1. Die Komödie wird ebenso in der Wurzel aufgehoben, wie die Tragödie, wenn eine Regierung ihr verbietet, die großen Kreise des öffent- lichen Lebens, den Staat und seine besonderen Körper und Anstalten in sich aufzunehmen. Sie wird dadurch auf die kleinen Lächerlichkeiten des Privatlebens geistlos beschränkt und ein Aristophanes ist freilich in solcher Unfreiheit nicht möglich. In Wahrheit aber sind selbst diese kleinen Sphären nicht so unschuldig, wie man meint. Es wird z. B. die Liebe nicht blos als Zustand dieses oder jenes Subjects, sondern als Lebens- macht überhaupt in's Komische gezogen, und da sie als die Macht, welche die Familie begründet, die Mutter des Staates ist, so ist dieser selbst an einem seiner schwächsten Punkte angegriffen. Die Stände werden lächerlich gemacht, und diese sind schon entschiedener ein Allgemeines und Wesentliches im Staate. Schließlich aber gesteht der Staat durch solche Verbote seine Schwäche auf eine viel gefährlichere Weise, als wenn er sich der Ironie der öffentlichen Komik mit Freiheit unterzöge; er bekennt, daß er eine rohe Gewalt und nicht eine vernünftige Macht ist, denn diese wird sich niemals durch Zwang dem Scherze entziehen wollen.
2. Von dem Unterschiede des äußeren und inneren Zufalls ist nachher noch zu reden. Hier nur so viel: der äußere besteht in den Hindernissen, welche durch das Ungefähr aufstoßen; sie wären aber keine, wenn die sittlichen Mächte nicht in der Trennung, der sie in ihrer Verwirklichung unterliegen, ihren ursprünglichen Einklang aufheben und sich so der Schuß- Linie äußeren Zusammenstoßes aussetzen würden, und diese Trennung hat schließlich ihren Grund in der Einzelheit überhaupt, als welche die Sub- jectivität bestimmt ist und welche sammt allen in ihr enthaltenen Zu- fälligkeiten auch durch den sich gegenseitig ergänzenden Zusammentritt vieler Subjecte sich nicht ausrotten läßt, also in der inneren Zufälligkeit. Das Subject tritt nun auch im Komischen zunächst als Vertreter einer sittlichen Macht auf, stellt aber, indem es die ungetrennte Erhabenheit seiner Person und der sie erfüllenden Idee zu entfalten meint, vielmehr die Schwäche der einen und ebendaher auch der andern in's Licht. Dies ist dieselbe ironische Bewegung wie im Tragischen §. 123. Daher ist schon in der Darstellung des Tragischen die Vorbereitung des Komischen nicht zu vermeiden und besteht zwischen beiden nicht nur eine Wahl- verwandtschaft, sondern es ist wirklich schon Komisches im Tragischen. Allein der Schluß verändert Alles, hier tritt völlige Scheidung ein, wie der folgende §. zeigen wird. Für jetzt mag zur Erläuterung daran erinnert seyn, wie z. B. im König Lear der Narr so lange mitspielt, als Lear
1. Die Komödie wird ebenſo in der Wurzel aufgehoben, wie die Tragödie, wenn eine Regierung ihr verbietet, die großen Kreiſe des öffent- lichen Lebens, den Staat und ſeine beſonderen Körper und Anſtalten in ſich aufzunehmen. Sie wird dadurch auf die kleinen Lächerlichkeiten des Privatlebens geiſtlos beſchränkt und ein Ariſtophanes iſt freilich in ſolcher Unfreiheit nicht möglich. In Wahrheit aber ſind ſelbſt dieſe kleinen Sphären nicht ſo unſchuldig, wie man meint. Es wird z. B. die Liebe nicht blos als Zuſtand dieſes oder jenes Subjects, ſondern als Lebens- macht überhaupt in’s Komiſche gezogen, und da ſie als die Macht, welche die Familie begründet, die Mutter des Staates iſt, ſo iſt dieſer ſelbſt an einem ſeiner ſchwächſten Punkte angegriffen. Die Stände werden lächerlich gemacht, und dieſe ſind ſchon entſchiedener ein Allgemeines und Weſentliches im Staate. Schließlich aber geſteht der Staat durch ſolche Verbote ſeine Schwäche auf eine viel gefährlichere Weiſe, als wenn er ſich der Ironie der öffentlichen Komik mit Freiheit unterzöge; er bekennt, daß er eine rohe Gewalt und nicht eine vernünftige Macht iſt, denn dieſe wird ſich niemals durch Zwang dem Scherze entziehen wollen.
