zunächst jedoch berührt er sich mit seinem Objecte sinnlich, man sucht auf rein empirischem Wege auszufinden, wie das Object auf den Sinn sinnlich wirke, und läßt den Reflex dieser ersten Berührung auf die geistige innerliche Seite des Sinns mehr oder weniger gleichgiltig zur Seite liegen. Ebenso geht man objectiv nicht hinter die formellen Eigenschaften, durch die der Gegenstand den Sinn berührt, zurück, man ist von der Idee als innerem Grunde der Form im Gegenstande so weit als möglich entfernt, und so geschieht es, daß man ein äußeres Merkmal als das Wesen der Sache fixirt. Doch haben auch diese Untersuchungen ihren Werth, da die sinnliche Bestimmtheit des schönen Gegenstands zwar nie das Ganze, aber doch wesentlich ist. Hutcheson: Enquiry into the original of our ideas of beauty and vertue 1720 ist dieser Fixirung äußerer Merkmale nicht unmittelbar anzuklagen; aber indem er die Platonische Bestimmung des Schönen als der Einheit im Mannigfaltigen empirisch darzuthun sucht, so verliert sie ihm die Bedeutung eines geistigen Bandes, wird ihm zur "Einförmigkeit" und sofort zur Symmetrie im engeren geometrischen Sinne; so hält er sie als krystallische Form fest, ferner in den Reichen des Organischen namentlich in dem gewöhnlichen ebengenannten Sinne eines Gegenüberstehens gleicher gedoppelter Glieder und endlich als meßbare Proportion insbesondere in den Verhältnissen des menschlichen Leibes. Er übersieht völlig, daß die Symmetrie und Proportion in diesem geometrischen Sinne nur das Gerippe der Schönheit ist, zwischen welchem die zufällige Linie frei hindurchspielt. Ebendaher nun, weil ihm ganz der Begriff einer Durchdringung der Regel mit dem Zufälligen der einzelnen Existenz fehlt, spricht er auch ganz unbefangen von der Schönheit in mathematischen Figuren und in Lehrsätzen. Diese sind schön, weil sie eine Menge von Wahrheiten in genauer Ueber- einstimmung enthalten u. s. f.
Hogarth in seinem barocken, doch nicht uninteressanten Buche: Analysis of beauty 1753 hat das Verdienst, über die mathematische Fixirung insofern hinausgekommen zu seyn, als er das, was blos eine der Grundlagen und blos theilweise conditio sine qua non der schönen Form ist, in diesem blos relativen Sinne auch begriffen hat. Freilich geht er dabei sehr verworren zu Werke, indem er die Begriffe der Richtigkeit, der Mannigfaltigkeit, der Gleichförmigkeit (d. h. auch bei ihm der Regelmäßigkeit oder Symmetrie im Sinne des geometrischen Parallelismus), der Einfachheit "oder Deutlichkeit," ohne alle Ordnung, ohne alle Untersuchung ihres inneren Zusammenhangs aufführt, dazwischen
zunächſt jedoch berührt er ſich mit ſeinem Objecte ſinnlich, man ſucht auf rein empiriſchem Wege auszufinden, wie das Object auf den Sinn ſinnlich wirke, und läßt den Reflex dieſer erſten Berührung auf die geiſtige innerliche Seite des Sinns mehr oder weniger gleichgiltig zur Seite liegen. Ebenſo geht man objectiv nicht hinter die formellen Eigenſchaften, durch die der Gegenſtand den Sinn berührt, zurück, man iſt von der Idee als innerem Grunde der Form im Gegenſtande ſo weit als möglich entfernt, und ſo geſchieht es, daß man ein äußeres Merkmal als das Weſen der Sache fixirt. Doch haben auch dieſe Unterſuchungen ihren Werth, da die ſinnliche Beſtimmtheit des ſchönen Gegenſtands zwar nie das Ganze, aber doch weſentlich iſt. Hutcheſon: Enquiry into the original of our ideas of beauty and vertue 1720 iſt dieſer Fixirung äußerer Merkmale nicht unmittelbar anzuklagen; aber indem er die Platoniſche Beſtimmung des Schönen als der Einheit im Mannigfaltigen empiriſch darzuthun ſucht, ſo verliert ſie ihm die Bedeutung eines geiſtigen Bandes, wird ihm zur „Einförmigkeit“ und ſofort zur Symmetrie im engeren geometriſchen Sinne; ſo hält er ſie als kryſtalliſche Form feſt, ferner in den Reichen des Organiſchen namentlich in dem gewöhnlichen ebengenannten Sinne eines Gegenüberſtehens gleicher gedoppelter Glieder und endlich als meßbare Proportion insbeſondere in den Verhältniſſen des menſchlichen Leibes. Er überſieht völlig, daß die Symmetrie und Proportion in dieſem geometriſchen Sinne nur das Gerippe der Schönheit iſt, zwiſchen welchem die zufällige Linie frei hindurchſpielt. Ebendaher nun, weil ihm ganz der Begriff einer Durchdringung der Regel mit dem Zufälligen der einzelnen Exiſtenz fehlt, ſpricht er auch ganz unbefangen von der Schönheit in mathematiſchen Figuren und in Lehrſätzen. Dieſe ſind ſchön, weil ſie eine Menge von Wahrheiten in genauer Ueber- einſtimmung enthalten u. ſ. f.
