begriff von dem Gegenstande aufgestellt und die Form desselben als mit diesem Begriffe übereinstimmend beurtheilt, so ist dies das teleologische Verhalten der Urtheilskraft. Dies ist ein objectives Verhalten, objectiv nicht in dem Sinne einer sächlichen Wahrheit, sondern ebenfalls nur einer Betrachtungsweise, welche der Natur einen zweckthätigen Verstand, "gleichsam eine Rücksicht auf unser Erkenntnißvermögen nach der Analogie eines Zwecks" unterlegt, objectiv aber, weil ein bestimmter Zweck auf- gestellt wird. Es ist ein absichtliches, logisches Verfahren, wobei die subjective Beziehung auf Lust und Unlust wegfällt und nur Verstand und Vernunft betheiligt sind. Diese Gesetzgebung entscheidet durch Ueber- einstimmung mit Begriffen, jene durch das Gefühl; dort formales, hier reales Prinzip der Zweckmäßigkeit.
Eigentlich nun gehört, wie Kant selbst es ausspricht, die teleologische Urtheilskraft zur theoretischen Philosophie, denn sie bestimmt zwar keine Objecte, sondern reflectirt blos, aber sie verfährt nach Begriffen, die sie nach ihren besondern Principien auf gewisse Gegenstände der Natur an- wendet; die ästhetische aber, da sie zur Erkenntniß ihrer Gegenstände nichts beiträgt, gehört streng genommen nur zur Kritik des urtheilenden Subjects und der Erkenntniß-Vermögen, d. h. zur Propädeutik. Demnach müßte Kant auf die Stellung der Aesthetik zurückkommen, welche wir bei Baumgarten fanden. Er hat nun aber seine besonderen Gründe, dieses Gebiet (nicht blos der ästhetischen, sondern auch der teleologischen Urtheils- kraft) in die Mitte zwischen die theoretische und praktische Philosophie zu stellen. Der Hauptgrund ist zu Anfang dieser Darstellung bereits aus- gesprochen: er sucht die Kluft zwischen dem Naturbegriff und dem Freiheits- begriff, "die große Kluft, welche das Uebersinnliche von den Erscheinungen trennt", zu überwinden, er sucht ein Band zwischen der Natur-Causalität und der Causalität durch Freiheit. Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe ist der Endzweck, der absolute Zweck. Dieser soll existiren, er soll durch- geführt werden in der Sinnenwelt, die Natur muß daher gedacht werden, als sey sie fähig, ihn in sich aufzunehmen, als komme sie ihm entgegen. Der Verstand in seiner stricten Bedeutung setzt ein übersinnliches Substrat hinter der Erscheinung voraus, läßt es aber völlig unbestimmt; die Urtheilskraft nun aber ist es, welche dieses Substrat näher bestimmt durch den Zweck- begriff: und so trifft der handelnde Geist in der Natur den verwandten Geist und kann seine Zwecke in ihr durchführen, weil sie selbst zweckmäßig organisirt ist. Diese Bedeutung als vermittelndes Glied kommt aber der Urtheilskraft noch aus einem weiteren Grunde zu: sie ist das constitutive
begriff von dem Gegenſtande aufgeſtellt und die Form deſſelben als mit dieſem Begriffe übereinſtimmend beurtheilt, ſo iſt dies das teleologiſche Verhalten der Urtheilskraft. Dies iſt ein objectives Verhalten, objectiv nicht in dem Sinne einer ſächlichen Wahrheit, ſondern ebenfalls nur einer Betrachtungsweiſe, welche der Natur einen zweckthätigen Verſtand, „gleichſam eine Rückſicht auf unſer Erkenntnißvermögen nach der Analogie eines Zwecks“ unterlegt, objectiv aber, weil ein beſtimmter Zweck auf- geſtellt wird. Es iſt ein abſichtliches, logiſches Verfahren, wobei die ſubjective Beziehung auf Luſt und Unluſt wegfällt und nur Verſtand und Vernunft betheiligt ſind. Dieſe Geſetzgebung entſcheidet durch Ueber- einſtimmung mit Begriffen, jene durch das Gefühl; dort formales, hier reales Prinzip der Zweckmäßigkeit.
