gesetzt wird, so fällt ebendadurch das Augenmerk von dem Unsittlichen der Ver- kehrtheit -- und solcher Vorwurf trifft im Grunde jede Verirrung, auch die des Denkens -- weg und verweilt bei dem reinen Widerspruch, der als solcher nur den in der Anschauung thätigen Verstand beschäftigt, und J. P. Fr. Richter hat in diesem Sinne Recht, das Komische dem Gebiete des Verstandes zuzu- weisen. Hiedurch erst erklärt sich vollkommen, wie dem Häßlichen in der2 Komik sein Stachel genommen wird (vergl. §. 152. 153). Ist es nun dem verkehrten Subjecte gemäß der ihm geliehenen Besinnung mit seinem Zwecke zugleich Ernst und doch nicht Ernst, so werden auch seine Anstalten zur Durch- führung desselben so unvollständig seyn, daß daraus das Mißlingen folgen muß, und hiemit ist dieses und das Verschwinden der Schuld (vergl. §. 167, 1) erst wahrhaft begründet.
1. "Im moralischen Reiche gibt es nichts Kleines, denn die nach innen gerichtete Moralität erzeugt eigene und fremde Achtung und ihr Mangel Verachtung, und die nach außen gerichtete erweckt Liebe und ihr Mangel Haß; zur Verachtung ist das Lächerliche zu unwichtig und zum Hasse zu gut. Es bleibt also für dasselbe nur das Reich des Verstandes übrig und zwar aus demselben das Unverständige" (J. Paul a. a. O. §. 28). Hierauf läßt er denn seine oben aufgeführte Erklärung des komischen Prozesses folgen, die eben für diesen Satz die Begründung ist; in §. 30 wird dann das Komische ganz als ein freies Spiel des Verstandes dar- gestellt. Man darf dagegen nicht einwenden, daß das Komische in seinem ersten Gliede nicht nur die Welt des Verstandes, sondern auch die ganze sittliche befasse, denn J. Paul redet hier nicht vom Stoffe, sondern von der Form, die dem Stoffe den sittlich verletzenden Stachel nimmt. Er hat nur vergessen, zu untersuchen, wie weit das Komische in das Unsitt- liche als seinen Inhalt sich einlasse. Als unsittlich aber ist nicht nur das eigentlich Lasterhafte und Böse anzusehen; es gibt keine adiaphora, auch das Verfehlen eines äußeren Zwecks und der Irrthum fällt irgendwie unter den ethischen Standpunkt und daß dieser fernzuhalten sey, gilt daher allem Komischen. Der trockene Sittenrichter wird z. B. nicht begreifen, wie man über einen Lumpen, der sich immer bessert und immer rückfällt, lachen kann. Das Komische ist hier das Eindringen eines Mechanischen, da ein solcher Mensch einem Weißzeuge gleicht, das immer wieder gewaschen und immer wieder beschmutzt wird, die mathematische Gewißheit, die Con- sequenz der Inconsequenz. Der Lump kann davon auch selbst ein Bewußtseyn
geſetzt wird, ſo fällt ebendadurch das Augenmerk von dem Unſittlichen der Ver- kehrtheit — und ſolcher Vorwurf trifft im Grunde jede Verirrung, auch die des Denkens — weg und verweilt bei dem reinen Widerſpruch, der als ſolcher nur den in der Anſchauung thätigen Verſtand beſchäftigt, und J. P. Fr. Richter hat in dieſem Sinne Recht, das Komiſche dem Gebiete des Verſtandes zuzu- weiſen. Hiedurch erſt erklärt ſich vollkommen, wie dem Häßlichen in der2 Komik ſein Stachel genommen wird (vergl. §. 152. 153). Iſt es nun dem verkehrten Subjecte gemäß der ihm geliehenen Beſinnung mit ſeinem Zwecke zugleich Ernſt und doch nicht Ernſt, ſo werden auch ſeine Anſtalten zur Durch- führung desſelben ſo unvollſtändig ſeyn, daß daraus das Mißlingen folgen muß, und hiemit iſt dieſes und das Verſchwinden der Schuld (vergl. §. 167, 1) erſt wahrhaft begründet.
