Sie sind darum auch als besondere Formen nicht verloren, sondern nur zu Mitteln der ganzen Persönlichkeit, die sie in sich aufnimmt und trägt, herab- gesetzt. Hauptmittel sind die höchsten Formen des Witzes, der bildliche und die Ironie. Wenn nun der geistreichere bildliche Witz schon als solcher die Vergleichungsformel wegläßt, so nimmt der Humor dies Verfahren mit der Ironie verbunden in dem tieferen Sinne auf, daß er, da ihm wirklich die Welt als Ein Wesen erscheint, wo in jeder Gestalt die Möglichkeit der an- dern enthalten ist, in muthwilliger Verwechslung aus einer Gestalt die andere hervorscheinen und hervorwachsen läßt, ja er greift zu der sinnlichen Ausgelassen- heit der Posse zurück, verstellt das eigene Subject und spielt hinter seiner Maske mit dem einfachen Bewußtseyn der umgebenden Subjecte, wobei er mit der Greiflichkeit der Posse die witzige Rede zu einer vollen Einheit verbindet.
Shakespeare, Theodor Hoffmann und Jean Paul geben Beispiele in Fülle für den Inhalt dieses §. Der Humorist liebt auch die Posse; Hamlet selbst macht Narrensprünge, ebenso Kreisler und andere humoristische Figuren. Das Umschlagen einer Gestalt in die andere, wie z. B. Hoffmanns Magister Pepser eine Fleischmücke wird, Archivarius Lindhorst als Geier auffliegt, scheint als ein Wunderbares einem bestimmten Ideal, dem romantischen, also nicht dieser allgemeinen Sphäre anzugehören, in der wir uns jetzt noch bewegen. Allein ebenso wie die Romantik liebt es schon das klassische Ideal: man darf sich nur an die Frösche, Vögel, Wolken, Wespen des Aristophanes erinnern, und auch außer der Kunst wird der Humorist immer solche Darstellung lieben; er ist darin mystisch pantheistisch, das einzelne Ding ist ihm Verlarvung eines andern. Dabei spielt er selber gern mit. Wenn Hamlet nach dem Gespräche mit dem Geiste seines Vaters sogleich beschließt, sich wahnsinnig zu stellen, und von nun an hinter einer Maske sich verbirgt, durch welche wieder sein wahres Bewußtseyn hervorscheint: dieß ist für seine tragische Aufgabe so zweckwidrig, daß es nur aus der ursprünglichen Liebhaberei des Humoristen zu erklären ist. J. Paul und Ruge berühren dieses ausgelassene Spiel unter dem Burlesken und Grotesken; jenem aber haben wir eine andere Stelle angewiesen, dieses gehört in die Kunst, man verstände denn darunter die Ausgelassenheit der Bewe- gungen, welche das Mögliche zu überschreiten nur scheint, wie sie wohl außer der Kunst vorkommen und von dieser systematisirt werden z. B. im gro- tesken Tanze. J. Paul aber spricht auch an der rechten Stelle -- nur immer mit Grundlegung seiner den Humor mit der Satyre verwechseln-
Sie ſind darum auch als beſondere Formen nicht verloren, ſondern nur zu Mitteln der ganzen Perſönlichkeit, die ſie in ſich aufnimmt und trägt, herab- geſetzt. Hauptmittel ſind die höchſten Formen des Witzes, der bildliche und die Ironie. Wenn nun der geiſtreichere bildliche Witz ſchon als ſolcher die Vergleichungsformel wegläßt, ſo nimmt der Humor dies Verfahren mit der Ironie verbunden in dem tieferen Sinne auf, daß er, da ihm wirklich die Welt als Ein Weſen erſcheint, wo in jeder Geſtalt die Möglichkeit der an- dern enthalten iſt, in muthwilliger Verwechslung aus einer Geſtalt die andere hervorſcheinen und hervorwachſen läßt, ja er greift zu der ſinnlichen Ausgelaſſen- heit der Poſſe zurück, verſtellt das eigene Subject und ſpielt hinter ſeiner Maske mit dem einfachen Bewußtſeyn der umgebenden Subjecte, wobei er mit der Greiflichkeit der Poſſe die witzige Rede zu einer vollen Einheit verbindet.
