1. Die verlachte Erhabenheit behauptet sich durch den Bruch der Komik fort, dies ergab sich schon in §. 152. 153. Jetzt aber ist dieser Satz dahin entwickelt, daß als der Ort, das Organ dieser Fortbehaup- tung das den komischen Act vollziehende Subject selbst gesetzt ist. Der erhabene Gegenstand schlüpft so zu sagen in es hinein und lacht aus ihm heraus. Das Selbst ist die letzte Instanz. Nicht geläugnet wird, daß es ewige Mächte gibt, die das Leben regieren, allein so mangelhaft das Subject seyn mag, diese Mächte können immer nur in Subjecten und durch sie herrschen und jedes einzelne Subject ist so gut Subject wie die andern. Ich kann z. B. anerkennen, daß die Hierarchie einmal ihre Zeit hatte; allein der Priester will nicht nur reinmenschlicher Verwalter des göttlichen Geistes, sondern er will mehr als Mensch, er will durch gewisse Verzichtungen ein magisches Wesen seyn. Der komische Stand- punkt ist daher sogleich mit der Einrede da: der will mehr seyn, als Andere? Ich danke dafür, ich bin auch da, er ist Mensch wie ich und weil ich im rein menschlichen Sinne selbst Priester bin, so ziehe ich ihm lachend seinen Heiligenschein herunter. In diesem Sinne ist das Komische ganz egoistisch.
2. Der Mangel im Schluß-Ergebniß bei Ruge wurde schon mehr- fach berührt, ist aber hier, wo Alles sich zusammenfaßt, noch einmal aufzunehmen. Ruge übersieht, daß im Komischen, wenn eben die Be- sinnung eingetreten ist, der Spaß von vornen wieder anfängt. Das Komische kommt vom Erhabenen her; es hat den Geist, der über die Grenze zu seyn behauptet, als Feind vor sich und besteht nur in diesem Kampfe. Hat es den Feind verschlungen, so wirft es ihn sogleich wieder hinaus, ihn auf's Neue zu besiegen, und es bleibt bei dieser Ebbe und Fluth, diesem in's Dunkel wogenden Lichte. Wohl wird sich zeigen, wie sich aus der doppelten Negation des Komischen das Schöne herstellt, aber nicht dadurch un- mittelbar kann es sich daraus herstellen, daß man bei dem "Herausfinden der wahren Gestalt aus der unwahren" (Ruge a. a. O. S. 128) stehen bliebe. Ruge sagt, das Komische sey nicht selbst das Ideal, nur das erste Finden, das Erfinden der Schönheit (ebenda); aber das Komische ist so wenig als das Erhabene (vergl. §. 82, Anm.) eine Form der sich erst erzeugenden Schönheit, es ist eine Form des Schönen und sammt dem einfach Schönen und dem Erhabenen wird es auftreten zuerst in der unmittelbaren Weise der Naturschönheit, dann wahrhaft im Ideal. Tritt es sammt jenen andern Formen im Ideale auf, so ist es auf seine Weise, auch ehe es in diese reine Wirklichkeit des Schönen eingeht,
1. Die verlachte Erhabenheit behauptet ſich durch den Bruch der Komik fort, dies ergab ſich ſchon in §. 152. 153. Jetzt aber iſt dieſer Satz dahin entwickelt, daß als der Ort, das Organ dieſer Fortbehaup- tung das den komiſchen Act vollziehende Subject ſelbſt geſetzt iſt. Der erhabene Gegenſtand ſchlüpft ſo zu ſagen in es hinein und lacht aus ihm heraus. Das Selbſt iſt die letzte Inſtanz. Nicht geläugnet wird, daß es ewige Mächte gibt, die das Leben regieren, allein ſo mangelhaft das Subject ſeyn mag, dieſe Mächte können immer nur in Subjecten und durch ſie herrſchen und jedes einzelne Subject iſt ſo gut Subject wie die andern. Ich kann z. B. anerkennen, daß die Hierarchie einmal ihre Zeit hatte; allein der Prieſter will nicht nur reinmenſchlicher Verwalter des göttlichen Geiſtes, ſondern er will mehr als Menſch, er will durch gewiſſe Verzichtungen ein magiſches Weſen ſeyn. Der komiſche Stand- punkt iſt daher ſogleich mit der Einrede da: der will mehr ſeyn, als Andere? Ich danke dafür, ich bin auch da, er iſt Menſch wie ich und weil ich im rein menſchlichen Sinne ſelbſt Prieſter bin, ſo ziehe ich ihm lachend ſeinen Heiligenſchein herunter. In dieſem Sinne iſt das Komiſche ganz egoiſtiſch.
