der Kunstgeschichte breitet sich die Aesthetik aus. Alles, was die Bedeutung des wesentlich Bezeichnenden nicht hat, bleibt als rein positiv der Kunst- geschichte aufbehalten. Ueber den Gegensatz des Positiven und des Philosophischen ist hier nur so viel zu bemerken. Ganz streng genommen gibt es allerdings gar nichts rein Positives; das sogenannte Positive ent- steht dadurch, daß, was in seiner Sphäre aus Naturgesetzen oder Geistes- gesetzen allerdings begreiflich wäre, in der Verwachsung von Bedingungen, in welche es mit Erscheinungen aus andern Sphären verschlungen ist, sich mit Anderweitigem vermischt, auf dessen Erklärung die Wissenschaft, wenn sie es eben nur mit dieser Sphäre zu thun hat, sich jetzt nicht einlassen kann. Das Schöne, dessen Begriff hier Aufgabe ist, bietet zugleich als Kunst das passendste Beispiel. Daß irgend ein Kunstwerk gerade in einem gewissen Jahre, unter gewissen räumlichen und andern Bedingungen entstand, dies ist, sobald man die äußere Geschichte des Volkes, das es hervorbrachte, bis auf ihre ursprünglichsten Grundlagen verfolgt, die politische Geschichte sammt ihren Hülfswissenschaften hinzu- zieht und weiter erwägt, daß auch diese sich bis auf letzte nothwendige und begriffsmäßige Grundlagen verfolgen lassen, keineswegs etwas Zu- fälliges. Die Kunstgeschichte aber, wiewohl sie mit allen concreten Be- dingungen des Volkslebens sich lebendig durchdringen muß, kann dies doch so weit keineswegs verfolgen, noch weniger die Philosophie der Kunst- geschichte als Theil der Aesthetik; sie läßt sich daher nur auf diejenigen Kunstwerke und ihre historischen Bedingungen ein, in welchen die letzteren so günstig zusammenwirkten, daß das reine Wesen der Kunst bedeutungsvoll hervortrat, führt auch sie nicht in historischer Weise auf, sondern hebt nur das Allgemeine in ihnen hervor; alles Uebrige aber ist für sie ein Zufälliges, was sie als blos Positives der Kunstgeschichte überläßt; auch diese aber trifft noch eine Auswahl und weist das Uebrige an das Geschäft der bloßen Stoffsammlung, in welcher die Zufälligkeit das Herrschende ist und daher ein bloßes Aggregat zu Stande kommt. Uebrigens hat be- kanntlich die Bezeichnung: positiv noch eine andere Bedeutung; sie be- zeichnet nicht blos das, was in das Wissen aufgenommen wird als ein Zufälliges, das einmal so und nicht anders ist, sondern auch das, was das Empfinden und Wollen der Völker durch Autorität beherrscht, d. h. ohne sich zu beweisen. Die letztere Bedeutung des Worts gehört nicht hieher. Hettner (Gegen die spekulative Aesthetik S. Wigand's Vierteljahrsschrift 1845. B. 4.). bekämpft die hier ausgesprochene Ansicht über das Verhältniß der Aesthetik und Kunstgeschichte. Er verlangt eine
der Kunſtgeſchichte breitet ſich die Aeſthetik aus. Alles, was die Bedeutung des weſentlich Bezeichnenden nicht hat, bleibt als rein poſitiv der Kunſt- geſchichte aufbehalten. Ueber den Gegenſatz des Poſitiven und des Philoſophiſchen iſt hier nur ſo viel zu bemerken. Ganz ſtreng genommen gibt es allerdings gar nichts rein Poſitives; das ſogenannte Poſitive ent- ſteht dadurch, daß, was in ſeiner Sphäre aus Naturgeſetzen oder Geiſtes- geſetzen allerdings begreiflich wäre, in der Verwachſung von Bedingungen, in welche es mit Erſcheinungen aus andern Sphären verſchlungen iſt, ſich mit Anderweitigem vermiſcht, auf deſſen Erklärung die Wiſſenſchaft, wenn ſie es eben nur mit dieſer Sphäre zu thun hat, ſich jetzt nicht einlaſſen kann. Das Schöne, deſſen Begriff hier Aufgabe iſt, bietet zugleich als Kunſt das paſſendſte Beiſpiel. Daß irgend ein Kunſtwerk gerade in einem gewiſſen Jahre, unter gewiſſen räumlichen und andern Bedingungen entſtand, dies iſt, ſobald man die äußere Geſchichte des Volkes, das es hervorbrachte, bis auf ihre urſprünglichſten Grundlagen verfolgt, die politiſche Geſchichte ſammt ihren Hülfswiſſenſchaften hinzu- zieht und weiter erwägt, daß auch dieſe ſich bis auf letzte nothwendige und begriffsmäßige Grundlagen verfolgen laſſen, keineswegs etwas Zu- fälliges. Die Kunſtgeſchichte aber, wiewohl ſie mit allen concreten Be- dingungen des Volkslebens ſich lebendig durchdringen muß, kann dies doch ſo weit keineswegs verfolgen, noch weniger die Philoſophie der Kunſt- geſchichte als Theil der Aeſthetik; ſie läßt ſich daher nur auf diejenigen Kunſtwerke und ihre hiſtoriſchen Bedingungen ein, in welchen die letzteren ſo günſtig zuſammenwirkten, daß das reine Weſen der Kunſt bedeutungsvoll hervortrat, führt