so lange die innere Zweckmäßigkeit selbst wie eine mechanische gefaßt wird, in welcher der Begriff außerhalb der Materie, in der er sich durchführen soll, als ein blos gedachter und blos durch Abstraction zu findender verbleibt. So äußerlich verstand allerdings Wolff die Zweck- mäßigkeit (s. §. 42 u. Erdmann Versuch einer wissensch. Darst. d. Gesch. d. neueren Philos. II, 2. S. 351). Allein Kant selbst faßte den Begriff des Zwecks in seiner Tiefe. Man muß seine Kritik der teleolog. Urthlskr. hinzunehmen. Hier erhebt er sich zu dem Begriffe des immanenten Zwecks, der im organischen Leben den Gegensatz von Mittel und Zweck aufhebt und eben daher in der Totalität des sinnlichen Stoffes, worin er sich vollführt, die Trennung seiner Allgemeinheit von dem Besonderen, die im abstracten Denken, doch nur um wieder aufgehoben zu werden, gesetzt wird, in der Gestalt auslöscht. Wenn Kant den Zweck definirt hat als den Begriff von einem Object, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objects enthält, so ist nach dieser tieferen Be- stimmung dieser Begriff nun nicht ein solcher, den ein Subject zum Objecte hinzubringt, sondern es ist der im Object selbst thätige, bauende Verstand, der Demiurg, es ist "intuitiver Verstand, intellectus arche- typus," kurz es ist Geist in der Natur, Geist als Natur --: das Prinzip ist gefunden. Nun braucht das Subject, um diese Einheit im Objecte zu empfinden, keinen Begriff jenes Zwecks, denn er ist ganz gegenwärtig in seinem Stoffe und braucht nicht von ihm gesondert zu werden, um in das Gefühl und die Anschauung zu treten. Ebendies aber benützt Kant für die Aesthetik gar nicht. Auch abgesehen nämlich davon, daß er jenen tiefen Blick wieder aufgibt, indem er ihn nur für eine leitende subjective Vorstellung erklärt, zieht er nämlich die obenge- nannte Folge nicht, daß der Begriff, indem er sich als Realität durch- führt, seine innern Momente subjectiv herausstellt, als Gestalt vor das Auge tritt und nun, wie er selbst ein ungetrennt Sinnliches und Geistiges ist, durch das Organ der sinnlich geistigen Anschauung allerdings in das Subject eingeht, ohne daß es ihn als Begriff in seiner Abstraction denkt. Die Anschauung ist freilich nicht ein "verworrenes Denken", wie sie in der Wolff'schen Ansicht erscheint, sondern gar kein Denken, und als solche zwar dunkel gegenüber dem Denken, aber hell in sich und die Begriffs- momente als Glieder der Gestalt klar unterscheidend. Wie ganz ihm sein Fund verloren ging, zeigt Kant §. 16, wo die Schönheit eines Menschen, eines Pferdes u. s. w. für blos anhängende Schönheit erklärt wird, weil sie "einen Begriff vom Zwecke voraussetzt, welcher bestimmt, was das
ſo lange die innere Zweckmäßigkeit ſelbſt wie eine mechaniſche gefaßt wird, in welcher der Begriff außerhalb der Materie, in der er ſich durchführen ſoll, als ein blos gedachter und blos durch Abſtraction zu findender verbleibt. So äußerlich verſtand allerdings Wolff die Zweck- mäßigkeit (ſ. §. 42 u. Erdmann Verſuch einer wiſſenſch. Darſt. d. Geſch. d. neueren Philoſ. II, 2. S. 351). Allein Kant ſelbſt faßte den Begriff des Zwecks in ſeiner Tiefe. Man muß ſeine Kritik der teleolog. Urthlskr. hinzunehmen. Hier erhebt er ſich zu dem Begriffe des immanenten Zwecks, der im organiſchen Leben den Gegenſatz von Mittel und Zweck aufhebt und eben daher in der Totalität des ſinnlichen Stoffes, worin er ſich vollführt, die Trennung ſeiner Allgemeinheit von dem Beſonderen, die im abſtracten Denken, doch nur um wieder aufgehoben zu werden, geſetzt wird, in der Geſtalt auslöſcht. Wenn Kant den Zweck definirt hat als den Begriff von einem Object, ſofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieſes Objects enthält, ſo iſt nach dieſer tieferen Be- ſtimmung dieſer Begriff nun nicht ein ſolcher, den ein Subject zum Objecte hinzubringt, ſondern es iſt der im Object ſelbſt thätige, bauende Verſtand, der Demiurg, es iſt „intuitiver Verſtand, intellectus arche- typus,“ kurz es iſt Geiſt in der Natur, Geiſt als Natur —: