den Gegenstand aufhebt, statt ihn zu begründen. Uebrigens ist hinzuzusetzen, daß die Gefahr nicht nothwendig eine blos vorgestellte seyn muß, sie kann auch eine wirkliche seyn, aber dann ist eine solche geistige Freiheit voraus- gesetzt, sich auf dem ästhetischen Standpunkte zu erhalten, daß das ge- fährdete Subject die eigene Gefahr ganz vergißt und dadurch selbst wieder Andern ein Schauspiel geistiger Erhabenheit gibt, wie dies von einzelnen Marine- und Schlachten-Malern bekannt ist.
§. 97.
1
Wo nun das Quantitative die Bestimmung der Qualität in sich aufnimmt, besteht kein unterschiedsloses und ruhendes Verhältniß zwischen beiden, denn die Qualität bestimmt sich fortschreitend zu verschiedenen Graden der Intensität und 2jeder derselben bedingt eine verschiedene Stellung zum Quantitativen. Auf der untersten Stufe kommt die wirkliche Bewegung durch die Kraft des Stoßes von außen und ist ebendaher die Masse und Menge noch wesentlich. Auf einer höheren Stufe dagegen wohnt die Kraft ihrem Organe selbst inne, steht in unmittelbarer Einheit mit demselben und wirkt nicht nothwendig durch die Größe der Masse, immer aber als rückhaltslos wilde Bewegtheit. Auf einer dritten aber sammelt sie sich, zwar ohne eigentliche Reflexion in sich, intensiv in der Tiefe und stellt sich sogar in ein umgekehrtes Verhältniß zu ihrem Organ: die Qualität überwiegt bereits die Quantität.
1. Es wird hier ein Wechsel im Verhältniß der Qualität zur Quan- tität oder der Kraft zur Masse ihres Organs eingeführt, der ein Vorgriff scheinen könnte, denn es leuchtet sogleich ein, daß die Sache nur deut- lich wird, wenn man sich bestimmter an die verschiedenen Naturreiche erinnert. Allein es handelt sich doch hier nur um das ganz Allgemeine eines Begriffs, der zwar in der Aesthetik, wie jede Bestimmung, nur seine Geltung hat, sofern das in ihm Umfaßte sinnlich erscheint, hier aber nur erst in der Abstraction der in ihm enthaltenen Grundverhält- nisse zur Betrachtung kommt. Die Allgemeinheit der Frage, wodurch ihr ihre Stellung in der Metaphysik des Schönen angewiesen wird, erkennt man sogleich daran, daß unter jedes der hier genannten Verhältnisse eine unbestimmte Menge von Gattungen aus verschiedenen Klassen, Ordnungen, Familien fällt und das, was sie in der Lehre vom Naturschönen genauer unter- scheiden wird, die Gestalt, hier noch nicht nach seiner näheren Bestimmtheit in
den Gegenſtand aufhebt, ſtatt ihn zu begründen. Uebrigens iſt hinzuzuſetzen, daß die Gefahr nicht nothwendig eine blos vorgeſtellte ſeyn muß, ſie kann auch eine wirkliche ſeyn, aber dann iſt eine ſolche geiſtige Freiheit voraus- geſetzt, ſich auf dem äſthetiſchen Standpunkte zu erhalten, daß das ge- fährdete Subject die eigene Gefahr ganz vergißt und dadurch ſelbſt wieder Andern ein Schauſpiel geiſtiger Erhabenheit gibt, wie dies von einzelnen Marine- und Schlachten-Malern bekannt iſt.
§. 97.
1
Wo nun das Quantitative die Beſtimmung der Qualität in ſich aufnimmt, beſteht kein unterſchiedsloſes und ruhendes Verhältniß zwiſchen beiden, denn die Qualität beſtimmt ſich fortſchreitend zu verſchiedenen Graden der Intenſität und 2jeder derſelben bedingt eine verſchiedene Stellung zum Quantitativen. Auf der unterſten Stufe kommt die wirkliche Bewegung durch die Kraft des Stoßes von außen und iſt ebendaher die Maſſe und Menge noch weſentlich. Auf einer höheren Stufe dagegen wohnt die Kraft ihrem Organe ſelbſt inne, ſteht in unmittelbarer Einheit mit demſelben und wirkt nicht nothwendig durch die Größe der Maſſe, immer aber als rückhaltslos wilde Bewegtheit. Auf einer dritten aber ſammelt ſie ſich, zwar ohne eigentliche Reflexion in ſich, intenſiv in der Tiefe und ſtellt ſich ſogar in ein umgekehrtes Verhältniß zu ihrem Organ: die Qualität überwiegt bereits die Quantität.