Hogarth in ſeinem barocken, doch nicht unintereſſanten Buche: Analysis of beauty 1753 hat das Verdienſt, über die mathematiſche Fixirung inſofern hinausgekommen zu ſeyn, als er das, was blos eine der Grundlagen und blos theilweiſe conditio sine qua non der ſchönen Form iſt, in dieſem blos relativen Sinne auch begriffen hat. Freilich geht er dabei ſehr verworren zu Werke, indem er die Begriffe der Richtigkeit, der Mannigfaltigkeit, der Gleichförmigkeit (d. h. auch bei ihm der Regelmäßigkeit oder Symmetrie im Sinne des geometriſchen Paralleliſmus), der Einfachheit „oder Deutlichkeit,“ ohne alle Ordnung, ohne alle Unterſuchung ihres inneren Zuſammenhangs aufführt, dazwiſchen
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zunächſt jedoch berührt er ſich mit ſeinem Objecte ſinnlich, man ſucht auf
rein empiriſchem Wege auszufinden, wie das Object auf den Sinn ſinnlich
wirke, und läßt den Reflex dieſer erſten Berührung auf die geiſtige
innerliche Seite des Sinns mehr oder weniger gleichgiltig zur Seite
liegen. Ebenſo geht man objectiv nicht hinter die formellen Eigenſchaften,
durch die der Gegenſtand den Sinn berührt, zurück, man iſt von der
Idee als innerem Grunde der Form im Gegenſtande ſo weit als möglich
entfernt, und ſo geſchieht es, daß man ein äußeres Merkmal als das
Weſen der Sache fixirt. Doch haben auch dieſe Unterſuchungen ihren
Werth, da die ſinnliche Beſtimmtheit des ſchönen Gegenſtands zwar nie
das Ganze, aber doch weſentlich iſt. Hutcheſon: Enquiry into the
original of our ideas of beauty and vertue 1720 iſt dieſer Fixirung
äußerer Merkmale nicht unmittelbar anzuklagen; aber indem er die
Platoniſche Beſtimmung des Schönen als der Einheit im Mannigfaltigen
empiriſch darzuthun ſucht, ſo verliert ſie ihm die Bedeutung eines geiſtigen
Bandes, wird ihm zur „Einförmigkeit“ und ſofort zur Symmetrie im
engeren geometriſchen Sinne; ſo hält er ſie als kryſtalliſche Form feſt,
ferner in den Reichen des Organiſchen namentlich in dem gewöhnlichen
ebengenannten Sinne eines Gegenüberſtehens gleicher gedoppelter Glieder
und endlich als meßbare Proportion insbeſondere in den Verhältniſſen
des menſchlichen Leibes. Er überſieht völlig, daß die Symmetrie und
Proportion in dieſem geometriſchen Sinne nur das Gerippe der Schönheit
iſt, zwiſchen welchem die zufällige Linie frei hindurchſpielt. Ebendaher
nun, weil ihm ganz der Begriff einer Durchdringung der Regel mit dem
Zufälligen der einzelnen Exiſtenz fehlt, ſpricht er auch ganz unbefangen
von der Schönheit in mathematiſchen Figuren und in Lehrſätzen. Dieſe
ſind ſchön, weil ſie eine Menge von Wahrheiten in genauer Ueber-
einſtimmung enthalten u. ſ. f.
Hogarth in ſeinem barocken, doch nicht unintereſſanten Buche:
Analysis of beauty 1753 hat das Verdienſt, über die mathematiſche
Fixirung inſofern hinausgekommen zu ſeyn, als er das, was blos eine der
Grundlagen und blos theilweiſe conditio sine qua non der ſchönen
Form iſt, in dieſem blos relativen Sinne auch begriffen hat. Freilich
geht er dabei ſehr verworren zu Werke, indem er die Begriffe der
Richtigkeit, der Mannigfaltigkeit, der Gleichförmigkeit (d. h. auch bei
ihm der Regelmäßigkeit oder Symmetrie im Sinne des geometriſchen
Paralleliſmus), der Einfachheit „oder Deutlichkeit,“ ohne alle Ordnung,
ohne alle Unterſuchung ihres inneren Zuſammenhangs aufführt, dazwiſchen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/118>, abgerufen am 23.11.2024.
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