eine besondere Stelle für den Gegenstand fordert. Das Chaotische, Wilde, Formlose in der Natur gemahnt uns, daß auch im moralisch Häßlichen der zum Prinzip erhobene Naturgrund sich entfesselt. Wir können also Ruge's Satz auch umkehren: das moralisch Häßliche reißt den Menschen in das Chaos, zu Wölfen und Bären zurück und ist ein Gleichniß des Häßlichen in der Natur. Darum soll aber keineswegs geläugnet werden, daß erst der zum Prinzip erhobene Naturgrund als Böses die wahre, ganze Häßlichkeit ist. -- Die Mißgestalt nun, worin sich das Böse darstellt, muß nicht nothwendig eigentliche Miß- bildung seyn, wie bei RichardIII, wo sie aber als Motiv so wun- derbar vom Dichter verarbeitet ist; die Formen können schön seyn, und gerade dann erscheint die Bewegung, welche der Charakter dazu gibt, das Mienen- und Gebärdenspiel, das sich freilich auch in bleibenden Zügen eingräbt, um so häßlicher, wenn es die Formen, welche zum Ausdruck einer hohen Seele bestimmt sind, durch diese Züge trübt, worin der lauernde Tiger, die schleichende Katze sich in das edle Menschenbild eingedrängt zu haben scheint. Die eigentliche Mißgestalt des Bösen aber erscheint in seinen Werken.
2. Die Häßlichkeit führt zum Komischen, wenn die Seite des reinen Widerspruchs im Gegenstande als solche in's Auge gefaßt wird. Dies mußte hier schon [a]ngedeutet werden, um zeigen zu können, warum das Böse eine Häßlichkeit furchtbarer Art behaupten muß. Daß gute Kräfte im Bösen fortwirkend gegen sich selbst wüthen, daß die tiefe Einsicht des Bösen ihm seine Verkehrtheit, ja den logischen Grundirrthum in seiner Bosheit nothwendig zeigen sollte und in einem unausgebildeten Wahrheitsgefühle wirklich zeigt, dies ist reiner Widerspruch; allein der Zuschauer hat keine Zeit, dabei zu verweilen, weil dieses widersprechende Wesen absolut schädlicher Art ist und ihn mit Grauen überzieht. Der Verbrecher darf daher im ästhetischen Zusammenhang niemals ärmlich und gedrückt, er muß noch im Untergang groß und furchtbar erscheinen. Schon daraus folgt die Verwerflichkeit des Armensünder-Motivs in Romanen und Schauspielen. Wenn nun aber, wie im religiösen Glau- ben, ein absolut Böses als Person vorgestellt wird, so ist der Ueber- gang in's Komische nicht mehr abzuhalten. Denn wie furchtbar die Erscheinung gedacht seyn mag, der volle Widerspruch eines Wesens, welches das Böse um des Bösen willen bei vollkommen ausgebildeter Einsicht in seine Nichtigkeit unabläßig will, ist zu stark, um von dem Eindruck des Furchtbaren zugedeckt zu werden. Der wahre Künstler muß daher den Teufel nicht pathetisch, sondern humoristisch behandeln.
eine beſondere Stelle für den Gegenſtand fordert. Das Chaotiſche, Wilde, Formloſe in der Natur gemahnt uns, daß auch im moraliſch Häßlichen der zum Prinzip erhobene Naturgrund ſich entfeſſelt. Wir können alſo Ruge’s Satz auch umkehren: das moraliſch Häßliche reißt den Menſchen in das Chaos, zu Wölfen und Bären zurück und iſt ein Gleichniß des Häßlichen in der Natur. Darum ſoll aber keineswegs geläugnet werden, daß erſt der zum Prinzip erhobene Naturgrund als Böſes die wahre, ganze Häßlichkeit iſt. — Die Mißgeſtalt nun, worin ſich das Böſe darſtellt, muß nicht nothwendig eigentliche Miß- bildung ſeyn, wie bei RichardIII, wo ſie aber als Motiv ſo wun- derbar vom Dichter verarbeitet iſt; die Formen können ſchön ſeyn, und gerade dann erſcheint die Bewegung, welche der Charakter dazu gibt, das Mienen- und Gebärdenſpiel, das ſich freilich auch in bleibenden Zügen eingräbt, um ſo häßlicher, wenn es die Formen, welche zum Ausdruck einer hohen Seele beſtimmt ſind, durch dieſe Züge trübt, worin der lauernde Tiger, die ſchleichende Katze ſich in das edle Menſchenbild eingedrängt zu haben ſcheint. Die eigentliche Mißgeſtalt des Böſen aber erſcheint in ſeinen Werken.
