mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenstand ganz durchdringt und gegen- theils ganz von ihm durchdrungen ist." Und so wird das Komische bestimmt als "die Besinnung des Geistes in seiner unwahren Gestalt auf seine wahre, welche Wiedergewinn der Persönlichkeit ist." Wir haben (zu §. 176 und 177 Anm. 2) schon ausgesprochen, daß wir mit diesem Ergebniß nicht ganz und schließlich übereinstimmen: davon noch mehr; aber das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien ist jedenfalls tief und geistreich aufgewiesen. Uebrigens war schon St. Schütze auf der Spur der Entdeckung, nur verfolgte er sie nicht. Er sagt (a. a. O. S. 101), daß der Mensch in dem Grade, als er einer Reflexion über sich fähig sey, sehr wohl dem Kampfe in sich zusehen und über sich selbst lachen könne; dann fährt er fort: "der Klügere lacht freilich über den minder Klugen, aber beides ist der Mensch selbst."
§. 182.
Da aber das Komische ein Verhältnißbegriff ist wie das Erhabene, so bildet sich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragischen, eine aufsteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komisch ist, ein höheres steht, welchem das erstere und welches sich selbst komisch erscheint, das aber sammt diesem freien Bewußtseyn einem geistig noch freieren durch einen nicht überwundenen Rest von Besinnungslosigkeit selbst wieder Gegenstand des Lachens ist. Dasjenige Subject, das einer solchen Reihe zusieht, muß sich selbst als das freieste an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem Begriffe nach die Reihe mit stets verdoppelter Tiefe der Komik weiter steigt, so tritt dieses Subject, nämlich der Zuschauer, selbst auf die Seite der Zu- schauer, denen er vorher zuschaute, und wird Gegenstand einer möglichen noch reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte.
Der Hanswurst benützt Straßenjungen als Gegenstände des Lachens für das Publikum. Unter diesen mag selbst schon einer oder der andere seyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht. Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurst mit den Jungen treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle diese lachen zusammen und über dem Letzten ist noch ein Gebildeterer denkbar, der über dessen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens gebe u. s. w. u. s. w. Eine herrliche Skala ist in Heinrich IV: über
mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenſtand ganz durchdringt und gegen- theils ganz von ihm durchdrungen iſt.“ Und ſo wird das Komiſche beſtimmt als „die Beſinnung des Geiſtes in ſeiner unwahren Geſtalt auf ſeine wahre, welche Wiedergewinn der Perſönlichkeit iſt.“ Wir haben (zu §. 176 und 177 Anm. 2) ſchon ausgeſprochen, daß wir mit dieſem Ergebniß nicht ganz und ſchließlich übereinſtimmen: davon noch mehr; aber das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien iſt jedenfalls tief und geiſtreich aufgewieſen. Uebrigens war ſchon St. Schütze auf der Spur der Entdeckung, nur verfolgte er ſie nicht. Er ſagt (a. a. O. S. 101), daß der Menſch in dem Grade, als er einer Reflexion über ſich fähig ſey, ſehr wohl dem Kampfe in ſich zuſehen und über ſich ſelbſt lachen könne; dann fährt er fort: „der Klügere lacht freilich über den minder Klugen, aber beides iſt der Menſch ſelbſt.“
§. 182.
Da aber das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt wie das Erhabene, ſo bildet ſich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragiſchen, eine aufſteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komiſch iſt, ein höheres ſteht, welchem das erſtere und welches ſich ſelbſt komiſch erſcheint, das aber ſammt dieſem freien Bewußtſeyn einem geiſtig noch freieren durch einen nicht überwundenen Reſt von Beſinnungsloſigkeit ſelbſt wieder Gegenſtand des Lachens iſt. Dasjenige Subject, das einer ſolchen Reihe zuſieht, muß ſich ſelbſt als das freieſte an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem Begriffe nach die Reihe mit ſtets verdoppelter Tiefe der Komik weiter ſteigt, ſo tritt dieſes Subject, nämlich der Zuſchauer, ſelbſt auf die Seite der Zu- ſchauer, denen er vorher zuſchaute, und wird Gegenſtand einer möglichen noch reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte.
