der Begriff sinnlich wirken und nicht über dem Körper schweben, sondern seine Allgemeinheit in ihm auslöschen. Also kehrt der Widerspruch auf allen Punkten zurück.
§. 43.
Die Einheit, welche im Vollkommenen das Mannigfaltige verbindet, faßt Kant im Sinne Wolffs als Zweck und widerlegt die Ansicht der Schule Wolffs vom subjectiven Standpunkte aus durch den Einwurf, daß, um den Zweck zu erkennen, erst ein Begriff vorausgehen müßte, was im ästhetischen Urtheile nicht der Fall sey. Er selbst erkennt nicht, daß er in der inneren Zweckmäßigkeit, wie er deren Begriff im Unterschiede von dem Wolffischen Formalismus entwickelt, die Idee erfaßt hat als die sich selbst hervorbringende Einheit des Allgemeinen und des sinnlichen Stoffes im Einzelnen, welche im organischen Leben als Wechselaufhebung des Mittels und Zwecks sich so durch- führt, daß sie auf die Oberfläche des Ganzen heraus und ohne Begriff in die Anschauung tritt. Dagegen untersucht er den subjectiven Vorgang im Schönen mit einer Schärfe und Tiefe, welche ihn auf anderem Wege zu der wahren Grundlage einer objectiven Bestimmung des Schönen, der Einheit des Begriffs und der Realität, hätte führen müssen, wenn er die Schranken seines Systems wirklich zu überwinden vermocht hätte. Schiller stellt überall diese Einheit in Aussicht, kann sie aber, in Kantischen Voraussetzungen befangen, nicht begründen.
Die Einheit im Mannigfaltigen, welche als Wechselbegriff für das Vollkommene gesetzt wurde, faßte in der Aesthetik nicht sowohl Baum- garten, als andere, die sich ihm anschlossen (Eberharo, Men- delssohn, Sulzer) mit Rückgang auf eine Bestimmung Wolffs (Ontologie, 3r Abschn.) als Zweck. Indem nun Kant diese Erklärung des Schönen widerlegt, übersieht er nicht, daß äußere Zweckmäßig- keit (blose Nützlichkeit) und innere zu unterscheiden und daß unter Voll- kommenheit die letztere zu verstehen ist. Nun widerlegt er diese Ansicht (Kr. d. ästh. Urthlskr. §. 15) von dem Gesichtspunkte der Beschaffen- heit des subjectiven Wohlgefallens am Schönen, von dem er nachge- wiesen, daß es eine von Begriffen unabhängige reine Gefühlsstimmung sey. Um sich ein Ding als zweckmäßig vorzustellen, muß der Begriff von diesem, was es für ein Ding seyn solle, vorangehen und dies ist ein Verstandes-Urtheil, nicht ein ästhetisches. Der Einwurf ist richtig,
der Begriff ſinnlich wirken und nicht über dem Körper ſchweben, ſondern ſeine Allgemeinheit in ihm auslöſchen. Alſo kehrt der Widerſpruch auf allen Punkten zurück.
§. 43.
Die Einheit, welche im Vollkommenen das Mannigfaltige verbindet, faßt Kant im Sinne Wolffs als Zweck und widerlegt die Anſicht der Schule Wolffs vom ſubjectiven Standpunkte aus durch den Einwurf, daß, um den Zweck zu erkennen, erſt ein Begriff vorausgehen müßte, was im äſthetiſchen Urtheile nicht der Fall ſey. Er ſelbſt erkennt nicht, daß er in der inneren Zweckmäßigkeit, wie er deren Begriff im Unterſchiede von dem Wolffiſchen Formalismus entwickelt, die Idee erfaßt hat als die ſich ſelbſt hervorbringende Einheit des Allgemeinen und des ſinnlichen Stoffes im Einzelnen, welche im organiſchen Leben als Wechſelaufhebung des Mittels und Zwecks ſich ſo durch- führt, daß ſie auf die Oberfläche des Ganzen heraus und ohne Begriff in die Anſchauung tritt. Dagegen unterſucht er den ſubjectiven Vorgang im Schönen mit einer Schärfe und Tiefe, welche ihn auf anderem Wege zu der wahren Grundlage einer objectiven Beſtimmung des Schönen, der Einheit des Begriffs und der Realität, hätte führen müſſen, wenn er die Schranken ſeines Syſtems wirklich zu überwinden vermocht hätte. Schiller ſtellt überall dieſe Einheit in Ausſicht, kann ſie aber, in Kantiſchen Vorausſetzungen befangen, nicht begründen.
