eine Gestalt auf, welche ganz Innigkeit ist, aber auch an Weite verliert, was sie an Tiefe eines inneren Himmels von Liebe gewinnt. Sie selbst hat zwar zu leiden, aber nur die Uebel des kleinen Lebens, Armuth, dürftige Gestalt, Unstern; sie erfährt auch die Schlechtigkeit der Welt, aber nur im Privatleben. Es fehlt das öffentliche Bewußtseyn, das Welt- bewußtseyn, sie ist nicht politisch; sie liebt das Menschengeschlecht, aber sie meint, im Menschen den Menschen mit Abzug seines wirklichen öffent- lichen Lebens umfassen zu können, sie ist philanthropisch, ein Kind der Humanitäts-Bildung. Die Uebel, die in ihren Gesichtskreis fallen, verklärt sie, wie ein stilles Gemüth in sein wohnliches, warmes, enges Zimmer sich einlebt, mit dem Ueberfluß ihrer Liebe und Güte, mit wohl- meinendem Scherze. Es ist der philisteriöse und "empfindselige" Humor. Seine unendliche Humanität wäre ohne den Gedankenbesitz einer weiten und offenen Bildung nicht möglich; aber er nimmt von dieser nicht die weltumbildenden Gedanken, sondern nur die fertige Frucht der wohl- wollenden subjectiven Stimmung auf. J. Paul gehört hieher als Dichter eines Quintus Fixlein, als Schöpfer eines Eymann, eines Sieben- käs, den übrigens sein männlicher Zorn anderntheils bereits auf die folgende höhere Stufe hebt, eines Gottwalt, als Freund der Armen, wie ihn Börne so schön geschildert; aber nicht als Schüler Rousseaus, nicht als schneidender politischer Denker; wohl aber ganz der milde Goldsmith, die "sich selbst belächelnde Hausväterlichkeit und Gutmüthigkeit" eines Musäus. Den Namen der Sentimentalität hat Sterne dieser Form des Humors geschöpft und Hamann trefflich durch Empfindseligkeit über- setzt. Sterne apostrophirt "das große Sensorium der Welt," den Gott dieses Humors, "die unerschöpfliche Quelle der theuren Empfindungs- fähigkeit." Er wäre ohne Frage ein besonders reiner Typus dieser Form, wenn nicht ein fremder Ton, die Lüsternheit, die auch Wielands und Thümmels ärmeren Humor entstellt, faunisch bei ihm überall sich hindurchzöge. Der Humor wird wohl vorzüglich auch das Geschlechts- verhältniß in's Auge fassen, aber nicht diesen Rest unaufgelöster, lauernder Begierde als schweren Stoff zurücklassen. Der Begriff des Sen- timentalen nun ist in seiner allgemeinen Bedeutung anderswo zu erörtern; hier weicht er von dem gewöhnlichen Gebrauche darin ab, daß der wohlmeinende Scherz in die sich und die Welt umfassende Empfindung miteinbegriffen ist, wogegen das Sentimentale im gewöhnlichen Sinne den Widerspruch des Gemeinen und Kleinen als Gegengewicht seines abstracten Ideals und den Scherz darüber gerade nicht zu ertragen mag.
eine Geſtalt auf, welche ganz Innigkeit iſt, aber auch an Weite verliert, was ſie an Tiefe eines inneren Himmels von Liebe gewinnt. Sie ſelbſt hat zwar zu leiden, aber nur die Uebel des kleinen Lebens, Armuth, dürftige Geſtalt, Unſtern; ſie erfährt auch die Schlechtigkeit der Welt, aber nur im Privatleben. Es fehlt das öffentliche Bewußtſeyn, das Welt- bewußtſeyn, ſie iſt nicht politiſch; ſie liebt das Menſchengeſchlecht, aber ſie meint, im Menſchen den Menſchen mit Abzug ſeines wirklichen öffent- lichen Lebens umfaſſen zu können, ſie iſt philanthropiſch, ein Kind der Humanitäts-Bildung. Die Uebel, die in ihren Geſichtskreis fallen, verklärt ſie, wie ein ſtilles Gemüth in ſein wohnliches, warmes, enges Zimmer ſich einlebt, mit dem Ueberfluß ihrer Liebe und Güte, mit wohl- meinendem Scherze. Es iſt der philiſteriöſe und „empfindſelige“ Humor. Seine unendliche Humanität wäre ohne den Gedankenbeſitz einer weiten und offenen Bildung nicht möglich; aber er nimmt von dieſer nicht die weltumbildenden Gedanken, ſondern nur die fertige Frucht der wohl- wollenden ſubjectiven Stimmung auf. J. Paul gehört hieher als Dichter eines Quintus Fixlein, als Schöpfer eines Eymann, eines Sieben- käs, den übrigens ſein männlicher Zorn anderntheils bereits auf die folgende höhere Stufe hebt, eines Gottwalt, als Freund der Armen, wie ihn Börne ſo ſchön geſchildert; aber nicht als Schüler Rouſſeaus, nicht als ſchneidender politiſcher Denker; wohl aber ganz der milde Goldſmith, die „ſich ſelbſt belächelnde Hausväterlichkeit und Gutmüthigkeit“ eines Muſäus. Den Namen der Sentimentalität hat Sterne dieſer Form des Humors geſchöpft und Hamann trefflich durch Empfindſeligkeit über- ſetzt. Sterne apoſtrophirt „das große Senſorium der Welt,“ den Gott dieſes Humors, „die unerſchöpfliche Quelle der theuren Empfindungs- fähigkeit.