auseinandergesetzt hat, begründeten Schönheit. Wenn nun Hegel die Dialektik der sittlichen Idee als Inhalt des Tragischen ausspricht, so wiederholt Weiße (S. 326 Anm.) den alten Vorwurf der Stoffar- tigkeit: es werde unaufhörlich der blos basische Inhalt der Kunstdarstel- lung mit dem Zwecke und den höchsten Interessen dieser Darstellung verwechselt. Es fehlt aber bei Hegel nirgends die Einsicht, daß jener Inhalt blos Inhalt ist und zum Aesthetischen nur dadurch wird, daß er in reiner Durchsichtigkeit der Form erscheint; Weiße dagegen wird, nachdem er zuerst freilich nicht stoffartig verfuhr, wohl aber stofflos das Schöne als einen Narziß in's Leere setzte, in einem ganz andern und schlimmen Sinn stoffartig, wenn er die Versöhnung mit der Bitterkeit der Tragödie nicht im Schönen, sondern außer dem Schönen sucht. Für ein so eitles Schöne muß die derbe Substantialität der Dogmatik entschädigen und Weiße baut eine Wissenschaft, die an allen Punkten wie ein launisches Rennpferd aus der Bahn bricht und über den Zaun setzt, sowie ja überhaupt nach ihm die höchste Aufgabe der Philosophie ist, sich selbst aufzuheben, um bei dem Gott der Theologen anzukommen.
Der weitere Inhalt des §. bedarf keiner Erläuterung, enthält aber einen sehr wichtigen und wesentlichen Begriff. In allem Erhabenen zeigte sich ein Hinausgehen über sich selbst, und so kamen wir progressive zum Tragischen. Dieses als höchste Form kann nicht über sich hinaus- gehen. Die Bewegung des Hinausgehens ist aber hier darin vorhanden, daß es die aufgelösten Formen als scheinbar selbständige auftreten läßt und sie dann in sich auflöst. Es stellt also eine Progression durch eine Regression dar. Dies verhält sich so in einem bestimmten tragischen Ganzen, aber ebendies liegt in unserer ganzen Entwicklung des Erha- benen vor. Das Tragische ist das Letzte, aber es ist auch das Erste, denn es ist in allem Erhabenen das Erhabene. So findet die analytische Methode das Allgemeine durch Zerlegung des Einzelnen. Sie geht von diesem als dem ersten aus, aber wenn sie das Allgemeine gefunden, dreht sich das Verhältniß um: dieses erscheint als Grund des Einzelnen.
§. 128.
In §. 125 und 126 ist der Dualismus, der durch alles Erhabene geht,1 bereits auch als Gesetz des Tragischen hervorgetreten. Die in §. 125 auf- gestellte Form ist die positive. Dem erhabenen Subjecte ist unter der Bedingung, daß es seine Erhabenheit als Ausfluß der absoluten und ebendaher die vorüber-
auseinandergeſetzt hat, begründeten Schönheit. Wenn nun Hegel die Dialektik der ſittlichen Idee als Inhalt des Tragiſchen ausſpricht, ſo wiederholt Weiße (S. 326 Anm.) den alten Vorwurf der Stoffar- tigkeit: es werde unaufhörlich der blos baſiſche Inhalt der Kunſtdarſtel- lung mit dem Zwecke und den höchſten Intereſſen dieſer Darſtellung verwechſelt. Es fehlt aber bei Hegel nirgends die Einſicht, daß jener Inhalt blos Inhalt iſt und zum Aeſthetiſchen nur dadurch wird, daß er in reiner Durchſichtigkeit der Form erſcheint; Weiße dagegen wird, nachdem er zuerſt freilich nicht ſtoffartig verfuhr, wohl aber ſtofflos das Schöne als einen Narziß in’s Leere ſetzte, in einem ganz andern und ſchlimmen Sinn ſtoffartig, wenn er die Verſöhnung mit der Bitterkeit der Tragödie nicht im Schönen, ſondern außer dem Schönen ſucht. Für ein ſo eitles Schöne muß die derbe Subſtantialität der Dogmatik entſchädigen und Weiße baut eine Wiſſenſchaft, die an allen Punkten wie ein launiſches Rennpferd aus der Bahn bricht und über den Zaun ſetzt, ſowie ja überhaupt nach ihm die höchſte Aufgabe der Philoſophie iſt, ſich ſelbſt aufzuheben, um bei dem Gott der Theologen anzukommen.
