Zweckwidrigkeit im äußern Thun sind die Italiener ausnehmend glücklich. -- Die Welt der Leidenschaft fällt natürlich noch ganz in diesen Kreis, weil sie blind ist; allein auch alle andern und selbst die reinsten Formen des Erhabenen. Das Denken z. B., in seiner höhern Thätigkeit, scheint ein zu schwerer Gegenstand für die Posse, allein es kann gerade durch seine Ab- stractheit eine Barbarei, Vernachlässigung der Form, Unfläthigkeit u. s. w. in der ihm gewidmeten Person zur Folge haben, wodurch es sich völlig für jene eignet. Der Cynismus des Mediziners z. B., als reinen Fachmanns, ist im Katzenberger durchaus in der trefflichsten Weise für die niedrige Komik verarbeitet. Der tieferen Forschung bemächtigt sich das Burleske im Puppenspiele von Dr. Faustus. Das Böse tritt als Teufel auf. Das Gute kann allerdings in seiner subjectiv vertieften Gestalt schwer in diesen Kreis treten, um so besser aber als objectives Pathos. Aristophanes ist allerdings mehr als burlesk und hat ein volles Bewußtseyn davon, daß er die Komödie über das Possenhafte gehoben hat; aber neben den höheren Formen des Witzes und des tiefsten Gefühls, das humoristisch umschlägt, ist ihm doch das Burleske Hauptmittel, den Zerfall des Staatslebens zur komischen Anschauung zu bringen. Von der Religion war zu §. 187 die Rede; an ihr wird der Sinn des im vorliegenden §. ausgesprochenen Satzes besonders deutlich. Als Kirche wird die Religion ganz objectiv und eben- dadurch für die Posse greiflich; sie verfällt aber zugleich in dieser Gestalt mit Recht der Komik, denn ihr geistiger Mittelpunkt verliert wirklich an seiner Reinheit ebensoviel als der objective Körper der Kirche gewinnt. Die sogenannten Mißbräuche sind daher nicht zufällige, sondern nothwendige Folgen dieser Verleiblichung. Dogmenzwang und geistliche Herrschsucht und Habsucht sitzen mitten im Wesen der Kirche.
2. Der Gegenstoß ist so grob als möglich und kommt natürlich lieber von außen als von innen. Zwar nicht allein das Erstere: Ungeschick- lichkeit, Geschwätzigkeit, Feigheit, Gefräßigkeit u. s. w. sind innere Ver- strickungen des strebenden Subjects mit sich selbst; allein der rein äußere Stoß muß natürlich in dieser Komik einer sich hart und derb reibenden Körperwelt die größere Rolle spielen: Prügel bekommen, Stolpern und Fallen u. dgl. greifliche Uebel spielen eine Hauptrolle, Falstaff wird in einen Waschkorb gepackt, in's Wasser geworfen u. s. w. Eine höhere Form der Komik kann z. B. die Leidenschaft der Liebe durch die feinste Andeutung mitunterschleichender sinnlicher oder eitler Motive dem Lächeln preisgeben, aber die Posse braucht den derben Ausbruch des Sinnlichen, die ungezwungenste Bezeichnung desselben und ist daher besonders stark
Zweckwidrigkeit im äußern Thun ſind die Italiener ausnehmend glücklich. — Die Welt der Leidenſchaft fällt natürlich noch ganz in dieſen Kreis, weil ſie blind iſt; allein auch alle andern und ſelbſt die reinſten Formen des Erhabenen. Das Denken z. B., in ſeiner höhern Thätigkeit, ſcheint ein zu ſchwerer Gegenſtand für die Poſſe, allein es kann gerade durch ſeine Ab- ſtractheit eine Barbarei, Vernachläſſigung der Form, Unfläthigkeit u. ſ. w. in der ihm gewidmeten Perſon zur Folge haben, wodurch es ſich völlig für jene eignet. Der Cynismus des Mediziners z. B., als reinen Fachmanns, iſt im Katzenberger durchaus in der trefflichſten Weiſe für die niedrige Komik verarbeitet. Der tieferen Forſchung bemächtigt ſich das Burleske im Puppenſpiele von Dr. Fauſtus. Das Böſe tritt als Teufel auf. Das Gute kann allerdings in ſeiner ſubjectiv vertieften Geſtalt ſchwer in dieſen Kreis treten, um ſo beſſer aber als objectives Pathos. Ariſtophanes iſt allerdings mehr als burlesk und hat ein volles Bewußtſeyn davon, daß er die Komödie über das Poſſenhafte gehoben hat; aber neben den höheren Formen des Witzes und des tiefſten Gefühls, das humoriſtiſch umſchlägt, iſt ihm doch das Burleske Hauptmittel, den Zerfall des Staatslebens zur komiſchen Anſchauung zu bringen. Von der Religion war zu §. 187 die Rede; an ihr wird der Sinn des im vorliegenden §. ausgeſprochenen Satzes beſonders deutlich. Als Kirche wird die Religion ganz objectiv und eben- dadurch für die Poſſe greiflich; ſie verfällt aber zugleich in dieſer Geſtalt mit Recht der Komik, denn ihr geiſtiger Mittelpunkt verliert wirklich an ſeiner Reinheit ebenſoviel als der objective Körper der Kirche gewinnt. Die ſogenannten Mißbräuche ſind daher nicht zufällige, ſondern nothwendige Folgen dieſer Verleiblichung. Dogmenzwang und geiſtliche Herrſchſucht und Habſucht ſitzen mitten im Weſen der Kirche.