2. Die Häßlichkeit führt zum Komiſchen, wenn die Seite des reinen Widerſpruchs im Gegenſtande als ſolche in’s Auge gefaßt wird. Dies mußte hier ſchon [a]ngedeutet werden, um zeigen zu können, warum das Böſe eine Häßlichkeit furchtbarer Art behaupten muß. Daß gute Kräfte im Böſen fortwirkend gegen ſich ſelbſt wüthen, daß die tiefe Einſicht des Böſen ihm ſeine Verkehrtheit, ja den logiſchen Grundirrthum in ſeiner Bosheit nothwendig zeigen ſollte und in einem unausgebildeten Wahrheitsgefühle wirklich zeigt, dies iſt reiner Widerſpruch; allein der Zuſchauer hat keine Zeit, dabei zu verweilen, weil dieſes widerſprechende Weſen abſolut ſchädlicher Art iſt und ihn mit Grauen überzieht. Der Verbrecher darf daher im äſthetiſchen Zuſammenhang niemals ärmlich und gedrückt, er muß noch im Untergang groß und furchtbar erſcheinen. Schon daraus folgt die Verwerflichkeit des Armenſünder-Motivs in Romanen und Schauſpielen. Wenn nun aber, wie im religiöſen Glau- ben, ein abſolut Böſes als Perſon vorgeſtellt wird, ſo iſt der Ueber- gang in’s Komiſche nicht mehr abzuhalten. Denn wie furchtbar die Erſcheinung gedacht ſeyn mag, der volle Widerſpruch eines Weſens, welches das Böſe um des Böſen willen bei vollkommen ausgebildeter Einſicht in ſeine Nichtigkeit unabläßig will, iſt zu ſtark, um von dem Eindruck des Furchtbaren zugedeckt zu werden. Der wahre Künſtler muß daher den Teufel nicht pathetiſch, ſondern humoriſtiſch behandeln.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0277"n="263"/>
eine beſondere Stelle für den Gegenſtand fordert. Das Chaotiſche,<lb/>
Wilde, Formloſe in der Natur gemahnt uns, daß auch im moraliſch<lb/>
Häßlichen der zum Prinzip erhobene Naturgrund ſich entfeſſelt. Wir<lb/>
können alſo <hirendition="#g">Ruge</hi>’s Satz auch umkehren: das moraliſch Häßliche reißt<lb/>
den Menſchen in das Chaos, zu Wölfen und Bären zurück und iſt ein<lb/>
Gleichniß des Häßlichen in der Natur. Darum ſoll aber keineswegs<lb/>
geläugnet werden, daß erſt der zum Prinzip erhobene Naturgrund als<lb/>
Böſes die <hirendition="#g">wahre, ganze</hi> Häßlichkeit iſt. — Die Mißgeſtalt nun,<lb/>
worin ſich das Böſe darſtellt, muß nicht nothwendig eigentliche Miß-<lb/>
bildung ſeyn, wie bei <hirendition="#g">Richard</hi><hirendition="#aq">III</hi>, wo ſie aber als Motiv ſo wun-<lb/>
derbar vom Dichter verarbeitet iſt; die Formen können ſchön ſeyn, und<lb/>
gerade dann erſcheint die Bewegung, welche der Charakter dazu gibt,<lb/>
das Mienen- und Gebärdenſpiel, das ſich freilich auch in bleibenden Zügen<lb/>
eingräbt, um ſo häßlicher, wenn es die Formen, welche zum Ausdruck<lb/>
einer hohen Seele beſtimmt ſind, durch dieſe Züge trübt, worin der lauernde<lb/>
Tiger, die ſchleichende Katze ſich in das edle Menſchenbild eingedrängt zu haben<lb/>ſcheint. Die eigentliche Mißgeſtalt des Böſen aber erſcheint in ſeinen Werken.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Die Häßlichkeit führt zum Komiſchen, wenn die Seite des reinen<lb/>
Widerſpruchs im Gegenſtande als ſolche in’s Auge gefaßt wird. Dies<lb/>
mußte hier ſchon <supplied>a</supplied>ngedeutet werden, um zeigen zu können, warum das<lb/>
Böſe eine Häßlichkeit furchtbarer Art behaupten muß. Daß gute Kräfte<lb/>
im Böſen fortwirkend gegen ſich ſelbſt wüthen, daß die tiefe Einſicht<lb/>
des Böſen ihm ſeine Verkehrtheit, ja den logiſchen Grundirrthum in<lb/>ſeiner Bosheit nothwendig zeigen ſollte und in einem unausgebildeten<lb/>
Wahrheitsgefühle wirklich zeigt, dies iſt reiner Widerſpruch; allein der<lb/>
Zuſchauer hat keine Zeit, dabei zu verweilen, weil dieſes widerſprechende<lb/>