2. Der Mangel im Schluß-Ergebniß bei Ruge wurde ſchon mehr- fach berührt, iſt aber hier, wo Alles ſich zuſammenfaßt, noch einmal aufzunehmen. Ruge überſieht, daß im Komiſchen, wenn eben die Be- ſinnung eingetreten iſt, der Spaß von vornen wieder anfängt. Das Komiſche kommt vom Erhabenen her; es hat den Geiſt, der über die Grenze zu ſeyn behauptet, als Feind vor ſich und beſteht nur in dieſem Kampfe. Hat es den Feind verſchlungen, ſo wirft es ihn ſogleich wieder hinaus, ihn auf’s Neue zu beſiegen, und es bleibt bei dieſer Ebbe und Fluth, dieſem in’s Dunkel wogenden Lichte. Wohl wird ſich zeigen, wie ſich aus der doppelten Negation des Komiſchen das Schöne herſtellt, aber nicht dadurch un- mittelbar kann es ſich daraus herſtellen, daß man bei dem „Herausfinden der wahren Geſtalt aus der unwahren“ (Ruge a. a. O. S. 128) ſtehen bliebe. Ruge ſagt, das Komiſche ſey nicht ſelbſt das Ideal, nur das erſte Finden, das Erfinden der Schönheit (ebenda); aber das Komiſche iſt ſo wenig als das Erhabene (vergl. §. 82, Anm.) eine Form der ſich erſt erzeugenden Schönheit, es iſt eine Form des Schönen und ſammt dem einfach Schönen und dem Erhabenen wird es auftreten zuerſt in der unmittelbaren Weiſe der Naturſchönheit, dann wahrhaft im Ideal. Tritt es ſammt jenen andern Formen im Ideale auf, ſo iſt es auf ſeine Weiſe, auch ehe es in dieſe reine Wirklichkeit des Schönen eingeht,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0416"n="402"/><p><hirendition="#et">1. Die verlachte Erhabenheit behauptet ſich durch den Bruch der<lb/>
Komik fort, dies ergab ſich ſchon in §. 152. 153. Jetzt aber iſt dieſer<lb/>
Satz dahin entwickelt, daß als der Ort, das Organ dieſer Fortbehaup-<lb/>
tung das den komiſchen Act vollziehende Subject ſelbſt geſetzt iſt. Der<lb/>
erhabene Gegenſtand ſchlüpft ſo zu ſagen in es hinein und lacht aus ihm<lb/>
heraus. Das Selbſt iſt die letzte Inſtanz. Nicht geläugnet wird, daß<lb/>
es ewige Mächte gibt, die das Leben regieren, allein ſo mangelhaft das<lb/>
Subject ſeyn mag, dieſe Mächte können immer nur in Subjecten und<lb/>
durch ſie herrſchen und jedes einzelne Subject iſt ſo gut Subject wie<lb/>
die andern. Ich kann z. B. anerkennen, daß die Hierarchie einmal ihre<lb/>
Zeit hatte; allein der Prieſter will nicht nur reinmenſchlicher Verwalter<lb/>
des göttlichen Geiſtes, ſondern er will mehr als Menſch, er will durch<lb/>
gewiſſe Verzichtungen ein magiſches Weſen ſeyn. Der komiſche Stand-<lb/>
punkt iſt daher ſogleich mit der Einrede da: der will mehr ſeyn, als<lb/>
Andere? Ich danke dafür, ich bin auch da, er iſt Menſch wie ich und<lb/>
weil ich im rein menſchlichen Sinne ſelbſt Prieſter bin, ſo ziehe ich ihm<lb/>
lachend ſeinen Heiligenſchein herunter. In dieſem Sinne iſt das Komiſche<lb/>
ganz egoiſtiſch.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Der Mangel im Schluß-Ergebniß bei <hirendition="#g">Ruge</hi> wurde ſchon mehr-<lb/>
fach berührt, iſt aber hier, wo Alles ſich zuſammenfaßt, noch einmal<lb/>
aufzunehmen. <hirendition="#g">Ruge</hi> überſieht, daß im Komiſchen, wenn eben die Be-<lb/>ſinnung eingetreten iſt, der Spaß von vornen wieder anfängt. Das Komiſche<lb/>
kommt vom Erhabenen her; es hat den Geiſt, der über die Grenze zu ſeyn<lb/>
behauptet, als Feind vor ſich und beſteht nur in dieſem Kampfe. Hat es<lb/>
den Feind verſchlungen, ſo wirft es ihn ſogleich wieder hinaus, ihn auf’s<lb/>
Neue zu beſiegen, und es bleibt bei dieſer Ebbe und Fluth, dieſem in’s Dunkel<lb/>
wogenden Lichte. Wohl wird ſich zeigen, wie ſich aus der doppelten<lb/>
Negation des Komiſchen das Schöne herſtellt, aber nicht dadurch un-<lb/>