Der weitere Inhalt des §. bedarf keiner Erläuterung, enthält aber einen ſehr wichtigen und weſentlichen Begriff. In allem Erhabenen zeigte ſich ein Hinausgehen über ſich ſelbſt, und ſo kamen wir progressive zum Tragiſchen. Dieſes als höchſte Form kann nicht über ſich hinaus- gehen. Die Bewegung des Hinausgehens iſt aber hier darin vorhanden, daß es die aufgelösten Formen als ſcheinbar ſelbſtändige auftreten läßt und ſie dann in ſich auflöst. Es ſtellt alſo eine Progreſſion durch eine Regreſſion dar. Dies verhält ſich ſo in einem beſtimmten tragiſchen Ganzen, aber ebendies liegt in unſerer ganzen Entwicklung des Erha- benen vor. Das Tragiſche iſt das Letzte, aber es iſt auch das Erſte, denn es iſt in allem Erhabenen das Erhabene. So findet die analytiſche Methode das Allgemeine durch Zerlegung des Einzelnen. Sie geht von dieſem als dem erſten aus, aber wenn ſie das Allgemeine gefunden, dreht ſich das Verhältniß um: dieſes erſcheint als Grund des Einzelnen.
§. 128.
In §. 125 und 126 iſt der Dualismus, der durch alles Erhabene geht,1 bereits auch als Geſetz des Tragiſchen hervorgetreten. Die in §. 125 auf- geſtellte Form iſt die poſitive. Dem erhabenen Subjecte iſt unter der Bedingung, daß es ſeine Erhabenheit als Ausfluß der abſoluten und ebendaher die vorüber-
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wiederholt Weiße (S. 326 Anm.) den alten Vorwurf der Stoffar-
tigkeit: es werde unaufhörlich der blos baſiſche Inhalt der Kunſtdarſtel-
lung mit dem Zwecke und den höchſten Intereſſen dieſer Darſtellung
verwechſelt. Es fehlt aber bei Hegel nirgends die Einſicht, daß jener
Inhalt blos Inhalt iſt und zum Aeſthetiſchen nur dadurch wird, daß er
in reiner Durchſichtigkeit der Form erſcheint; Weiße dagegen wird,
nachdem er zuerſt freilich nicht ſtoffartig verfuhr, wohl aber ſtofflos das
Schöne als einen Narziß in’s Leere ſetzte, in einem ganz andern und
ſchlimmen Sinn ſtoffartig, wenn er die Verſöhnung mit der Bitterkeit
der Tragödie nicht im Schönen, ſondern außer dem Schönen ſucht.
Für ein ſo eitles Schöne muß die derbe Subſtantialität der Dogmatik
entſchädigen und Weiße baut eine Wiſſenſchaft, die an allen Punkten
wie ein launiſches Rennpferd aus der Bahn bricht und über den Zaun
ſetzt, ſowie ja überhaupt nach ihm die höchſte Aufgabe der Philoſophie
iſt, ſich ſelbſt aufzuheben, um bei dem Gott der Theologen anzukommen.
Der weitere Inhalt des §. bedarf keiner Erläuterung, enthält aber
einen ſehr wichtigen und weſentlichen Begriff. In allem Erhabenen
zeigte ſich ein Hinausgehen über ſich ſelbſt, und ſo kamen wir progressive
zum Tragiſchen. Dieſes als höchſte Form kann nicht über ſich hinaus-
gehen. Die Bewegung des Hinausgehens iſt aber hier darin vorhanden,
daß es die aufgelösten Formen als ſcheinbar ſelbſtändige auftreten läßt
und ſie dann in ſich auflöst. Es ſtellt alſo eine Progreſſion durch eine
Regreſſion dar. Dies verhält ſich ſo in einem beſtimmten tragiſchen
Ganzen, aber ebendies liegt in unſerer ganzen Entwicklung des Erha-
benen vor. Das Tragiſche iſt das Letzte, aber es iſt auch das Erſte,
denn es iſt in allem Erhabenen das Erhabene. So findet die analytiſche
Methode das Allgemeine durch Zerlegung des Einzelnen. Sie geht von
dieſem als dem erſten aus, aber wenn ſie das Allgemeine gefunden,
dreht ſich das Verhältniß um: dieſes erſcheint als Grund des Einzelnen.
§. 128.
In §. 125 und 126 iſt der Dualismus, der durch alles Erhabene geht,
bereits auch als Geſetz des Tragiſchen hervorgetreten. Die in §. 125 auf-
geſtellte Form iſt die poſitive. Dem erhabenen Subjecte iſt unter der Bedingung,
daß es ſeine Erhabenheit als Ausfluß der abſoluten und ebendaher die vorüber-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/311>, abgerufen am 22.11.2024.
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