zu beweisender Sätze in der Einleitung die Rede seyn kann. Es darf aber diese Frage hier nicht übergangen werden; vorläufige allgemeinste Orientirung ist Aufgabe der Einleitung.
Die Wolff'sche Schule theilte zweigliedrig in theoretische und praktische Philosophie (wiewohl der erstere Name bei Wolff noch nicht vorkommt). Diese Eintheilung blieb in der Philosophie so lange, als die Logik oder im weitern Sinn Erkenntnißlehre noch blos formal verstanden wurde. Sie wurde dann entweder, wenn man vom Bedürfniß des Lernenden ausging, als propädeutischer Theil den eigentlichen Haupt- theilen vorangeschickt, oder, wenn man gegenständlich verfuhr, neben die Psychologie in das System eingereiht. (Vergl. Erdmann's Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neueren Philosophie B. 2, Abthl. 2. S. 269 ff. 379. 380.) Zur Logik im weiteren Sinne oder zur Gnoscologie gehört aber nach Baumgarten eben die Aesthetik. Von dem Schwanken zwischen der instrumentalen Voranstellung und der systema- tischen Einreihung kann hier abgesehen werden und die Frage, ob Hegel mit Recht oder Unrecht die Kunst auch in die Phäenomenologie (als propä- deutische Wissenschaft) aufgenommen habe (vergl. Danzel Ueber die Aesthetik der Hegelschen Philosophie Abschnitt 1.) gehört noch weniger hieher; es wird sich übrigens an seinem Orte erweisen, daß die Kunst allerdings als eine der großen Formen des Bewußtseyns zu begreifen ist, in welchen der Geist sein Wesen und seine Weltanschauung so lange nieder- zulegen sucht, bis er im reinen Denken sich in seiner Wahrheit erfaßt, und welche daher allerdings sowohl phänomenologisch als auch, weil sie nämlich dadurch, daß sie als verschwindende Stufen im Wege des Geistes zu seiner Reinheit erfaßt werden, keineswegs aufhören real fort- zubestehen, systematisch auftreten können. Systematisch eingereiht aber fällt die Aesthetik nach jener Eintheilung in die theoretische Philosophie. So stellt z. B. Krug die Aesthetik als den dritten und letzten Theil der theoretischen Philosophie auf: die theoretische Philosophie betrachtet die Objecte unserer Vorstellungen zuerst in ihrer Beziehung auf das Denk- vermögen -- Logik, sodann in Beziehung auf das Erkenntnißvermögen -- Methaphysik, zuletzt in Beziehung auf das Gefühl der Lust und Unlust -- Aesthetik. (Aesthetik oder Geschmackslehre S. 8.) Krug hat bekanntlich Kant'sche Ideen zu einem breiten und stumpfen Formalismus verwässert. Nach diesen gehört die Aesthetik, da sie "blos eine aus der Natur des menschlichen Geistes selbst geschöpfte Rechenschaft über die Gründe des ästhetischen Wohlgefallens geben soll" (a. a. O. 12), aller-
zu beweiſender Sätze in der Einleitung die Rede ſeyn kann. Es darf aber dieſe Frage hier nicht übergangen werden; vorläufige allgemeinſte Orientirung iſt Aufgabe der Einleitung.
Die Wolff’ſche Schule theilte zweigliedrig in theoretiſche und praktiſche Philoſophie (wiewohl der erſtere Name bei Wolff noch nicht vorkommt). Dieſe Eintheilung blieb in der Philoſophie ſo lange, als die Logik oder im weitern Sinn Erkenntnißlehre noch blos formal verſtanden wurde. Sie wurde dann entweder, wenn man vom Bedürfniß des Lernenden ausging, als propädeutiſcher Theil den eigentlichen Haupt- theilen vorangeſchickt, oder, wenn man gegenſtändlich verfuhr, neben die Pſychologie in das Syſtem eingereiht. (Vergl. Erdmann’s Verſuch einer wiſſenſchaftlichen Darſtellung der Geſchichte der neueren Philoſophie B. 2, Abthl. 2. S. 269 ff. 379. 