“ Er wäre ohne Frage ein beſonders reiner Typus dieſer Form, wenn nicht ein fremder Ton, die Lüſternheit, die auch Wielands und Thümmels ärmeren Humor entſtellt, fauniſch bei ihm überall ſich hindurchzöge. Der Humor wird wohl vorzüglich auch das Geſchlechts- verhältniß in’s Auge faſſen, aber nicht dieſen Reſt unaufgelöster, lauernder Begierde als ſchweren Stoff zurücklaſſen. Der Begriff des Sen- timentalen nun iſt in ſeiner allgemeinen Bedeutung anderswo zu erörtern; hier weicht er von dem gewöhnlichen Gebrauche darin ab, daß der wohlmeinende Scherz in die ſich und die Welt umfaſſende Empfindung miteinbegriffen iſt, wogegen das Sentimentale im gewöhnlichen Sinne den Widerſpruch des Gemeinen und Kleinen als Gegengewicht ſeines abſtracten Ideals und den Scherz darüber gerade nicht zu ertragen mag.
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eine Geſtalt auf, welche ganz Innigkeit iſt, aber auch an Weite verliert,
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hat zwar zu leiden, aber nur die Uebel des kleinen Lebens, Armuth,
dürftige Geſtalt, Unſtern; ſie erfährt auch die Schlechtigkeit der Welt, aber
nur im Privatleben. Es fehlt das öffentliche Bewußtſeyn, das Welt-
bewußtſeyn, ſie iſt nicht politiſch; ſie liebt das Menſchengeſchlecht, aber
ſie meint, im Menſchen den Menſchen mit Abzug ſeines wirklichen öffent-
lichen Lebens umfaſſen zu können, ſie iſt philanthropiſch, ein Kind der
Humanitäts-Bildung. Die Uebel, die in ihren Geſichtskreis fallen,
verklärt ſie, wie ein ſtilles Gemüth in ſein wohnliches, warmes, enges
Zimmer ſich einlebt, mit dem Ueberfluß ihrer Liebe und Güte, mit wohl-
meinendem Scherze. Es iſt der philiſteriöſe und „empfindſelige“ Humor.
Seine unendliche Humanität wäre ohne den Gedankenbeſitz einer weiten
und offenen Bildung nicht möglich; aber er nimmt von dieſer nicht die
weltumbildenden Gedanken, ſondern nur die fertige Frucht der wohl-
wollenden ſubjectiven Stimmung auf. J. Paul gehört hieher als
Dichter eines Quintus Fixlein, als Schöpfer eines Eymann, eines Sieben-
käs, den übrigens ſein männlicher Zorn anderntheils bereits auf die folgende
höhere Stufe hebt, eines Gottwalt, als Freund der Armen, wie ihn
Börne ſo ſchön geſchildert; aber nicht als Schüler Rouſſeaus, nicht
als ſchneidender politiſcher Denker; wohl aber ganz der milde Goldſmith,
die „ſich ſelbſt belächelnde Hausväterlichkeit und Gutmüthigkeit“ eines
Muſäus. Den Namen der Sentimentalität hat Sterne dieſer Form
des Humors geſchöpft und Hamann trefflich durch Empfindſeligkeit über-
ſetzt. Sterne apoſtrophirt „das große Senſorium der Welt,“ den Gott
dieſes Humors, „die unerſchöpfliche Quelle der theuren Empfindungs-
fähigkeit.“ Er wäre ohne Frage ein beſonders reiner Typus dieſer
Form, wenn nicht ein fremder Ton, die Lüſternheit, die auch Wielands
und Thümmels ärmeren Humor entſtellt, fauniſch bei ihm überall ſich
hindurchzöge. Der Humor wird wohl vorzüglich auch das Geſchlechts-
verhältniß in’s Auge faſſen, aber nicht dieſen Reſt unaufgelöster,
lauernder Begierde als ſchweren Stoff zurücklaſſen. Der Begriff des Sen-
timentalen nun iſt in ſeiner allgemeinen Bedeutung anderswo zu erörtern;
hier weicht er von dem gewöhnlichen Gebrauche darin ab, daß der
wohlmeinende Scherz in die ſich und die Welt umfaſſende Empfindung
miteinbegriffen iſt, wogegen das Sentimentale im gewöhnlichen Sinne
den Widerſpruch des Gemeinen und Kleinen als Gegengewicht ſeines
abſtracten Ideals und den Scherz darüber gerade nicht zu ertragen mag.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/482>, abgerufen am 22.11.2024.
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