erst als Thor erscheint, der zur Selbstkenntniß gebracht werden soll, da- gegen am Schlusse, wo das unendliche Uebel und die ernste Form der Versöhnung eintritt, verschwindet.
§. 167.
Allein ganz anders als im Tragischen ist der Schluß dieser Bewegung im1 Komischen. Denn indem hier die Zufälligkeit gegen das Erhabene im Rechte ist, so erscheint die Trübung der Idee nicht als Schuld des Subjects. Geht die That desselben bis zum Bösen fort, so ist zunächst das Mißlingen des Versuchs die, wiewohl nur negative, Bedingung des Komischen, indem dadurch das Furchtbare ferngehalten wird. Nun erreicht das Subject zwar nicht, was2 es wollte, allein es leidet, eben weil es mit der Schuld nicht Ernst ist, kein unendliches, sondern nur ein kleines und vorübergehendes Uebel, auf welches vielmehr die Erreichung eines Gutes folgt, und es verbreitet sich über die betheiligten Subjecte als ein trotz ihrer Mangelhaftigkeit unverlierbares Erb- theil ein allgemeines Glück. Im Komischen gibt es daher keinen Unterschied einer positiven und negativen Form wie im Tragischen; wohl aber tritt als reinster Fall eine der dritten Stufe des negativ Tragischen entsprechende Dialektik sich gegenseitig aufhebender Trübungen der sittlichen Idee durch den unblutigen Kampf komischer Subjecte ein. Das End-Ergebniß ist der gewöhnliche Zustand des Lebens in allen seinen Zufälligkeiten als ein guter und glücklicher.
1. Es war hier nur als negative Bedingung das Mißlingen noch einmal hervorzuheben, aber auch auszusprechen, daß noch eine wesentliche positive Bedingung eintreten muß, um den Standpunkt der Schuld fern- zuhalten. Das Mißlingen ist als nothwendige negative Bedingung schon im Bisherigen dadurch hinreichend begründet, daß ein Zusammenstoß mit dem Zufall äußerer Hindernisse gefordert ist; es wird aber noch eine tiefere Begründung im Folgenden finden. Uebrigens leuchtet schon hier ein, warum Shakespeare überall, wo sein Stoff den Ausgang des positiv Tragischen forderte, in die Komödie überging. Trifft den Schuldigen kein unendliches Uebel, so geschieht dies, weil auch die Schuld nicht in ihrer Unendlichkeit, also nicht wesentlich als Schuld erscheint, und hiemit ist auch schon das Komische da.
2. Der Glückszustand, in welchen die komische Bewegung ausläuft, wird nun die Untersuchung auf das Gegenglied im Komischen führen, wo sich diese Frage näher erledigt. Die Dialektik des komischen Con-
erſt als Thor erſcheint, der zur Selbſtkenntniß gebracht werden ſoll, da- gegen am Schluſſe, wo das unendliche Uebel und die ernſte Form der Verſöhnung eintritt, verſchwindet.
§. 167.
Allein ganz anders als im Tragiſchen iſt der Schluß dieſer Bewegung im1 Komiſchen. Denn indem hier die Zufälligkeit gegen das Erhabene im Rechte iſt, ſo erſcheint die Trübung der Idee nicht als Schuld des Subjects. Geht die That desſelben bis zum Böſen fort, ſo iſt zunächſt das Mißlingen des Verſuchs die, wiewohl nur negative, Bedingung des Komiſchen, indem dadurch das Furchtbare ferngehalten wird. Nun erreicht das Subject zwar nicht, was2 es wollte, allein es leidet, eben weil es mit der Schuld nicht Ernſt iſt, kein unendliches, ſondern nur ein kleines und vorübergehendes Uebel, auf welches vielmehr die Erreichung eines Gutes folgt, und es verbreitet ſich über die betheiligten Subjecte als ein trotz ihrer Mangelhaftigkeit unverlierbares Erb- theil ein allgemeines Glück. Im Komiſchen gibt es daher keinen Unterſchied einer poſitiven und negativen Form wie im Tragiſchen; wohl aber tritt als reinſter Fall eine der dritten Stufe des negativ Tragiſchen entſprechende Dialektik ſich gegenſeitig aufhebender Trübungen der ſittlichen Idee durch den unblutigen Kampf komiſcher Subjecte ein. Das End-Ergebniß iſt der gewöhnliche Zuſtand des Lebens in allen ſeinen Zufälligkeiten als ein guter und glücklicher.
