Von dieser Ausschließung des Komischen ist in der humoristischen Sen- timentalität nur so viel enthalten, daß sie ihren komischen Kreis ver- hältnißmäßig doch enge zieht aus Scheu vor den männlichen Kämpfen und Widersprüchen der großen, politischen Welt.
§. 221.
Stoßen auf diese Subjectivität die großen Widersprüche der zu einer objec- tiven Welt ausgebreiteten sittlichen Idee, so muß ihr der Humor ausgehen, weil die Innigkeit ihrer inneren Liebeswelt nicht ausreicht, auch sie in freiem Scherze zu bewältigen. Sie hat an Objectivität und Totalität verloren, was sie an innerlich vertiester Unendlichkeit gewonnen hat. Daher entsteht zuerst die Forderung, daß diese Innigkeit sich zur Gewalt des von dem allgemeinen Pathas für diese objective Welt erfüllten Geistes erweitere, der handelnd sich selbst in sie einläßt und wohl auch an sich die herbe Erfahrung ihrer Un- reinheit machen mag, aber diesen realen Prozeß auch durch das Interesse des selbständigen und umfassenden Denkens, das ihm unerläßlich ist, ersetzen mag. Da nun der Geist den allgemeinen Widerspruch durch dieses Denken in seiner ganzen Bestimmtheit und Härte erfaßt, tritt dem stillen und liebevollen Humor ein schneidender Realismus gegenüber, und dieser noch unaufgelöste Gegensatz kann sich sogar in Einem Subjecte vereinigen.
Jener stille und heimliche Humor weiblicher Männer, gutmüthiger, ländlicher, kleinstädtischer Naturen erscheint als leichtes Thun, wenn man die männlichen Kämpfe des öffentlichen Lebens, die er nicht in seinen Kreis zu ziehen vermag und deren Anblick ihn aus der Stimmung bringt, in's Auge faßt. Aber eine sittliche Welt versinken sehen, wie der männ- liche Geist des Aristophanes, Undank, Ungerechtigkeit, Schwäche der Gesetze, Bestechung, Ränke walten sehen mit dem Feuer-Auge Shakes- peares, und doch den Humor auch über diese Welt-Uebel erweitern, dies ist das Höchste, das Schwerste. Eigene Erfahrung in diesem Kreise und eigenes Schuldbewußtseyn kann vorausgehen, wie es so schmerzvoll kämpfend aus Shakespeares Sonetten spricht, aber wie weit dies gehen müsse oder dürfe, muß unbestimmt bleiben, denn der ästhetische Geist ersetzt sich durch ein inneres Weltblild die Mängel der Erfahrung. Diese Weite des Blicks ist im §. als ein Denken bezeichnet; um die Befreiung von diesem totalen Schmerze in der Form des Humors zu erzeugen, muß auch dies Denken freilich erst Besitz und Eigenthum der Per-
Von dieſer Ausſchließung des Komiſchen iſt in der humoriſtiſchen Sen- timentalität nur ſo viel enthalten, daß ſie ihren komiſchen Kreis ver- hältnißmäßig doch enge zieht aus Scheu vor den männlichen Kämpfen und Widerſprüchen der großen, politiſchen Welt.
§. 221.
Stoßen auf dieſe Subjectivität die großen Widerſprüche der zu einer objec- tiven Welt ausgebreiteten ſittlichen Idee, ſo muß ihr der Humor ausgehen, weil die Innigkeit ihrer inneren Liebeswelt nicht ausreicht, auch ſie in freiem Scherze zu bewältigen. Sie hat an Objectivität und Totalität verloren, was ſie an innerlich vertieſter Unendlichkeit gewonnen hat. Daher entſteht zuerſt die Forderung, daß dieſe Innigkeit ſich zur Gewalt des von dem allgemeinen Pathas für dieſe objective Welt erfüllten Geiſtes erweitere, der handelnd ſich ſelbſt in ſie einläßt und wohl auch an ſich die herbe Erfahrung ihrer Un- reinheit machen mag, aber dieſen realen Prozeß auch durch das Intereſſe des ſelbſtändigen und umfaſſenden Denkens, das ihm unerläßlich iſt, erſetzen mag. Da nun der Geiſt den allgemeinen Widerſpruch durch dieſes Denken in ſeiner ganzen Beſtimmtheit und Härte erfaßt, tritt dem ſtillen und liebevollen Humor ein ſchneidender Realiſmus gegenüber, und dieſer noch unaufgelöste Gegenſatz kann ſich ſogar in Einem Subjecte vereinigen.
