklärt er für ſchön, weil die in ihnen ent- haltenen Punkte, Miſchungstheile, mittönende Faſern u. ſ. w. rein diſponirt ſind zum Ausdruck der jeweiligen Form. Er findet offenbar ſchon hierin den erforderlichen Einklang. Geht aber nun die Form ins Große und Ganze, wird ſie zur Totalität des organiſchen Körpers, ſo meint nun Plato, gerade hier ſey die Schönheit nicht rein, weil dieſe Körper (und ihre Darſtellungen) πρός τι καλὰ, d. h. weil ſie zweck- mäßig ſeyen. Genau ſo zählt Kant (a. a. O. §. 16. 17) die Schönheit des Menſchen zur blos adhärirenden, weil ſie einen Begriff vom Zwecke vorausſetze. Beide verkennen, daß die durchgeführte innere Zweck- mäßigkeit ſich als bloſe Zweckmäßigkeit aufhebt und ſelbſtändige Totalität wird. Sonſt ſpricht aber Plato ohne Einſchränkung vom Werthe der organiſchen Schönheit und wird nun ſeinem Grundbegriffe wieder treu. Ganz ebenſo Plotin (περὶ τȣ῀ καλȣ῀ Cap. 1); nur wird hier die Inconſequenz voll. Denn zuerſt läugnet er, daß das Ebenmaß aller Theile die Schönheit begründe, und nennt einzelne Theile eines ſchönen Körpers, einzelne Farben u. ſ. f. ebenfalls ſchön, dann ſagt er, ſchön werde die Materie durch Theilnahme an der geſtaltenden Idee, und vergißt, daß dieſe Geſtaltung gerade als Zuſammenſtimmung der Theile weſentlich ſich äußert.
2. Hat man nun aber die Idee als Einheitspunkt im Schönen verloren, ſo meint man ſchlechtweg in vereinzelten äußeren Merkmalen das Weſen des Schönen ſelbſt einzufangen; man vergißt, daß nur eine Concretion ſolcher formeller Beſtimmungen ein Schönes bilden kann, man vergißt alſo z. B., daß das Schöne auf gewiſſen ſeiner Stufen zwar ſymmetriſch (im jetzigen Sinne einer Wiederholung gleich gezählter ſich gegenüber- ſtehender Theile) iſt, aber nicht blos ſymmetriſch, ſondern ſo, daß das Symmetriſche von freien Linien umſpielt wird, und glaubt trotzdem durch die Symmetrie nicht nur ein Merkmal, ſondern eine Definition des Subjects der Merkmale gegeben zu haben. In dieſer Enge befanden ſich die engliſchen Senſualiſten des vorigen Jahrhunderts, welche freilich einen ganz anderen Ausgang nahmen, nämlich von dem Sinne, womit das Schöne aufgenommen wird; eine ſubjective Wendung, die uns als ſolche hier noch nicht beſchäftigt. Der Sinn nun aber, eine gewiſſe Anlage, die vom Schöpfer in uns gelegt und nicht weiter zu definiren iſt, wird zwar nicht als eine blos ſinnliche Anregungsfähigkeit genommen;
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haltenen Punkte, Miſchungstheile, mittönende Faſern u. ſ. w. rein
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ſchon hierin den erforderlichen Einklang. Geht aber nun die Form
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ſo meint nun Plato, gerade hier ſey die Schönheit nicht rein, weil
dieſe Körper (und ihre Darſtellungen) πρός τι καλὰ, d. h. weil ſie zweck-
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vorausſetze. Beide verkennen, daß die durchgeführte innere Zweck-
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wird. Sonſt ſpricht aber Plato ohne Einſchränkung vom Werthe der
organiſchen Schönheit und wird nun ſeinem Grundbegriffe wieder treu.
Ganz ebenſo Plotin (περὶ τȣ῀ καλȣ῀ Cap. 1); nur wird hier die
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Theile die Schönheit begründe, und nennt einzelne Theile eines ſchönen
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werde die Materie durch Theilnahme an der geſtaltenden Idee, und
vergißt, daß dieſe Geſtaltung gerade als Zuſammenſtimmung der Theile
weſentlich ſich äußert.
2. Hat man nun aber die Idee als Einheitspunkt im Schönen verloren,
ſo meint man ſchlechtweg in vereinzelten äußeren Merkmalen das Weſen
des Schönen ſelbſt einzufangen; man vergißt, daß nur eine Concretion
ſolcher formeller Beſtimmungen ein Schönes bilden kann, man vergißt
alſo z. B., daß das Schöne auf gewiſſen ſeiner Stufen zwar ſymmetriſch
(im jetzigen Sinne einer Wiederholung gleich gezählter ſich gegenüber-
ſtehender Theile) iſt, aber nicht blos ſymmetriſch, ſondern ſo, daß das
Symmetriſche von freien Linien umſpielt wird, und glaubt trotzdem
durch die Symmetrie nicht nur ein Merkmal, ſondern eine Definition des
Subjects der Merkmale gegeben zu haben. In dieſer Enge befanden ſich die
engliſchen Senſualiſten des vorigen Jahrhunderts, welche freilich
einen ganz anderen Ausgang nahmen, nämlich von dem Sinne, womit
das Schöne aufgenommen wird; eine ſubjective Wendung, die uns als
ſolche hier noch nicht beſchäftigt. Der Sinn nun aber, eine gewiſſe
Anlage, die vom Schöpfer in uns gelegt und nicht weiter zu definiren iſt,
wird zwar nicht als eine blos ſinnliche Anregungsfähigkeit genommen;
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/117>, abgerufen am 23.11.2024.
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