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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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-- mit dem Ausdrucke der, jedoch besinnungsfähigen, Verdummung --
sehe; und wenn ich dies erzähle, so stellt sich der Zuhörer auch mich
den Sehenden als Lachenden vor. Ruge setzt freilich hinzu: Anschauung
sey dann wohl, aber keine sinnliche; ebenso bei aller Erzählung. Allein
die zur inneren Vorstellung gewordene Anschauung nimmt ja natürlich
auch J. Paul hinzu, wenn er ein blos erzähltes Beispiel (von Sancho
Pansa) anführt. Ruge sollte hier den Unterschied zwischen wirklicher
oder eigentlich sinnlicher Anschauung und Vorstellung gar nicht premiren;
dies gehört in die Lehre von den Künsten, von der Poesie im Unter-
schiede von der bildenden Kunst. Es liegt aber der tiefere Fehler zu
Grunde, daß Ruge auch hier ethisirend sich verhält und des Wesentliche
der Erscheinung in allem Aesthetischen nicht genug im Auge hat. Kurz
es versteht sich von selbst: man muß den häßlichen Gegenstand sehen
und man muß ihm auch die Besinnung oder die Fähigkeit dazu ansehen.

2. Die Besinnung ist keine Umkehr zur Schönheit (wäre diese nun
der Ausdruck moralischer Umwendung oder einer Aufhellung der In-
telligenz. Falstaff verändert seine Lebensart nicht und die Häßlichkeit,
welche die Frucht davon ist, sein Bauch, erleidet keine Reduction. Die
Flüssigkeit seiner Besinnung bedarf stets den Stoff, aus dem sie sich
erzeugt, den Rückfall: nur dieses stete Spiel ist komisch. Ruge erinnert
mit J. Paul für das Komische an die Thür-Angel in Tristram Shandy,
die immerfort umsonst nach Oel schreit (J. P. a. a. O. §. 35, Anm.).
Sowie nämlich reale Umkehr einträte, würde zunächst das Erhabene,
und wenn erst die Selbstbezwingung fertig wäre, das Schöne zurückkehren.
Dann hätte das Endliche, das Bild in aller seiner Einzelheit und Zu-
fälligkeit, sein Recht nicht erhalten; es wäre eine abgeschlossene Gestalt
vorhanden, da doch das Komische so gut wie das Erhabene seine
eigene Bewegung hat, die es ganz durchlaufen soll.

3. Das Komische ist Negation einer Negation. Die erste Negation
ist das Erhabene und eben diese wird vom Komischen negirt. Hätte
nun die Negation im Erhabenen einfach Recht gehabt, d. h. hätte die
Idee wirklich die Grenzen des Bildes ganz überfliegen können, so wäre
keine Negation dieser Negation möglich, es bliebe dabei. Aber die
Idee blieb im Erhabenen doch an das Bild gebunden und nun macht
das Bild daraus Ernst, bindet von seiner Seite die Idee an sich, schließt
sie nicht schlechthin aus, sondern nur sofern sie überschwänglich seyn
will, vindicirt sie sich selbst. Im Erhabenen sagte die Idee zum
Bilde: ich in dir bin das Geltende, nicht du. Im Komischen sagt das

— mit dem Ausdrucke der, jedoch beſinnungsfähigen, Verdummung —
ſehe; und wenn ich dies erzähle, ſo ſtellt ſich der Zuhörer auch mich
den Sehenden als Lachenden vor. Ruge ſetzt freilich hinzu: Anſchauung
ſey dann wohl, aber keine ſinnliche; ebenſo bei aller Erzählung. Allein
die zur inneren Vorſtellung gewordene Anſchauung nimmt ja natürlich
auch J. Paul hinzu, wenn er ein blos erzähltes Beiſpiel (von Sancho
Panſa) anführt. Ruge ſollte hier den Unterſchied zwiſchen wirklicher
oder eigentlich ſinnlicher Anſchauung und Vorſtellung gar nicht premiren;
dies gehört in die Lehre von den Künſten, von der Poeſie im Unter-
ſchiede von der bildenden Kunſt. Es liegt aber der tiefere Fehler zu
Grunde, daß Ruge auch hier ethiſirend ſich verhält und des Weſentliche
der Erſcheinung in allem Aeſthetiſchen nicht genug im Auge hat. Kurz
es verſteht ſich von ſelbſt: man muß den häßlichen Gegenſtand ſehen
und man muß ihm auch die Beſinnung oder die Fähigkeit dazu anſehen.