1. Es wird hier ein Wechſel im Verhältniß der Qualität zur Quan- tität oder der Kraft zur Maſſe ihres Organs eingeführt, der ein Vorgriff ſcheinen könnte, denn es leuchtet ſogleich ein, daß die Sache nur deut- lich wird, wenn man ſich beſtimmter an die verſchiedenen Naturreiche erinnert. Allein es handelt ſich doch hier nur um das ganz Allgemeine eines Begriffs, der zwar in der Aeſthetik, wie jede Beſtimmung, nur ſeine Geltung hat, ſofern das in ihm Umfaßte ſinnlich erſcheint, hier aber nur erſt in der Abſtraction der in ihm enthaltenen Grundverhält- niſſe zur Betrachtung kommt. Die Allgemeinheit der Frage, wodurch ihr ihre Stellung in der Metaphyſik des Schönen angewieſen wird, erkennt man ſogleich daran, daß unter jedes der hier genannten Verhältniſſe eine unbeſtimmte Menge von Gattungen aus verſchiedenen Klaſſen, Ordnungen, Familien fällt und das, was ſie in der Lehre vom Naturſchönen genauer unter- ſcheiden wird, die Geſtalt, hier noch nicht nach ſeiner näheren Beſtimmtheit in
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auch eine wirkliche ſeyn, aber dann iſt eine ſolche geiſtige Freiheit voraus-
geſetzt, ſich auf dem äſthetiſchen Standpunkte zu erhalten, daß das ge-
fährdete Subject die eigene Gefahr ganz vergißt und dadurch ſelbſt wieder
Andern ein Schauſpiel geiſtiger Erhabenheit gibt, wie dies von einzelnen
Marine- und Schlachten-Malern bekannt iſt.
§. 97.
Wo nun das Quantitative die Beſtimmung der Qualität in ſich aufnimmt,
beſteht kein unterſchiedsloſes und ruhendes Verhältniß zwiſchen beiden, denn die
Qualität beſtimmt ſich fortſchreitend zu verſchiedenen Graden der Intenſität und
jeder derſelben bedingt eine verſchiedene Stellung zum Quantitativen. Auf der
unterſten Stufe kommt die wirkliche Bewegung durch die Kraft des Stoßes von
außen und iſt ebendaher die Maſſe und Menge noch weſentlich. Auf einer
höheren Stufe dagegen wohnt die Kraft ihrem Organe ſelbſt inne, ſteht
in unmittelbarer Einheit mit demſelben und wirkt nicht nothwendig durch die
Größe der Maſſe, immer aber als rückhaltslos wilde Bewegtheit. Auf einer
dritten aber ſammelt ſie ſich, zwar ohne eigentliche Reflexion in ſich, intenſiv in
der Tiefe und ſtellt ſich ſogar in ein umgekehrtes Verhältniß zu ihrem Organ:
die Qualität überwiegt bereits die Quantität.
1. Es wird hier ein Wechſel im Verhältniß der Qualität zur Quan-
tität oder der Kraft zur Maſſe ihres Organs eingeführt, der ein Vorgriff
ſcheinen könnte, denn es leuchtet ſogleich ein, daß die Sache nur deut-
lich wird, wenn man ſich beſtimmter an die verſchiedenen Naturreiche
erinnert. Allein es handelt ſich doch hier nur um das ganz Allgemeine
eines Begriffs, der zwar in der Aeſthetik, wie jede Beſtimmung, nur
ſeine Geltung hat, ſofern das in ihm Umfaßte ſinnlich erſcheint, hier
aber nur erſt in der Abſtraction der in ihm enthaltenen Grundverhält-
niſſe zur Betrachtung kommt. Die Allgemeinheit der Frage, wodurch
ihr ihre Stellung in der Metaphyſik des Schönen angewieſen wird, erkennt
man ſogleich daran, daß unter jedes der hier genannten Verhältniſſe eine
unbeſtimmte Menge von Gattungen aus verſchiedenen Klaſſen, Ordnungen,
Familien fällt und das, was ſie in der Lehre vom Naturſchönen genauer unter-
ſcheiden wird, die Geſtalt, hier noch nicht nach ſeiner näheren Beſtimmtheit in
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/258>, abgerufen am 26.11.2024.
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