mittelbar kann es ſich daraus herſtellen, daß man bei dem „Herausfinden<lb/>
der wahren Geſtalt aus der unwahren“ (<hirendition="#g">Ruge</hi> a. a. O. S. 128)<lb/>ſtehen bliebe. <hirendition="#g">Ruge</hi>ſagt, das Komiſche ſey nicht ſelbſt das Ideal, nur<lb/>
das erſte Finden, das Erfinden der Schönheit (ebenda); aber das Komiſche<lb/>
iſt ſo wenig als das Erhabene (vergl. §. 82, Anm.) eine Form der<lb/>ſich erſt erzeugenden Schönheit, es iſt eine Form des Schönen und<lb/>ſammt dem einfach Schönen und dem Erhabenen wird es auftreten zuerſt<lb/>
in der unmittelbaren Weiſe der Naturſchönheit, dann wahrhaft im Ideal.<lb/>
Tritt es ſammt jenen andern Formen im Ideale auf, ſo iſt es auf<lb/>ſeine Weiſe, auch ehe es in dieſe reine Wirklichkeit des Schönen eingeht,<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[402/0416]
1. Die verlachte Erhabenheit behauptet ſich durch den Bruch der
Komik fort, dies ergab ſich ſchon in §. 152. 153. Jetzt aber iſt dieſer
Satz dahin entwickelt, daß als der Ort, das Organ dieſer Fortbehaup-
tung das den komiſchen Act vollziehende Subject ſelbſt geſetzt iſt. Der
erhabene Gegenſtand ſchlüpft ſo zu ſagen in es hinein und lacht aus ihm
heraus. Das Selbſt iſt die letzte Inſtanz. Nicht geläugnet wird, daß
es ewige Mächte gibt, die das Leben regieren, allein ſo mangelhaft das
Subject ſeyn mag, dieſe Mächte können immer nur in Subjecten und
durch ſie herrſchen und jedes einzelne Subject iſt ſo gut Subject wie
die andern. Ich kann z. B. anerkennen, daß die Hierarchie einmal ihre
Zeit hatte; allein der Prieſter will nicht nur reinmenſchlicher Verwalter
des göttlichen Geiſtes, ſondern er will mehr als Menſch, er will durch
gewiſſe Verzichtungen ein magiſches Weſen ſeyn. Der komiſche Stand-
punkt iſt daher ſogleich mit der Einrede da: der will mehr ſeyn, als
Andere? Ich danke dafür, ich bin auch da, er iſt Menſch wie ich und
weil ich im rein menſchlichen Sinne ſelbſt Prieſter bin, ſo ziehe ich ihm
lachend ſeinen Heiligenſchein herunter. In dieſem Sinne iſt das Komiſche
ganz egoiſtiſch.
2. Der Mangel im Schluß-Ergebniß bei Ruge wurde ſchon mehr-
fach berührt, iſt aber hier, wo Alles ſich zuſammenfaßt, noch einmal
aufzunehmen. Ruge überſieht, daß im Komiſchen, wenn eben die Be-
ſinnung eingetreten iſt, der Spaß von vornen wieder anfängt. Das Komiſche
kommt vom Erhabenen her; es hat den Geiſt, der über die Grenze zu ſeyn
behauptet, als Feind vor ſich und beſteht nur in dieſem Kampfe. Hat es
den Feind verſchlungen, ſo wirft es ihn ſogleich wieder hinaus, ihn auf’s
Neue zu beſiegen, und es bleibt bei dieſer Ebbe und Fluth, dieſem in’s Dunkel
wogenden Lichte. Wohl wird ſich zeigen, wie ſich aus der doppelten
Negation des Komiſchen das Schöne herſtellt, aber nicht dadurch un-
mittelbar kann es ſich daraus herſtellen, daß man bei dem „Herausfinden
der wahren Geſtalt aus der unwahren“ (Ruge a. a. O. S. 128)
ſtehen bliebe. Ruge ſagt, das Komiſche ſey nicht ſelbſt das Ideal, nur
das erſte Finden, das Erfinden der Schönheit (ebenda); aber das Komiſche
iſt ſo wenig als das Erhabene (vergl. §. 82, Anm.) eine Form der
ſich erſt erzeugenden Schönheit, es iſt eine Form des Schönen und
ſammt dem einfach Schönen und dem Erhabenen wird es auftreten zuerſt
in der unmittelbaren Weiſe der Naturſchönheit, dann wahrhaft im Ideal.
Tritt es ſammt jenen andern Formen im Ideale auf, ſo iſt es auf
ſeine Weiſe, auch ehe es in dieſe reine Wirklichkeit des Schönen eingeht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/416>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.