2. Der Gegenſtoß iſt ſo grob als möglich und kommt natürlich lieber von außen als von innen. Zwar nicht allein das Erſtere: Ungeſchick- lichkeit, Geſchwätzigkeit, Feigheit, Gefräßigkeit u. ſ. w. ſind innere Ver- ſtrickungen des ſtrebenden Subjects mit ſich ſelbſt; allein der rein äußere Stoß muß natürlich in dieſer Komik einer ſich hart und derb reibenden Körperwelt die größere Rolle ſpielen: Prügel bekommen, Stolpern und Fallen u. dgl. greifliche Uebel ſpielen eine Hauptrolle, Falſtaff wird in einen Waſchkorb gepackt, in’s Waſſer geworfen u. ſ. w. Eine höhere Form der Komik kann z. B. die Leidenſchaft der Liebe durch die feinſte Andeutung mitunterſchleichender ſinnlicher oder eitler Motive dem Lächeln preisgeben, aber die Poſſe braucht den derben Ausbruch des Sinnlichen, die ungezwungenſte Bezeichnung desſelben und iſt daher beſonders ſtark
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Zweckwidrigkeit im äußern Thun ſind die Italiener ausnehmend glücklich.
— Die Welt der Leidenſchaft fällt natürlich noch ganz in dieſen Kreis, weil
ſie blind iſt; allein auch alle andern und ſelbſt die reinſten Formen des
Erhabenen. Das Denken z. B., in ſeiner höhern Thätigkeit, ſcheint ein zu
ſchwerer Gegenſtand für die Poſſe, allein es kann gerade durch ſeine Ab-
ſtractheit eine Barbarei, Vernachläſſigung der Form, Unfläthigkeit u. ſ. w.
in der ihm gewidmeten Perſon zur Folge haben, wodurch es ſich völlig für
jene eignet. Der Cynismus des Mediziners z. B., als reinen Fachmanns,
iſt im Katzenberger durchaus in der trefflichſten Weiſe für die niedrige
Komik verarbeitet. Der tieferen Forſchung bemächtigt ſich das Burleske im
Puppenſpiele von Dr. Fauſtus. Das Böſe tritt als Teufel auf. Das
Gute kann allerdings in ſeiner ſubjectiv vertieften Geſtalt ſchwer in dieſen
Kreis treten, um ſo beſſer aber als objectives Pathos. Ariſtophanes
iſt allerdings mehr als burlesk und hat ein volles Bewußtſeyn davon, daß
er die Komödie über das Poſſenhafte gehoben hat; aber neben den höheren
Formen des Witzes und des tiefſten Gefühls, das humoriſtiſch umſchlägt, iſt
ihm doch das Burleske Hauptmittel, den Zerfall des Staatslebens zur
komiſchen Anſchauung zu bringen. Von der Religion war zu §. 187 die
Rede; an ihr wird der Sinn des im vorliegenden §. ausgeſprochenen Satzes
beſonders deutlich. Als Kirche wird die Religion ganz objectiv und eben-
dadurch für die Poſſe greiflich; ſie verfällt aber zugleich in dieſer Geſtalt
mit Recht der Komik, denn ihr geiſtiger Mittelpunkt verliert wirklich an
ſeiner Reinheit ebenſoviel als der objective Körper der Kirche gewinnt. Die
ſogenannten Mißbräuche ſind daher nicht zufällige, ſondern nothwendige
Folgen dieſer Verleiblichung. Dogmenzwang und geiſtliche Herrſchſucht und
Habſucht ſitzen mitten im Weſen der Kirche.
2. Der Gegenſtoß iſt ſo grob als möglich und kommt natürlich lieber
von außen als von innen. Zwar nicht allein das Erſtere: Ungeſchick-
lichkeit, Geſchwätzigkeit, Feigheit, Gefräßigkeit u. ſ. w. ſind innere Ver-
ſtrickungen des ſtrebenden Subjects mit ſich ſelbſt; allein der rein äußere
Stoß muß natürlich in dieſer Komik einer ſich hart und derb reibenden
Körperwelt die größere Rolle ſpielen: Prügel bekommen, Stolpern und
Fallen u. dgl. greifliche Uebel ſpielen eine Hauptrolle, Falſtaff wird in
einen Waſchkorb gepackt, in’s Waſſer geworfen u. ſ. w. Eine höhere
Form der Komik kann z. B. die Leidenſchaft der Liebe durch die feinſte
Andeutung mitunterſchleichender ſinnlicher oder eitler Motive dem Lächeln
preisgeben, aber die Poſſe braucht den derben Ausbruch des Sinnlichen,
die ungezwungenſte Bezeichnung desſelben und iſt daher beſonders ſtark
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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