Die Einheit im Mannigfaltigen, welche als Wechſelbegriff für das Vollkommene geſetzt wurde, faßte in der Aeſthetik nicht ſowohl Baum- garten, als andere, die ſich ihm anſchloſſen (Eberharo, Men- delsſohn, Sulzer) mit Rückgang auf eine Beſtimmung Wolffs (Ontologie, 3r Abſchn.) als Zweck. Indem nun Kant dieſe Erklärung des Schönen widerlegt, überſieht er nicht, daß äußere Zweckmäßig- keit (bloſe Nützlichkeit) und innere zu unterſcheiden und daß unter Voll- kommenheit die letztere zu verſtehen iſt. Nun widerlegt er dieſe Anſicht (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 15) von dem Geſichtspunkte der Beſchaffen- heit des ſubjectiven Wohlgefallens am Schönen, von dem er nachge- wieſen, daß es eine von Begriffen unabhängige reine Gefühlsſtimmung ſey. Um ſich ein Ding als zweckmäßig vorzuſtellen, muß der Begriff von dieſem, was es für ein Ding ſeyn ſolle, vorangehen und dies iſt ein Verſtandes-Urtheil, nicht ein äſthetiſches. Der Einwurf iſt richtig,
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der Begriff ſinnlich wirken und nicht über dem Körper ſchweben, ſondern
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allen Punkten zurück.
§. 43.
Die Einheit, welche im Vollkommenen das Mannigfaltige verbindet, faßt
Kant im Sinne Wolffs als Zweck und widerlegt die Anſicht der Schule
Wolffs vom ſubjectiven Standpunkte aus durch den Einwurf, daß, um den
Zweck zu erkennen, erſt ein Begriff vorausgehen müßte, was im äſthetiſchen
Urtheile nicht der Fall ſey. Er ſelbſt erkennt nicht, daß er in der inneren
Zweckmäßigkeit, wie er deren Begriff im Unterſchiede von dem Wolffiſchen
Formalismus entwickelt, die Idee erfaßt hat als die ſich ſelbſt hervorbringende
Einheit des Allgemeinen und des ſinnlichen Stoffes im Einzelnen, welche im
organiſchen Leben als Wechſelaufhebung des Mittels und Zwecks ſich ſo durch-
führt, daß ſie auf die Oberfläche des Ganzen heraus und ohne Begriff in die
Anſchauung tritt. Dagegen unterſucht er den ſubjectiven Vorgang im Schönen
mit einer Schärfe und Tiefe, welche ihn auf anderem Wege zu der wahren
Grundlage einer objectiven Beſtimmung des Schönen, der Einheit des Begriffs
und der Realität, hätte führen müſſen, wenn er die Schranken ſeines Syſtems
wirklich zu überwinden vermocht hätte. Schiller ſtellt überall dieſe Einheit
in Ausſicht, kann ſie aber, in Kantiſchen Vorausſetzungen befangen, nicht
begründen.
Die Einheit im Mannigfaltigen, welche als Wechſelbegriff für das
Vollkommene geſetzt wurde, faßte in der Aeſthetik nicht ſowohl Baum-
garten, als andere, die ſich ihm anſchloſſen (Eberharo, Men-
delsſohn, Sulzer) mit Rückgang auf eine Beſtimmung Wolffs
(Ontologie, 3r Abſchn.) als Zweck. Indem nun Kant dieſe Erklärung
des Schönen widerlegt, überſieht er nicht, daß äußere Zweckmäßig-
keit (bloſe Nützlichkeit) und innere zu unterſcheiden und daß unter Voll-
kommenheit die letztere zu verſtehen iſt. Nun widerlegt er dieſe Anſicht
(Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 15) von dem Geſichtspunkte der Beſchaffen-
heit des ſubjectiven Wohlgefallens am Schönen, von dem er nachge-
wieſen, daß es eine von Begriffen unabhängige reine Gefühlsſtimmung
ſey. Um ſich ein Ding als zweckmäßig vorzuſtellen, muß der Begriff
von dieſem, was es für ein Ding ſeyn ſolle, vorangehen und dies
iſt ein Verſtandes-Urtheil, nicht ein äſthetiſches. Der Einwurf iſt richtig,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/139>, abgerufen am 23.11.2024.
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