gibt, weil dieselben nur auf die Möglichkeit einer Natur (als Gegen- standes der Sinne) überhaupt gehen, unbestimmt gelassen werden, daß hiefür neue Gesetze aufgesucht werden müssen. Diese Formen sind solche, welche einen in der Natur thätigen und das Mannigfaltige zur Einheit verbindenden Verstand voraussetzen lassen, und das Gesetz, das sich der reflectirende Verstand durch Wahrnehmung derselben bildet, ist daher die Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit. Dieser Begriff ist jedoch lediglich subjectiv, die reflectirende Urtheilskraft gibt dadurch nur sich selbst, und nicht der Natur, ein Gesetz; "denn den Naturproducten kann man so etwas, als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke, nicht beilegen, sondern diesen Begriff nur brauchen, um über sie in Ansehung der Verknüpfung der Erscheinungen in ihr zu reflectiren." Kant unterscheidet nun das ästhetische und das teleologische Verhalten der Urtheilskraft. Jenes besteht darin, daß nicht ein be- stimmter Zweck gedacht wird, sondern die Form des Gegenstandes ohne bestimmten Begriff eine unmittelbare Lust dadurch erregt, daß das Subject sich in die Stimmung der Zweckmäßigkeit versetzt fühlt. Die Einbildungs- kraft faßt die Formen der Gegenstände auf, führt dieß Bild der Ur- theilskraft zu, und diese findet sich in ihrem Bedürfnisse, die Gegen- stände als zweckmäßig zu begreifen, unbestimmt, ohne wirkliche Vorstel- lung eines bestimmten Zwecks, und daher ganz unabsichtlich befriedigt. Die Zweckmäßigkeit liegt eigentlich nicht im Gegenstande, sondern das Zweckmäßige ist vielmehr das der Natur des Geistes Entsprechende, das Genugthuende in diesem harmonischen Spiele zwischen Verstand und Ein- bildungskraft. Diese Thätigkeit der Urtheilskraft ist daher im engeren Sinne subjectiv, es wird am Gegenstande gar nichts erkannt, das Wesentliche und Bestimmende ist die mit der Vorstellung verbundene Lust (oder Unlust). Was nun "an der Vorstellung eines Objects blos subjectiv ist, d. h. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenstand ausmacht, ist die ästhetische Beschaffenheit derselben" und diese Function der Urtheils- kraft also die ästhetische. Die Frage, wie es denn komme, daß ein Gegenstand die Erkenntnißkräfte in ein harmonisches Spiel versetzt, ein anderer nicht, vergißt Kant völlig aufzuwerfen und er hätte sie auf- werfen müssen, wenn er auch den unvollendeten Schritt zum subjectiven Idealismus vollendet hätte; denn auch dieser hat auf seine Weise zu begründen, wie, warum und unter welchen Bedingungen das Schöne in einen Gegenstand hineingeschaut wird. Diese Frage hat uns aber hier noch nicht zu beschäftigen. -- Wird dagegen ein bestimmter Zweck-
gibt, weil dieſelben nur auf die Möglichkeit einer Natur (als Gegen- ſtandes der Sinne) überhaupt gehen, unbeſtimmt gelaſſen werden, daß hiefür neue Geſetze aufgeſucht werden müſſen. Dieſe Formen ſind ſolche, welche einen in der Natur thätigen und das Mannigfaltige zur Einheit verbindenden Verſtand vorausſetzen laſſen, und das Geſetz, das ſich der reflectirende Verſtand durch Wahrnehmung derſelben bildet, iſt daher die Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit. Dieſer Begriff iſt jedoch lediglich ſubjectiv, die reflectirende Urtheilskraft gibt dadurch nur ſich ſelbſt, und nicht der Natur, ein Geſetz; „denn den Naturproducten kann man ſo etwas, als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke, nicht beilegen, ſondern dieſen Begriff nur brauchen, um über ſie in Anſehung der Verknüpfung der Erſcheinungen in ihr zu reflectiren.