Shakespeare, Theodor Hoffmann und Jean Paul geben Beiſpiele in Fülle für den Inhalt dieſes §. Der Humoriſt liebt auch die Poſſe; Hamlet ſelbſt macht Narrenſprünge, ebenſo Kreisler und andere humoriſtiſche Figuren. Das Umſchlagen einer Geſtalt in die andere, wie z. B. Hoffmanns Magiſter Pepſer eine Fleiſchmücke wird, Archivarius Lindhorſt als Geier auffliegt, ſcheint als ein Wunderbares einem beſtimmten Ideal, dem romantiſchen, alſo nicht dieſer allgemeinen Sphäre anzugehören, in der wir uns jetzt noch bewegen. Allein ebenſo wie die Romantik liebt es ſchon das klaſſiſche Ideal: man darf ſich nur an die Fröſche, Vögel, Wolken, Weſpen des Ariſtophanes erinnern, und auch außer der Kunſt wird der Humoriſt immer ſolche Darſtellung lieben; er iſt darin myſtiſch pantheiſtiſch, das einzelne Ding iſt ihm Verlarvung eines andern. Dabei ſpielt er ſelber gern mit. Wenn Hamlet nach dem Geſpräche mit dem Geiſte ſeines Vaters ſogleich beſchließt, ſich wahnſinnig zu ſtellen, und von nun an hinter einer Maske ſich verbirgt, durch welche wieder ſein wahres Bewußtſeyn hervorſcheint: dieß iſt für ſeine tragiſche Aufgabe ſo zweckwidrig, daß es nur aus der urſprünglichen Liebhaberei des Humoriſten zu erklären iſt. J. Paul und Ruge berühren dieſes ausgelaſſene Spiel unter dem Burlesken und Grotesken; jenem aber haben wir eine andere Stelle angewieſen, dieſes gehört in die Kunſt, man verſtände denn darunter die Ausgelaſſenheit der Bewe- gungen, welche das Mögliche zu überſchreiten nur ſcheint, wie ſie wohl außer der Kunſt vorkommen und von dieſer ſyſtematiſirt werden z. B. im gro- tesken Tanze. J. Paul aber ſpricht auch an der rechten Stelle — nur immer mit Grundlegung ſeiner den Humor mit der Satyre verwechſeln-
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Sie ſind darum auch als beſondere Formen nicht verloren, ſondern nur zu
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geſetzt. Hauptmittel ſind die höchſten Formen des Witzes, der bildliche und
die Ironie. Wenn nun der geiſtreichere bildliche Witz ſchon als ſolcher die
Vergleichungsformel wegläßt, ſo nimmt der Humor dies Verfahren mit der
Ironie verbunden in dem tieferen Sinne auf, daß er, da ihm wirklich die
Welt als Ein Weſen erſcheint, wo in jeder Geſtalt die Möglichkeit der an-
dern enthalten iſt, in muthwilliger Verwechslung aus einer Geſtalt die andere
hervorſcheinen und hervorwachſen läßt, ja er greift zu der ſinnlichen Ausgelaſſen-
heit der Poſſe zurück, verſtellt das eigene Subject und ſpielt hinter ſeiner
Maske mit dem einfachen Bewußtſeyn der umgebenden Subjecte, wobei er mit
der Greiflichkeit der Poſſe die witzige Rede zu einer vollen Einheit verbindet.
Shakespeare, Theodor Hoffmann und Jean Paul geben
Beiſpiele in Fülle für den Inhalt dieſes §. Der Humoriſt liebt auch
die Poſſe; Hamlet ſelbſt macht Narrenſprünge, ebenſo Kreisler und
andere humoriſtiſche Figuren. Das Umſchlagen einer Geſtalt in die
andere, wie z. B. Hoffmanns Magiſter Pepſer eine Fleiſchmücke wird,
Archivarius Lindhorſt als Geier auffliegt, ſcheint als ein Wunderbares
einem beſtimmten Ideal, dem romantiſchen, alſo nicht dieſer allgemeinen
Sphäre anzugehören, in der wir uns jetzt noch bewegen. Allein ebenſo
wie die Romantik liebt es ſchon das klaſſiſche Ideal: man darf ſich nur
an die Fröſche, Vögel, Wolken, Weſpen des Ariſtophanes erinnern, und
auch außer der Kunſt wird der Humoriſt immer ſolche Darſtellung lieben;
er iſt darin myſtiſch pantheiſtiſch, das einzelne Ding iſt ihm Verlarvung
eines andern. Dabei ſpielt er ſelber gern mit. Wenn Hamlet nach
dem Geſpräche mit dem Geiſte ſeines Vaters ſogleich beſchließt, ſich
wahnſinnig zu ſtellen, und von nun an hinter einer Maske ſich verbirgt,
durch welche wieder ſein wahres Bewußtſeyn hervorſcheint: dieß iſt für
ſeine tragiſche Aufgabe ſo zweckwidrig, daß es nur aus der urſprünglichen
Liebhaberei des Humoriſten zu erklären iſt. J. Paul und Ruge
berühren dieſes ausgelaſſene Spiel unter dem Burlesken und Grotesken;
jenem aber haben wir eine andere Stelle angewieſen, dieſes gehört in
die Kunſt, man verſtände denn darunter die Ausgelaſſenheit der Bewe-
gungen, welche das Mögliche zu überſchreiten nur ſcheint, wie ſie wohl außer
der Kunſt vorkommen und von dieſer ſyſtematiſirt werden z. B. im gro-
tesken Tanze. J. Paul aber ſpricht auch an der rechten Stelle — nur
immer mit Grundlegung ſeiner den Humor mit der Satyre verwechſeln-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/471>, abgerufen am 22.11.2024.
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