380.) Zur Logik im weiteren Sinne oder zur Gnoſcologie gehört aber nach Baumgarten eben die Aeſthetik. Von dem Schwanken zwiſchen der inſtrumentalen Voranſtellung und der ſyſtema- tiſchen Einreihung kann hier abgeſehen werden und die Frage, ob Hegel mit Recht oder Unrecht die Kunſt auch in die Phäenomenologie (als propä- deutiſche Wiſſenſchaft) aufgenommen habe (vergl. Danzel Ueber die Aeſthetik der Hegelſchen Philoſophie Abſchnitt 1.) gehört noch weniger hieher; es wird ſich übrigens an ſeinem Orte erweiſen, daß die Kunſt allerdings als eine der großen Formen des Bewußtſeyns zu begreifen iſt, in welchen der Geiſt ſein Weſen und ſeine Weltanſchauung ſo lange nieder- zulegen ſucht, bis er im reinen Denken ſich in ſeiner Wahrheit erfaßt, und welche daher allerdings ſowohl phänomenologiſch als auch, weil ſie nämlich dadurch, daß ſie als verſchwindende Stufen im Wege des Geiſtes zu ſeiner Reinheit erfaßt werden, keineswegs aufhören real fort- zubeſtehen, ſyſtematiſch auftreten können. Syſtematiſch eingereiht aber fällt die Aeſthetik nach jener Eintheilung in die theoretiſche Philoſophie. So ſtellt z. B. Krug die Aeſthetik als den dritten und letzten Theil der theoretiſchen Philoſophie auf: die theoretiſche Philoſophie betrachtet die Objecte unſerer Vorſtellungen zuerſt in ihrer Beziehung auf das Denk- vermögen — Logik, ſodann in Beziehung auf das Erkenntnißvermögen — Methaphyſik, zuletzt in Beziehung auf das Gefühl der Luſt und Unluſt — Aeſthetik. (Aeſthetik oder Geſchmackslehre S. 8.) Krug hat bekanntlich Kant’ſche Ideen zu einem breiten und ſtumpfen Formalismus verwäſſert. Nach dieſen gehört die Aeſthetik, da ſie „blos eine aus der Natur des menſchlichen Geiſtes ſelbſt geſchöpfte Rechenſchaft über die Gründe des äſthetiſchen Wohlgefallens geben ſoll“ (a. a. O. 12), aller-
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zu beweiſender Sätze in der Einleitung die Rede ſeyn kann. Es darf
aber dieſe Frage hier nicht übergangen werden; vorläufige allgemeinſte
Orientirung iſt Aufgabe der Einleitung.
Die Wolff’ſche Schule theilte zweigliedrig in theoretiſche und
praktiſche Philoſophie (wiewohl der erſtere Name bei Wolff noch nicht
vorkommt). Dieſe Eintheilung blieb in der Philoſophie ſo lange, als
die Logik oder im weitern Sinn Erkenntnißlehre noch blos formal
verſtanden wurde. Sie wurde dann entweder, wenn man vom Bedürfniß
des Lernenden ausging, als propädeutiſcher Theil den eigentlichen Haupt-
theilen vorangeſchickt, oder, wenn man gegenſtändlich verfuhr, neben die
Pſychologie in das Syſtem eingereiht. (Vergl. Erdmann’s Verſuch
einer wiſſenſchaftlichen Darſtellung der Geſchichte der neueren Philoſophie
B. 2, Abthl. 2. S. 269 ff. 379. 380.) Zur Logik im weiteren Sinne oder
zur Gnoſcologie gehört aber nach Baumgarten eben die Aeſthetik. Von
dem Schwanken zwiſchen der inſtrumentalen Voranſtellung und der ſyſtema-
tiſchen Einreihung kann hier abgeſehen werden und die Frage, ob Hegel mit
Recht oder Unrecht die Kunſt auch in die Phäenomenologie (als propä-
deutiſche Wiſſenſchaft) aufgenommen habe (vergl. Danzel Ueber die
Aeſthetik der Hegelſchen Philoſophie Abſchnitt 1.) gehört noch weniger
hieher; es wird ſich übrigens an ſeinem Orte erweiſen, daß die Kunſt
allerdings als eine der großen Formen des Bewußtſeyns zu begreifen iſt,
in welchen der Geiſt ſein Weſen und ſeine Weltanſchauung ſo lange nieder-
zulegen ſucht, bis er im reinen Denken ſich in ſeiner Wahrheit erfaßt,
und welche daher allerdings ſowohl phänomenologiſch als auch, weil
ſie nämlich dadurch, daß ſie als verſchwindende Stufen im Wege des
Geiſtes zu ſeiner Reinheit erfaßt werden, keineswegs aufhören real fort-
zubeſtehen, ſyſtematiſch auftreten können. Syſtematiſch eingereiht aber fällt
die Aeſthetik nach jener Eintheilung in die theoretiſche Philoſophie. So
ſtellt z. B. Krug die Aeſthetik als den dritten und letzten Theil der
theoretiſchen Philoſophie auf: die theoretiſche Philoſophie betrachtet die
Objecte unſerer Vorſtellungen zuerſt in ihrer Beziehung auf das Denk-
vermögen — Logik, ſodann in Beziehung auf das Erkenntnißvermögen
— Methaphyſik, zuletzt in Beziehung auf das Gefühl der Luſt und
Unluſt — Aeſthetik. (Aeſthetik oder Geſchmackslehre S. 8.) Krug hat
bekanntlich Kant’ſche Ideen zu einem breiten und ſtumpfen Formalismus
verwäſſert. Nach dieſen gehört die Aeſthetik, da ſie „blos eine aus der
Natur des menſchlichen Geiſtes ſelbſt geſchöpfte Rechenſchaft über die
Gründe des äſthetiſchen Wohlgefallens geben ſoll“ (a. a. O. 12), aller-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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