Eigentlich nun gehört, wie Kant ſelbſt es ausſpricht, die teleologiſche Urtheilskraft zur theoretiſchen Philoſophie, denn ſie beſtimmt zwar keine Objecte, ſondern reflectirt blos, aber ſie verfährt nach Begriffen, die ſie nach ihren beſondern Principien auf gewiſſe Gegenſtände der Natur an- wendet; die äſthetiſche aber, da ſie zur Erkenntniß ihrer Gegenſtände nichts beiträgt, gehört ſtreng genommen nur zur Kritik des urtheilenden Subjects und der Erkenntniß-Vermögen, d. h. zur Propädeutik. Demnach müßte Kant auf die Stellung der Aeſthetik zurückkommen, welche wir bei Baumgarten fanden. Er hat nun aber ſeine beſonderen Gründe, dieſes Gebiet (nicht blos der äſthetiſchen, ſondern auch der teleologiſchen Urtheils- kraft) in die Mitte zwiſchen die theoretiſche und praktiſche Philoſophie zu ſtellen. Der Hauptgrund iſt zu Anfang dieſer Darſtellung bereits aus- geſprochen: er ſucht die Kluft zwiſchen dem Naturbegriff und dem Freiheits- begriff, „die große Kluft, welche das Ueberſinnliche von den Erſcheinungen trennt“, zu überwinden, er ſucht ein Band zwiſchen der Natur-Cauſalität und der Cauſalität durch Freiheit. Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe iſt der Endzweck, der abſolute Zweck. Dieſer ſoll exiſtiren, er ſoll durch- geführt werden in der Sinnenwelt, die Natur muß daher gedacht werden, als ſey ſie fähig, ihn in ſich aufzunehmen, als komme ſie ihm entgegen. Der Verſtand in ſeiner ſtricten Bedeutung ſetzt ein überſinnliches Subſtrat hinter der Erſcheinung voraus, läßt es aber völlig unbeſtimmt; die Urtheilskraft nun aber iſt es, welche dieſes Subſtrat näher beſtimmt durch den Zweck- begriff: und ſo trifft der handelnde Geiſt in der Natur den verwandten Geiſt und kann ſeine Zwecke in ihr durchführen, weil ſie ſelbſt zweckmäßig organiſirt iſt. Dieſe Bedeutung als vermittelndes Glied kommt aber der Urtheilskraft noch aus einem weiteren Grunde zu: ſie iſt das conſtitutive
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[16/0030]
begriff von dem Gegenſtande aufgeſtellt und die Form deſſelben als mit
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nicht in dem Sinne einer ſächlichen Wahrheit, ſondern ebenfalls nur
einer Betrachtungsweiſe, welche der Natur einen zweckthätigen Verſtand,
„gleichſam eine Rückſicht auf unſer Erkenntnißvermögen nach der Analogie
eines Zwecks“ unterlegt, objectiv aber, weil ein beſtimmter Zweck auf-
geſtellt wird. Es iſt ein abſichtliches, logiſches Verfahren, wobei die
ſubjective Beziehung auf Luſt und Unluſt wegfällt und nur Verſtand und
Vernunft betheiligt ſind. Dieſe Geſetzgebung entſcheidet durch Ueber-
einſtimmung mit Begriffen, jene durch das Gefühl; dort formales, hier
reales Prinzip der Zweckmäßigkeit.
Eigentlich nun gehört, wie Kant ſelbſt es ausſpricht, die teleologiſche
Urtheilskraft zur theoretiſchen Philoſophie, denn ſie beſtimmt zwar keine
Objecte, ſondern reflectirt blos, aber ſie verfährt nach Begriffen, die ſie
nach ihren beſondern Principien auf gewiſſe Gegenſtände der Natur an-
wendet; die äſthetiſche aber, da ſie zur Erkenntniß ihrer Gegenſtände
nichts beiträgt, gehört ſtreng genommen nur zur Kritik des urtheilenden
Subjects und der Erkenntniß-Vermögen, d. h. zur Propädeutik. Demnach
müßte Kant auf die Stellung der Aeſthetik zurückkommen, welche wir bei
Baumgarten fanden. Er hat nun aber ſeine beſonderen Gründe, dieſes
Gebiet (nicht blos der äſthetiſchen, ſondern auch der teleologiſchen Urtheils-
kraft) in die Mitte zwiſchen die theoretiſche und praktiſche Philoſophie zu
ſtellen. Der Hauptgrund iſt zu Anfang dieſer Darſtellung bereits aus-
geſprochen: er ſucht die Kluft zwiſchen dem Naturbegriff und dem Freiheits-
begriff, „die große Kluft, welche das Ueberſinnliche von den Erſcheinungen
trennt“, zu überwinden, er ſucht ein Band zwiſchen der Natur-Cauſalität
und der Cauſalität durch Freiheit. Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe
iſt der Endzweck, der abſolute Zweck. Dieſer ſoll exiſtiren, er ſoll durch-
geführt werden in der Sinnenwelt, die Natur muß daher gedacht werden,
als ſey ſie fähig, ihn in ſich aufzunehmen, als komme ſie ihm entgegen. Der
Verſtand in ſeiner ſtricten Bedeutung ſetzt ein überſinnliches Subſtrat hinter
der Erſcheinung voraus, läßt es aber völlig unbeſtimmt; die Urtheilskraft
nun aber iſt es, welche dieſes Subſtrat näher beſtimmt durch den Zweck-
begriff: und ſo trifft der handelnde Geiſt in der Natur den verwandten
Geiſt und kann ſeine Zwecke in ihr durchführen, weil ſie ſelbſt zweckmäßig
organiſirt iſt. Dieſe Bedeutung als vermittelndes Glied kommt aber der
Urtheilskraft noch aus einem weiteren Grunde zu: ſie iſt das conſtitutive
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/30>, abgerufen am 03.12.2024.
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