das Prinzip iſt gefunden. Nun braucht das Subject, um dieſe Einheit im Objecte zu empfinden, keinen Begriff jenes Zwecks, denn er iſt ganz gegenwärtig in ſeinem Stoffe und braucht nicht von ihm geſondert zu werden, um in das Gefühl und die Anſchauung zu treten. Ebendies aber benützt Kant für die Aeſthetik gar nicht. Auch abgeſehen nämlich davon, daß er jenen tiefen Blick wieder aufgibt, indem er ihn nur für eine leitende ſubjective Vorſtellung erklärt, zieht er nämlich die obenge- nannte Folge nicht, daß der Begriff, indem er ſich als Realität durch- führt, ſeine innern Momente ſubjectiv herausſtellt, als Geſtalt vor das Auge tritt und nun, wie er ſelbſt ein ungetrennt Sinnliches und Geiſtiges iſt, durch das Organ der ſinnlich geiſtigen Anſchauung allerdings in das Subject eingeht, ohne daß es ihn als Begriff in ſeiner Abſtraction denkt. Die Anſchauung iſt freilich nicht ein „verworrenes Denken“, wie ſie in der Wolff’ſchen Anſicht erſcheint, ſondern gar kein Denken, und als ſolche zwar dunkel gegenüber dem Denken, aber hell in ſich und die Begriffs- momente als Glieder der Geſtalt klar unterſcheidend. Wie ganz ihm ſein Fund verloren ging, zeigt Kant §. 16, wo die Schönheit eines Menſchen, eines Pferdes u. ſ. w. für blos anhängende Schönheit erklärt wird, weil ſie „einen Begriff vom Zwecke vorausſetzt, welcher beſtimmt, was das
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findender verbleibt. So äußerlich verſtand allerdings Wolff die Zweck-
mäßigkeit (ſ. §. 42 u. Erdmann Verſuch einer wiſſenſch. Darſt. d. Geſch.
d. neueren Philoſ. II, 2. S. 351). Allein Kant ſelbſt faßte den Begriff
des Zwecks in ſeiner Tiefe. Man muß ſeine Kritik der teleolog. Urthlskr.
hinzunehmen. Hier erhebt er ſich zu dem Begriffe des immanenten
Zwecks, der im organiſchen Leben den Gegenſatz von Mittel und Zweck
aufhebt und eben daher in der Totalität des ſinnlichen Stoffes, worin er
ſich vollführt, die Trennung ſeiner Allgemeinheit von dem Beſonderen,
die im abſtracten Denken, doch nur um wieder aufgehoben zu werden,
geſetzt wird, in der Geſtalt auslöſcht. Wenn Kant den Zweck definirt
hat als den Begriff von einem Object, ſofern er zugleich den Grund
der Wirklichkeit dieſes Objects enthält, ſo iſt nach dieſer tieferen Be-
ſtimmung dieſer Begriff nun nicht ein ſolcher, den ein Subject zum
Objecte hinzubringt, ſondern es iſt der im Object ſelbſt thätige, bauende
Verſtand, der Demiurg, es iſt „intuitiver Verſtand, intellectus arche-
typus,“ kurz es iſt Geiſt in der Natur, Geiſt als Natur —: das
Prinzip iſt gefunden. Nun braucht das Subject, um dieſe Einheit
im Objecte zu empfinden, keinen Begriff jenes Zwecks, denn er iſt ganz
gegenwärtig in ſeinem Stoffe und braucht nicht von ihm geſondert zu
werden, um in das Gefühl und die Anſchauung zu treten. Ebendies
aber benützt Kant für die Aeſthetik gar nicht. Auch abgeſehen nämlich
davon, daß er jenen tiefen Blick wieder aufgibt, indem er ihn nur für
eine leitende ſubjective Vorſtellung erklärt, zieht er nämlich die obenge-
nannte Folge nicht, daß der Begriff, indem er ſich als Realität durch-
führt, ſeine innern Momente ſubjectiv herausſtellt, als Geſtalt vor das
Auge tritt und nun, wie er ſelbſt ein ungetrennt Sinnliches und Geiſtiges
iſt, durch das Organ der ſinnlich geiſtigen Anſchauung allerdings in das
Subject eingeht, ohne daß es ihn als Begriff in ſeiner Abſtraction denkt.
Die Anſchauung iſt freilich nicht ein „verworrenes Denken“, wie ſie in der
Wolff’ſchen Anſicht erſcheint, ſondern gar kein Denken, und als ſolche
zwar dunkel gegenüber dem Denken, aber hell in ſich und die Begriffs-
momente als Glieder der Geſtalt klar unterſcheidend. Wie ganz ihm ſein
Fund verloren ging, zeigt Kant §. 16, wo die Schönheit eines Menſchen,
eines Pferdes u. ſ. w. für blos anhängende Schönheit erklärt wird, weil
ſie „einen Begriff vom Zwecke vorausſetzt, welcher beſtimmt, was das
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/140>, abgerufen am 23.11.2024.
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