“ Kant unterſcheidet nun das äſthetiſche und das teleologiſche Verhalten der Urtheilskraft. Jenes beſteht darin, daß nicht ein be- ſtimmter Zweck gedacht wird, ſondern die Form des Gegenſtandes ohne beſtimmten Begriff eine unmittelbare Luſt dadurch erregt, daß das Subject ſich in die Stimmung der Zweckmäßigkeit verſetzt fühlt. Die Einbildungs- kraft faßt die Formen der Gegenſtände auf, führt dieß Bild der Ur- theilskraft zu, und dieſe findet ſich in ihrem Bedürfniſſe, die Gegen- ſtände als zweckmäßig zu begreifen, unbeſtimmt, ohne wirkliche Vorſtel- lung eines beſtimmten Zwecks, und daher ganz unabſichtlich befriedigt. Die Zweckmäßigkeit liegt eigentlich nicht im Gegenſtande, ſondern das Zweckmäßige iſt vielmehr das der Natur des Geiſtes Entſprechende, das Genugthuende in dieſem harmoniſchen Spiele zwiſchen Verſtand und Ein- bildungskraft. Dieſe Thätigkeit der Urtheilskraft iſt daher im engeren Sinne ſubjectiv, es wird am Gegenſtande gar nichts erkannt, das Weſentliche und Beſtimmende iſt die mit der Vorſtellung verbundene Luſt (oder Unluſt). Was nun „an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. h. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche Beſchaffenheit derſelben“ und dieſe Function der Urtheils- kraft alſo die äſthetiſche. Die Frage, wie es denn komme, daß ein Gegenſtand die Erkenntnißkräfte in ein harmoniſches Spiel verſetzt, ein anderer nicht, vergißt Kant völlig aufzuwerfen und er hätte ſie auf- werfen müſſen, wenn er auch den unvollendeten Schritt zum ſubjectiven Idealismus vollendet hätte; denn auch dieſer hat auf ſeine Weiſe zu begründen, wie, warum und unter welchen Bedingungen das Schöne in einen Gegenſtand hineingeſchaut wird. Dieſe Frage hat uns aber hier noch nicht zu beſchäftigen. — Wird dagegen ein beſtimmter Zweck-
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gibt, weil dieſelben nur auf die Möglichkeit einer Natur (als Gegen-
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hiefür neue Geſetze aufgeſucht werden müſſen. Dieſe Formen ſind ſolche,
welche einen in der Natur thätigen und das Mannigfaltige zur Einheit
verbindenden Verſtand vorausſetzen laſſen, und das Geſetz, das ſich der
reflectirende Verſtand durch Wahrnehmung derſelben bildet, iſt daher die
Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit. Dieſer Begriff iſt
jedoch lediglich ſubjectiv, die reflectirende Urtheilskraft gibt dadurch nur
ſich ſelbſt, und nicht der Natur, ein Geſetz; „denn den Naturproducten
kann man ſo etwas, als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke,
nicht beilegen, ſondern dieſen Begriff nur brauchen, um über ſie in
Anſehung der Verknüpfung der Erſcheinungen in ihr zu reflectiren.“
Kant unterſcheidet nun das äſthetiſche und das teleologiſche
Verhalten der Urtheilskraft. Jenes beſteht darin, daß nicht ein be-
ſtimmter Zweck gedacht wird, ſondern die Form des Gegenſtandes ohne
beſtimmten Begriff eine unmittelbare Luſt dadurch erregt, daß das Subject
ſich in die Stimmung der Zweckmäßigkeit verſetzt fühlt. Die Einbildungs-
kraft faßt die Formen der Gegenſtände auf, führt dieß Bild der Ur-
theilskraft zu, und dieſe findet ſich in ihrem Bedürfniſſe, die Gegen-
ſtände als zweckmäßig zu begreifen, unbeſtimmt, ohne wirkliche Vorſtel-
lung eines beſtimmten Zwecks, und daher ganz unabſichtlich befriedigt.
Die Zweckmäßigkeit liegt eigentlich nicht im Gegenſtande, ſondern das
Zweckmäßige iſt vielmehr das der Natur des Geiſtes Entſprechende, das
Genugthuende in dieſem harmoniſchen Spiele zwiſchen Verſtand und Ein-
bildungskraft. Dieſe Thätigkeit der Urtheilskraft iſt daher im engeren Sinne
ſubjectiv, es wird am Gegenſtande gar nichts erkannt, das Weſentliche und
Beſtimmende iſt die mit der Vorſtellung verbundene Luſt (oder Unluſt).
Was nun „an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. h.
ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt
die äſthetiſche Beſchaffenheit derſelben“ und dieſe Function der Urtheils-
kraft alſo die äſthetiſche. Die Frage, wie es denn komme, daß ein
Gegenſtand die Erkenntnißkräfte in ein harmoniſches Spiel verſetzt, ein
anderer nicht, vergißt Kant völlig aufzuwerfen und er hätte ſie auf-
werfen müſſen, wenn er auch den unvollendeten Schritt zum ſubjectiven
Idealismus vollendet hätte; denn auch dieſer hat auf ſeine Weiſe zu
begründen, wie, warum und unter welchen Bedingungen das Schöne
in einen Gegenſtand hineingeſchaut wird. Dieſe Frage hat uns aber
hier noch nicht zu beſchäftigen. — Wird dagegen ein beſtimmter Zweck-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/29>, abgerufen am 23.11.2024.
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