1. „Im moraliſchen Reiche gibt es nichts Kleines, denn die nach innen gerichtete Moralität erzeugt eigene und fremde Achtung und ihr Mangel Verachtung, und die nach außen gerichtete erweckt Liebe und ihr Mangel Haß; zur Verachtung iſt das Lächerliche zu unwichtig und zum Haſſe zu gut. Es bleibt alſo für dasſelbe nur das Reich des Verſtandes übrig und zwar aus demſelben das Unverſtändige“ (J. Paul a. a. O. §. 28). Hierauf läßt er denn ſeine oben aufgeführte Erklärung des komiſchen Prozeſſes folgen, die eben für dieſen Satz die Begründung iſt; in §. 30 wird dann das Komiſche ganz als ein freies Spiel des Verſtandes dar- geſtellt. Man darf dagegen nicht einwenden, daß das Komiſche in ſeinem erſten Gliede nicht nur die Welt des Verſtandes, ſondern auch die ganze ſittliche befaſſe, denn J. Paul redet hier nicht vom Stoffe, ſondern von der Form, die dem Stoffe den ſittlich verletzenden Stachel nimmt. Er hat nur vergeſſen, zu unterſuchen, wie weit das Komiſche in das Unſitt- liche als ſeinen Inhalt ſich einlaſſe. Als unſittlich aber iſt nicht nur das eigentlich Laſterhafte und Böſe anzuſehen; es gibt keine ἀδιάφορα, auch das Verfehlen eines äußeren Zwecks und der Irrthum fällt irgendwie unter den ethiſchen Standpunkt und daß dieſer fernzuhalten ſey, gilt daher allem Komiſchen. Der trockene Sittenrichter wird z. B. nicht begreifen, wie man über einen Lumpen, der ſich immer beſſert und immer rückfällt, lachen kann. Das Komiſche iſt hier das Eindringen eines Mechaniſchen, da ein ſolcher Menſch einem Weißzeuge gleicht, das immer wieder gewaſchen und immer wieder beſchmutzt wird, die mathematiſche Gewißheit, die Con- ſequenz der Inconſequenz. Der Lump kann davon auch ſelbſt ein Bewußtſeyn
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nur den in der Anſchauung thätigen Verſtand beſchäftigt, und J. P. Fr. Richter
hat in dieſem Sinne Recht, das Komiſche dem Gebiete des Verſtandes zuzu-
weiſen. Hiedurch erſt erklärt ſich vollkommen, wie dem Häßlichen in der
Komik ſein Stachel genommen wird (vergl. §. 152. 153). Iſt es nun dem
verkehrten Subjecte gemäß der ihm geliehenen Beſinnung mit ſeinem Zwecke
zugleich Ernſt und doch nicht Ernſt, ſo werden auch ſeine Anſtalten zur Durch-
führung desſelben ſo unvollſtändig ſeyn, daß daraus das Mißlingen folgen
muß, und hiemit iſt dieſes und das Verſchwinden der Schuld (vergl. §. 167, 1)
erſt wahrhaft begründet.
1. „Im moraliſchen Reiche gibt es nichts Kleines, denn die nach
innen gerichtete Moralität erzeugt eigene und fremde Achtung und ihr
Mangel Verachtung, und die nach außen gerichtete erweckt Liebe und ihr
Mangel Haß; zur Verachtung iſt das Lächerliche zu unwichtig und zum
Haſſe zu gut. Es bleibt alſo für dasſelbe nur das Reich des Verſtandes
übrig und zwar aus demſelben das Unverſtändige“ (J. Paul a. a. O. §. 28).
Hierauf läßt er denn ſeine oben aufgeführte Erklärung des komiſchen
Prozeſſes folgen, die eben für dieſen Satz die Begründung iſt; in §. 30
wird dann das Komiſche ganz als ein freies Spiel des Verſtandes dar-
geſtellt. Man darf dagegen nicht einwenden, daß das Komiſche in ſeinem
erſten Gliede nicht nur die Welt des Verſtandes, ſondern auch die ganze
ſittliche befaſſe, denn J. Paul redet hier nicht vom Stoffe, ſondern von
der Form, die dem Stoffe den ſittlich verletzenden Stachel nimmt. Er
hat nur vergeſſen, zu unterſuchen, wie weit das Komiſche in das Unſitt-
liche als ſeinen Inhalt ſich einlaſſe. Als unſittlich aber iſt nicht nur das
eigentlich Laſterhafte und Böſe anzuſehen; es gibt keine ἀδιάφορα, auch
das Verfehlen eines äußeren Zwecks und der Irrthum fällt irgendwie unter
den ethiſchen Standpunkt und daß dieſer fernzuhalten ſey, gilt daher allem
Komiſchen. Der trockene Sittenrichter wird z. B. nicht begreifen, wie
man über einen Lumpen, der ſich immer beſſert und immer rückfällt, lachen
kann. Das Komiſche iſt hier das Eindringen eines Mechaniſchen, da ein
ſolcher Menſch einem Weißzeuge gleicht, das immer wieder gewaſchen und
immer wieder beſchmutzt wird, die mathematiſche Gewißheit, die Con-
ſequenz der Inconſequenz. Der Lump kann davon auch ſelbſt ein Bewußtſeyn
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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