1. Es war hier nur als negative Bedingung das Mißlingen noch einmal hervorzuheben, aber auch auszuſprechen, daß noch eine weſentliche poſitive Bedingung eintreten muß, um den Standpunkt der Schuld fern- zuhalten. Das Mißlingen iſt als nothwendige negative Bedingung ſchon im Bisherigen dadurch hinreichend begründet, daß ein Zuſammenſtoß mit dem Zufall äußerer Hinderniſſe gefordert iſt; es wird aber noch eine tiefere Begründung im Folgenden finden. Uebrigens leuchtet ſchon hier ein, warum Shakespeare überall, wo ſein Stoff den Ausgang des poſitiv Tragiſchen forderte, in die Komödie überging. Trifft den Schuldigen kein unendliches Uebel, ſo geſchieht dies, weil auch die Schuld nicht in ihrer Unendlichkeit, alſo nicht weſentlich als Schuld erſcheint, und hiemit iſt auch ſchon das Komiſche da.
2. Der Glückszuſtand, in welchen die komiſche Bewegung ausläuft, wird nun die Unterſuchung auf das Gegenglied im Komiſchen führen, wo ſich dieſe Frage näher erledigt. Die Dialektik des komiſchen Con-
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§. 167.
Allein ganz anders als im Tragiſchen iſt der Schluß dieſer Bewegung im
Komiſchen. Denn indem hier die Zufälligkeit gegen das Erhabene im Rechte
iſt, ſo erſcheint die Trübung der Idee nicht als Schuld des Subjects. Geht
die That desſelben bis zum Böſen fort, ſo iſt zunächſt das Mißlingen des
Verſuchs die, wiewohl nur negative, Bedingung des Komiſchen, indem dadurch
das Furchtbare ferngehalten wird. Nun erreicht das Subject zwar nicht, was
es wollte, allein es leidet, eben weil es mit der Schuld nicht Ernſt iſt, kein
unendliches, ſondern nur ein kleines und vorübergehendes Uebel, auf welches
vielmehr die Erreichung eines Gutes folgt, und es verbreitet ſich über die
betheiligten Subjecte als ein trotz ihrer Mangelhaftigkeit unverlierbares Erb-
theil ein allgemeines Glück. Im Komiſchen gibt es daher keinen Unterſchied
einer poſitiven und negativen Form wie im Tragiſchen; wohl aber tritt als
reinſter Fall eine der dritten Stufe des negativ Tragiſchen entſprechende Dialektik
ſich gegenſeitig aufhebender Trübungen der ſittlichen Idee durch den unblutigen
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1. Es war hier nur als negative Bedingung das Mißlingen noch
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zuhalten. Das Mißlingen iſt als nothwendige negative Bedingung ſchon
im Bisherigen dadurch hinreichend begründet, daß ein Zuſammenſtoß mit
dem Zufall äußerer Hinderniſſe gefordert iſt; es wird aber noch eine tiefere
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warum Shakespeare überall, wo ſein Stoff den Ausgang des poſitiv
Tragiſchen forderte, in die Komödie überging. Trifft den Schuldigen
kein unendliches Uebel, ſo geſchieht dies, weil auch die Schuld nicht in
ihrer Unendlichkeit, alſo nicht weſentlich als Schuld erſcheint, und hiemit
iſt auch ſchon das Komiſche da.
2. Der Glückszuſtand, in welchen die komiſche Bewegung ausläuft,
wird nun die Unterſuchung auf das Gegenglied im Komiſchen führen,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/387>, abgerufen am 24.11.2024.
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