Weſen abſolut ſchädlicher Art iſt und ihn mit Grauen überzieht. Der<lb/>
Verbrecher darf daher im äſthetiſchen Zuſammenhang niemals ärmlich<lb/>
und gedrückt, er muß noch im Untergang groß und furchtbar erſcheinen.<lb/>
Schon daraus folgt die Verwerflichkeit des Armenſünder-Motivs in<lb/>
Romanen und Schauſpielen. Wenn nun aber, wie im religiöſen Glau-<lb/>
ben, ein abſolut Böſes als Perſon vorgeſtellt wird, ſo iſt der Ueber-<lb/>
gang in’s Komiſche nicht mehr abzuhalten. Denn wie furchtbar die<lb/>
Erſcheinung gedacht ſeyn mag, der volle Widerſpruch eines Weſens,<lb/>
welches das Böſe um des Böſen willen bei vollkommen ausgebildeter<lb/>
Einſicht in ſeine Nichtigkeit unabläßig will, iſt zu ſtark, um von dem<lb/>
Eindruck des Furchtbaren zugedeckt zu werden. Der wahre Künſtler<lb/>
muß daher den Teufel nicht pathetiſch, ſondern humoriſtiſch behandeln.<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[263/0277]
eine beſondere Stelle für den Gegenſtand fordert. Das Chaotiſche,
Wilde, Formloſe in der Natur gemahnt uns, daß auch im moraliſch
Häßlichen der zum Prinzip erhobene Naturgrund ſich entfeſſelt. Wir
können alſo Ruge’s Satz auch umkehren: das moraliſch Häßliche reißt
den Menſchen in das Chaos, zu Wölfen und Bären zurück und iſt ein
Gleichniß des Häßlichen in der Natur. Darum ſoll aber keineswegs
geläugnet werden, daß erſt der zum Prinzip erhobene Naturgrund als
Böſes die wahre, ganze Häßlichkeit iſt. — Die Mißgeſtalt nun,
worin ſich das Böſe darſtellt, muß nicht nothwendig eigentliche Miß-
bildung ſeyn, wie bei Richard III, wo ſie aber als Motiv ſo wun-
derbar vom Dichter verarbeitet iſt; die Formen können ſchön ſeyn, und
gerade dann erſcheint die Bewegung, welche der Charakter dazu gibt,
das Mienen- und Gebärdenſpiel, das ſich freilich auch in bleibenden Zügen
eingräbt, um ſo häßlicher, wenn es die Formen, welche zum Ausdruck
einer hohen Seele beſtimmt ſind, durch dieſe Züge trübt, worin der lauernde
Tiger, die ſchleichende Katze ſich in das edle Menſchenbild eingedrängt zu haben
ſcheint. Die eigentliche Mißgeſtalt des Böſen aber erſcheint in ſeinen Werken.
2. Die Häßlichkeit führt zum Komiſchen, wenn die Seite des reinen
Widerſpruchs im Gegenſtande als ſolche in’s Auge gefaßt wird. Dies
mußte hier ſchon angedeutet werden, um zeigen zu können, warum das
Böſe eine Häßlichkeit furchtbarer Art behaupten muß. Daß gute Kräfte
im Böſen fortwirkend gegen ſich ſelbſt wüthen, daß die tiefe Einſicht
des Böſen ihm ſeine Verkehrtheit, ja den logiſchen Grundirrthum in
ſeiner Bosheit nothwendig zeigen ſollte und in einem unausgebildeten
Wahrheitsgefühle wirklich zeigt, dies iſt reiner Widerſpruch; allein der
Zuſchauer hat keine Zeit, dabei zu verweilen, weil dieſes widerſprechende
Weſen abſolut ſchädlicher Art iſt und ihn mit Grauen überzieht. Der
Verbrecher darf daher im äſthetiſchen Zuſammenhang niemals ärmlich
und gedrückt, er muß noch im Untergang groß und furchtbar erſcheinen.
Schon daraus folgt die Verwerflichkeit des Armenſünder-Motivs in
Romanen und Schauſpielen. Wenn nun aber, wie im religiöſen Glau-
ben, ein abſolut Böſes als Perſon vorgeſtellt wird, ſo iſt der Ueber-
gang in’s Komiſche nicht mehr abzuhalten. Denn wie furchtbar die
Erſcheinung gedacht ſeyn mag, der volle Widerſpruch eines Weſens,
welches das Böſe um des Böſen willen bei vollkommen ausgebildeter
Einſicht in ſeine Nichtigkeit unabläßig will, iſt zu ſtark, um von dem
Eindruck des Furchtbaren zugedeckt zu werden. Der wahre Künſtler
muß daher den Teufel nicht pathetiſch, ſondern humoriſtiſch behandeln.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/277>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.