2. Von dem Unterſchiede des äußeren und inneren Zufalls iſt nachher noch zu reden. Hier nur ſo viel: der äußere beſteht in den Hinderniſſen, welche durch das Ungefähr aufſtoßen; ſie wären aber keine, wenn die ſittlichen Mächte nicht in der Trennung, der ſie in ihrer Verwirklichung unterliegen, ihren urſprünglichen Einklang aufheben und ſich ſo der Schuß- Linie äußeren Zuſammenſtoßes ausſetzen würden, und dieſe Trennung hat ſchließlich ihren Grund in der Einzelheit überhaupt, als welche die Sub- jectivität beſtimmt iſt und welche ſammt allen in ihr enthaltenen Zu- fälligkeiten auch durch den ſich gegenſeitig ergänzenden Zuſammentritt vieler Subjecte ſich nicht ausrotten läßt, alſo in der inneren Zufälligkeit. Das Subject tritt nun auch im Komiſchen zunächſt als Vertreter einer ſittlichen Macht auf, ſtellt aber, indem es die ungetrennte Erhabenheit ſeiner Perſon und der ſie erfüllenden Idee zu entfalten meint, vielmehr die Schwäche der einen und ebendaher auch der andern in’s Licht. Dies iſt dieſelbe ironiſche Bewegung wie im Tragiſchen §. 123. Daher iſt ſchon in der Darſtellung des Tragiſchen die Vorbereitung des Komiſchen nicht zu vermeiden und beſteht zwiſchen beiden nicht nur eine Wahl- verwandtſchaft, ſondern es iſt wirklich ſchon Komiſches im Tragiſchen. Allein der Schluß verändert Alles, hier tritt völlige Scheidung ein, wie der folgende §. zeigen wird. Für jetzt mag zur Erläuterung daran erinnert ſeyn, wie z. B. im König Lear der Narr ſo lange mitſpielt, als Lear
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1. Die Komödie wird ebenſo in der Wurzel aufgehoben, wie die
Tragödie, wenn eine Regierung ihr verbietet, die großen Kreiſe des öffent-
lichen Lebens, den Staat und ſeine beſonderen Körper und Anſtalten in
ſich aufzunehmen. Sie wird dadurch auf die kleinen Lächerlichkeiten des
Privatlebens geiſtlos beſchränkt und ein Ariſtophanes iſt freilich in ſolcher
Unfreiheit nicht möglich. In Wahrheit aber ſind ſelbſt dieſe kleinen
Sphären nicht ſo unſchuldig, wie man meint. Es wird z. B. die Liebe
nicht blos als Zuſtand dieſes oder jenes Subjects, ſondern als Lebens-
macht überhaupt in’s Komiſche gezogen, und da ſie als die Macht, welche
die Familie begründet, die Mutter des Staates iſt, ſo iſt dieſer ſelbſt an
einem ſeiner ſchwächſten Punkte angegriffen. Die Stände werden lächerlich
gemacht, und dieſe ſind ſchon entſchiedener ein Allgemeines und Weſentliches
im Staate. Schließlich aber geſteht der Staat durch ſolche Verbote ſeine
Schwäche auf eine viel gefährlichere Weiſe, als wenn er ſich der Ironie
der öffentlichen Komik mit Freiheit unterzöge; er bekennt, daß er eine
rohe Gewalt und nicht eine vernünftige Macht iſt, denn dieſe wird ſich
niemals durch Zwang dem Scherze entziehen wollen.
2. Von dem Unterſchiede des äußeren und inneren Zufalls iſt nachher
noch zu reden. Hier nur ſo viel: der äußere beſteht in den Hinderniſſen,
welche durch das Ungefähr aufſtoßen; ſie wären aber keine, wenn die
ſittlichen Mächte nicht in der Trennung, der ſie in ihrer Verwirklichung
unterliegen, ihren urſprünglichen Einklang aufheben und ſich ſo der Schuß-
Linie äußeren Zuſammenſtoßes ausſetzen würden, und dieſe Trennung hat
ſchließlich ihren Grund in der Einzelheit überhaupt, als welche die Sub-
jectivität beſtimmt iſt und welche ſammt allen in ihr enthaltenen Zu-
fälligkeiten auch durch den ſich gegenſeitig ergänzenden Zuſammentritt
vieler Subjecte ſich nicht ausrotten läßt, alſo in der inneren Zufälligkeit.
Das Subject tritt nun auch im Komiſchen zunächſt als Vertreter einer
ſittlichen Macht auf, ſtellt aber, indem es die ungetrennte Erhabenheit
ſeiner Perſon und der ſie erfüllenden Idee zu entfalten meint, vielmehr
die Schwäche der einen und ebendaher auch der andern in’s Licht.
Dies iſt dieſelbe ironiſche Bewegung wie im Tragiſchen §. 123. Daher
iſt ſchon in der Darſtellung des Tragiſchen die Vorbereitung des Komiſchen
nicht zu vermeiden und beſteht zwiſchen beiden nicht nur eine Wahl-
verwandtſchaft, ſondern es iſt wirklich ſchon Komiſches im Tragiſchen.
Allein der Schluß verändert Alles, hier tritt völlige Scheidung ein, wie
der folgende §. zeigen wird. Für jetzt mag zur Erläuterung daran erinnert
ſeyn, wie z. B. im König Lear der Narr ſo lange mitſpielt, als Lear
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/386>, abgerufen am 24.11.2024.
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