Der Hanswurſt benützt Straßenjungen als Gegenſtände des Lachens für das Publikum. Unter dieſen mag ſelbſt ſchon einer oder der andere ſeyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht. Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurſt mit den Jungen treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle dieſe lachen zuſammen und über dem Letzten iſt noch ein Gebildeterer denkbar, der über deſſen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens gebe u. ſ. w. u. ſ. w. Eine herrliche Skala iſt in Heinrich IV: über
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0412"n="398"/>
mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenſtand ganz durchdringt und gegen-<lb/>
theils ganz von ihm durchdrungen iſt.“ Und ſo wird das Komiſche beſtimmt<lb/>
als „die Beſinnung des Geiſtes in ſeiner unwahren Geſtalt auf ſeine<lb/>
wahre, welche Wiedergewinn der Perſönlichkeit iſt.“ Wir haben (zu<lb/>
§. 176 und 177 Anm. <hirendition="#sub">2</hi>) ſchon ausgeſprochen, daß wir mit dieſem<lb/>
Ergebniß nicht ganz und ſchließlich übereinſtimmen: davon noch mehr; aber<lb/>
das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien iſt jedenfalls tief und<lb/>
geiſtreich aufgewieſen. Uebrigens war ſchon <hirendition="#g">St. Schütze</hi> auf der Spur<lb/>
der Entdeckung, nur verfolgte er ſie nicht. Er ſagt (a. a. O. S. 101),<lb/>
daß der Menſch in dem Grade, als er einer Reflexion über ſich fähig<lb/>ſey, ſehr wohl dem Kampfe <hirendition="#g">in ſich</hi> zuſehen und über ſich ſelbſt lachen<lb/>
könne; dann fährt er fort: „der Klügere lacht freilich über den minder<lb/>
Klugen, aber <hirendition="#g">beides iſt der Menſch ſelbſt</hi>.“</hi></p></div><lb/><divn="5"><head>§. 182.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Da aber das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt wie das Erhabene, ſo<lb/>
bildet ſich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragiſchen, eine<lb/>
aufſteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komiſch iſt,<lb/>
ein höheres ſteht, welchem das erſtere und welches ſich ſelbſt komiſch erſcheint,<lb/>
das aber ſammt dieſem freien Bewußtſeyn einem geiſtig noch freieren durch einen<lb/>
nicht überwundenen Reſt von Beſinnungsloſigkeit ſelbſt wieder Gegenſtand des<lb/>
Lachens iſt. Dasjenige Subject, das einer ſolchen Reihe zuſieht, muß ſich<lb/>ſelbſt als das freieſte an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem<lb/>
Begriffe nach die Reihe mit ſtets verdoppelter Tiefe der Komik weiter ſteigt,<lb/>ſo tritt dieſes Subject, nämlich der Zuſchauer, ſelbſt auf die Seite der Zu-<lb/>ſchauer, denen er vorher zuſchaute, und wird Gegenſtand einer möglichen noch<lb/>
reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Der Hanswurſt benützt Straßenjungen als Gegenſtände des Lachens<lb/>
für das Publikum. Unter dieſen mag ſelbſt ſchon einer oder der andere<lb/>ſeyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht.<lb/>
Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurſt mit den Jungen<lb/>
treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich<lb/>
Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle dieſe lachen<lb/>
zuſammen und über dem Letzten iſt noch ein Gebildeterer denkbar, der<lb/>
über deſſen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens<lb/>
gebe u. ſ. w. u. ſ. w. Eine herrliche Skala iſt in Heinrich <hirendition="#aq">IV:</hi> über<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[398/0412]
mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenſtand ganz durchdringt und gegen-
theils ganz von ihm durchdrungen iſt.“ Und ſo wird das Komiſche beſtimmt
als „die Beſinnung des Geiſtes in ſeiner unwahren Geſtalt auf ſeine
wahre, welche Wiedergewinn der Perſönlichkeit iſt.“ Wir haben (zu
§. 176 und 177 Anm. 2) ſchon ausgeſprochen, daß wir mit dieſem
Ergebniß nicht ganz und ſchließlich übereinſtimmen: davon noch mehr; aber
das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien iſt jedenfalls tief und
geiſtreich aufgewieſen. Uebrigens war ſchon St. Schütze auf der Spur
der Entdeckung, nur verfolgte er ſie nicht. Er ſagt (a. a. O. S. 101),
daß der Menſch in dem Grade, als er einer Reflexion über ſich fähig
ſey, ſehr wohl dem Kampfe in ſich zuſehen und über ſich ſelbſt lachen
könne; dann fährt er fort: „der Klügere lacht freilich über den minder
Klugen, aber beides iſt der Menſch ſelbſt.“
§. 182.
Da aber das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt wie das Erhabene, ſo
bildet ſich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragiſchen, eine
aufſteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komiſch iſt,
ein höheres ſteht, welchem das erſtere und welches ſich ſelbſt komiſch erſcheint,
das aber ſammt dieſem freien Bewußtſeyn einem geiſtig noch freieren durch einen
nicht überwundenen Reſt von Beſinnungsloſigkeit ſelbſt wieder Gegenſtand des
Lachens iſt. Dasjenige Subject, das einer ſolchen Reihe zuſieht, muß ſich
ſelbſt als das freieſte an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem
Begriffe nach die Reihe mit ſtets verdoppelter Tiefe der Komik weiter ſteigt,
ſo tritt dieſes Subject, nämlich der Zuſchauer, ſelbſt auf die Seite der Zu-
ſchauer, denen er vorher zuſchaute, und wird Gegenſtand einer möglichen noch
reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte.
Der Hanswurſt benützt Straßenjungen als Gegenſtände des Lachens
für das Publikum. Unter dieſen mag ſelbſt ſchon einer oder der andere
ſeyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht.
Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurſt mit den Jungen
treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich
Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle dieſe lachen
zuſammen und über dem Letzten iſt noch ein Gebildeterer denkbar, der
über deſſen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens
gebe u. ſ. w. u. ſ. w. Eine herrliche Skala iſt in Heinrich IV: über
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/412>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.