2. Die Beſinnung iſt keine Umkehr zur Schönheit (wäre dieſe nun
der Ausdruck moraliſcher Umwendung oder einer Aufhellung der In-
telligenz. Falſtaff verändert ſeine Lebensart nicht und die Häßlichkeit,
welche die Frucht davon iſt, ſein Bauch, erleidet keine Reduction. Die
Flüſſigkeit ſeiner Beſinnung bedarf ſtets den Stoff, aus dem ſie ſich
erzeugt, den Rückfall: nur dieſes ſtete Spiel iſt komiſch. Ruge erinnert
mit J. Paul für das Komiſche an die Thür-Angel in Triſtram Shandy,
die immerfort umſonſt nach Oel ſchreit (J. P. a. a. O. §. 35, Anm.).
Sowie nämlich reale Umkehr einträte, würde zunächſt das Erhabene,
und wenn erſt die Selbſtbezwingung fertig wäre, das Schöne zurückkehren.
Dann hätte das Endliche, das Bild in aller ſeiner Einzelheit und Zu-
fälligkeit, ſein Recht nicht erhalten; es wäre eine abgeſchloſſene Geſtalt
vorhanden, da doch das Komiſche ſo gut wie das Erhabene ſeine
eigene Bewegung hat, die es ganz durchlaufen ſoll.

3. Das Komiſche iſt Negation einer Negation. Die erſte Negation
iſt das Erhabene und eben dieſe wird vom Komiſchen negirt. Hätte
nun die Negation im Erhabenen einfach Recht gehabt, d. h. hätte die
Idee wirklich die Grenzen des Bildes ganz überfliegen können, ſo wäre
keine Negation dieſer Negation möglich, es bliebe dabei. Aber die
Idee blieb im Erhabenen doch an das Bild gebunden und nun macht
das Bild daraus Ernſt, bindet von ſeiner Seite die Idee an ſich, ſchließt
ſie nicht ſchlechthin aus, ſondern nur ſofern ſie überſchwänglich ſeyn
will, vindicirt ſie ſich ſelbſt. Im Erhabenen ſagte die Idee zum
Bilde: ich in dir bin das Geltende, nicht du. Im Komiſchen ſagt das

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[348/0362] — mit dem Ausdrucke der, jedoch beſinnungsfähigen, Verdummung — ſehe; und wenn ich dies erzähle, ſo ſtellt ſich der Zuhörer auch mich den Sehenden als Lachenden vor. Ruge ſetzt freilich hinzu: Anſchauung ſey dann wohl, aber keine ſinnliche; ebenſo bei aller Erzählung. Allein die zur inneren Vorſtellung gewordene Anſchauung nimmt ja natürlich auch J. Paul hinzu, wenn er ein blos erzähltes Beiſpiel (von Sancho Panſa) anführt. Ruge ſollte hier den Unterſchied zwiſchen wirklicher oder eigentlich ſinnlicher Anſchauung und Vorſtellung gar nicht premiren; dies gehört in die Lehre von den Künſten, von der Poeſie im Unter- ſchiede von der bildenden Kunſt. Es liegt aber der tiefere Fehler zu Grunde, daß Ruge auch hier ethiſirend ſich verhält und des Weſentliche der Erſcheinung in allem Aeſthetiſchen nicht genug im Auge hat. Kurz es verſteht ſich von ſelbſt: man muß den häßlichen Gegenſtand ſehen und man muß ihm auch die Beſinnung oder die Fähigkeit dazu anſehen. 2. Die Beſinnung iſt keine Umkehr zur Schönheit (wäre dieſe nun der Ausdruck moraliſcher Umwendung oder einer Aufhellung der In- telligenz. Falſtaff verändert ſeine Lebensart nicht und die Häßlichkeit, welche die Frucht davon iſt, ſein Bauch, erleidet keine Reduction. Die Flüſſigkeit ſeiner Beſinnung bedarf ſtets den Stoff, aus dem ſie ſich erzeugt, den Rückfall: nur dieſes ſtete Spiel iſt komiſch. Ruge erinnert mit J. Paul für das Komiſche an die Thür-Angel in Triſtram Shandy, die immerfort umſonſt nach Oel ſchreit (J. P. a. a. O. §. 35, Anm.). Sowie nämlich reale Umkehr einträte, würde zunächſt das Erhabene, und wenn erſt die Selbſtbezwingung fertig wäre, das Schöne zurückkehren. Dann hätte das Endliche, das Bild in aller ſeiner Einzelheit und Zu- fälligkeit, ſein Recht nicht erhalten; es wäre eine abgeſchloſſene Geſtalt vorhanden, da doch das Komiſche ſo gut wie das Erhabene ſeine eigene Bewegung hat, die es ganz durchlaufen ſoll. 3. Das Komiſche iſt Negation einer Negation. Die erſte Negation iſt das Erhabene und eben dieſe wird vom Komiſchen negirt. Hätte nun die Negation im Erhabenen einfach Recht gehabt, d. h. hätte die Idee wirklich die Grenzen des Bildes ganz überfliegen können, ſo wäre keine Negation dieſer Negation möglich, es bliebe dabei. Aber die Idee blieb im Erhabenen doch an das Bild gebunden und nun macht das Bild daraus Ernſt, bindet von ſeiner Seite die Idee an ſich, ſchließt ſie nicht ſchlechthin aus, ſondern nur ſofern ſie überſchwänglich ſeyn will, vindicirt ſie ſich ſelbſt. Im Erhabenen ſagte die Idee zum Bilde: ich in dir bin das Geltende, nicht du. Im Komiſchen ſagt das

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/362>, abgerufen am 24.11.2024.