Jener ſtille und heimliche Humor weiblicher Männer, gutmüthiger, ländlicher, kleinſtädtiſcher Naturen erſcheint als leichtes Thun, wenn man die männlichen Kämpfe des öffentlichen Lebens, die er nicht in ſeinen Kreis zu ziehen vermag und deren Anblick ihn aus der Stimmung bringt, in’s Auge faßt. Aber eine ſittliche Welt verſinken ſehen, wie der männ- liche Geiſt des Ariſtophanes, Undank, Ungerechtigkeit, Schwäche der Geſetze, Beſtechung, Ränke walten ſehen mit dem Feuer-Auge Shakes- peares, und doch den Humor auch über dieſe Welt-Uebel erweitern, dies iſt das Höchſte, das Schwerſte. Eigene Erfahrung in dieſem Kreiſe und eigenes Schuldbewußtſeyn kann vorausgehen, wie es ſo ſchmerzvoll kämpfend aus Shakespeares Sonetten ſpricht, aber wie weit dies gehen müſſe oder dürfe, muß unbeſtimmt bleiben, denn der äſthetiſche Geiſt erſetzt ſich durch ein inneres Weltblild die Mängel der Erfahrung. Dieſe Weite des Blicks iſt im §. als ein Denken bezeichnet; um die Befreiung von dieſem totalen Schmerze in der Form des Humors zu erzeugen, muß auch dies Denken freilich erſt Beſitz und Eigenthum der Per-
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Von dieſer Ausſchließung des Komiſchen iſt in der humoriſtiſchen Sen-
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hältnißmäßig doch enge zieht aus Scheu vor den männlichen Kämpfen
und Widerſprüchen der großen, politiſchen Welt.
§. 221.
Stoßen auf dieſe Subjectivität die großen Widerſprüche der zu einer objec-
tiven Welt ausgebreiteten ſittlichen Idee, ſo muß ihr der Humor ausgehen,
weil die Innigkeit ihrer inneren Liebeswelt nicht ausreicht, auch ſie in freiem
Scherze zu bewältigen. Sie hat an Objectivität und Totalität verloren, was
ſie an innerlich vertieſter Unendlichkeit gewonnen hat. Daher entſteht zuerſt
die Forderung, daß dieſe Innigkeit ſich zur Gewalt des von dem allgemeinen
Pathas für dieſe objective Welt erfüllten Geiſtes erweitere, der handelnd ſich
ſelbſt in ſie einläßt und wohl auch an ſich die herbe Erfahrung ihrer Un-
reinheit machen mag, aber dieſen realen Prozeß auch durch das Intereſſe des
ſelbſtändigen und umfaſſenden Denkens, das ihm unerläßlich iſt, erſetzen mag.
Da nun der Geiſt den allgemeinen Widerſpruch durch dieſes Denken in ſeiner
ganzen Beſtimmtheit und Härte erfaßt, tritt dem ſtillen und liebevollen Humor
ein ſchneidender Realiſmus gegenüber, und dieſer noch unaufgelöste Gegenſatz
kann ſich ſogar in Einem Subjecte vereinigen.
Jener ſtille und heimliche Humor weiblicher Männer, gutmüthiger,
ländlicher, kleinſtädtiſcher Naturen erſcheint als leichtes Thun, wenn man
die männlichen Kämpfe des öffentlichen Lebens, die er nicht in ſeinen
Kreis zu ziehen vermag und deren Anblick ihn aus der Stimmung bringt,
in’s Auge faßt. Aber eine ſittliche Welt verſinken ſehen, wie der männ-
liche Geiſt des Ariſtophanes, Undank, Ungerechtigkeit, Schwäche der
Geſetze, Beſtechung, Ränke walten ſehen mit dem Feuer-Auge Shakes-
peares, und doch den Humor auch über dieſe Welt-Uebel erweitern, dies
iſt das Höchſte, das Schwerſte. Eigene Erfahrung in dieſem Kreiſe und
eigenes Schuldbewußtſeyn kann vorausgehen, wie es ſo ſchmerzvoll
kämpfend aus Shakespeares Sonetten ſpricht, aber wie weit dies
gehen müſſe oder dürfe, muß unbeſtimmt bleiben, denn der äſthetiſche
Geiſt erſetzt ſich durch ein inneres Weltblild die Mängel der Erfahrung.
Dieſe Weite des Blicks iſt im §. als ein Denken bezeichnet; um die
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/483>, abgerufen am 22.11.2024.
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