auch ſie nicht in hiſtoriſcher Weiſe auf, ſondern hebt nur das Allgemeine in ihnen hervor; alles Uebrige aber iſt für ſie ein Zufälliges, was ſie als blos Poſitives der Kunſtgeſchichte überläßt; auch dieſe aber trifft noch eine Auswahl und weist das Uebrige an das Geſchäft der bloßen Stoffſammlung, in welcher die Zufälligkeit das Herrſchende iſt und daher ein bloßes Aggregat zu Stande kommt. Uebrigens hat be- kanntlich die Bezeichnung: poſitiv noch eine andere Bedeutung; ſie be- zeichnet nicht blos das, was in das Wiſſen aufgenommen wird als ein Zufälliges, das einmal ſo und nicht anders iſt, ſondern auch das, was das Empfinden und Wollen der Völker durch Autorität beherrſcht, d. h. ohne ſich zu beweiſen. Die letztere Bedeutung des Worts gehört nicht hieher. Hettner (Gegen die ſpekulative Aeſthetik S. Wigand’s Vierteljahrsſchrift 1845. B. 4.). bekämpft die hier ausgeſprochene Anſicht über das Verhältniß der Aeſthetik und Kunſtgeſchichte. Er verlangt eine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0050"n="36"/><hirendition="#et">der Kunſtgeſchichte breitet ſich die Aeſthetik aus. Alles, was die Bedeutung<lb/>
des weſentlich Bezeichnenden nicht hat, bleibt als rein poſitiv der Kunſt-<lb/>
geſchichte aufbehalten. Ueber den Gegenſatz des Poſitiven und des<lb/>
Philoſophiſchen iſt hier nur ſo viel zu bemerken. Ganz ſtreng genommen<lb/>
gibt es allerdings gar nichts rein Poſitives; das ſogenannte Poſitive ent-<lb/>ſteht dadurch, daß, was in <hirendition="#g">ſeiner</hi> Sphäre aus Naturgeſetzen oder Geiſtes-<lb/>
geſetzen allerdings begreiflich wäre, in der Verwachſung von Bedingungen,<lb/>
in welche es mit Erſcheinungen aus <hirendition="#g">andern</hi> Sphären verſchlungen iſt,<lb/>ſich mit Anderweitigem vermiſcht, auf deſſen Erklärung die Wiſſenſchaft,<lb/>
wenn ſie es eben nur mit dieſer Sphäre zu thun hat, ſich <hirendition="#g">jetzt</hi> nicht<lb/>
einlaſſen kann. Das Schöne, deſſen Begriff hier Aufgabe iſt, bietet<lb/>
zugleich als Kunſt das paſſendſte Beiſpiel. Daß irgend ein Kunſtwerk<lb/>
gerade in einem gewiſſen Jahre, unter gewiſſen räumlichen und andern<lb/>
Bedingungen entſtand, dies iſt, ſobald man die äußere Geſchichte des<lb/>
Volkes, das es hervorbrachte, bis auf ihre urſprünglichſten Grundlagen<lb/>
verfolgt, die politiſche Geſchichte ſammt ihren Hülfswiſſenſchaften hinzu-<lb/>
zieht und weiter erwägt, daß auch dieſe ſich bis auf letzte nothwendige<lb/>
und begriffsmäßige Grundlagen verfolgen laſſen, keineswegs etwas Zu-<lb/>
fälliges. Die Kunſtgeſchichte aber, wiewohl ſie mit allen concreten Be-<lb/>
dingungen des Volkslebens ſich lebendig durchdringen muß, kann dies doch<lb/>ſo weit keineswegs verfolgen, noch weniger die Philoſophie der Kunſt-<lb/>
geſchichte als Theil der Aeſthetik; ſie läßt ſich daher nur auf diejenigen<lb/>
Kunſtwerke und ihre hiſtoriſchen Bedingungen ein, in welchen die letzteren<lb/>ſo günſtig zuſammenwirkten, daß das reine Weſen der Kunſt bedeutungsvoll<lb/>
hervortrat, führt auch ſie nicht in hiſtoriſcher Weiſe auf, ſondern hebt<lb/>
nur das Allgemeine in ihnen hervor; alles Uebrige aber iſt <hirendition="#g">für ſie</hi> ein<lb/>
Zufälliges, was ſie als blos Poſitives der Kunſtgeſchichte überläßt; auch<lb/>
dieſe aber trifft noch eine Auswahl und weist das Uebrige an das Geſchäft<lb/>
der bloßen Stoffſammlung, in welcher die Zufälligkeit das Herrſchende iſt<lb/>
und daher ein bloßes Aggregat zu Stande kommt. Uebrigens hat be-<lb/>
kanntlich die Bezeichnung: poſitiv noch eine andere Bedeutung; ſie be-<lb/>
zeichnet nicht blos das, was in das Wiſſen aufgenommen wird als ein<lb/>
Zufälliges, das einmal ſo und nicht anders iſt, ſondern auch das, was<lb/>
das Empfinden und Wollen der Völker durch Autorität beherrſcht, d. h.<lb/>
ohne ſich zu beweiſen. Die letztere Bedeutung des Worts gehört nicht<lb/>
hieher. <hirendition="#g">Hettner</hi> (Gegen die ſpekulative Aeſthetik S. <hirendition="#g">Wigand’s</hi><lb/>
Vierteljahrsſchrift 1845. B. 4.). bekämpft die hier ausgeſprochene Anſicht<lb/>
über das Verhältniß der Aeſthetik und Kunſtgeſchichte. Er verlangt eine<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[36/0050]
der Kunſtgeſchichte breitet ſich die Aeſthetik aus. Alles, was die Bedeutung
des weſentlich Bezeichnenden nicht hat, bleibt als rein poſitiv der Kunſt-
geſchichte aufbehalten. Ueber den Gegenſatz des Poſitiven und des
Philoſophiſchen iſt hier nur ſo viel zu bemerken. Ganz ſtreng genommen
gibt es allerdings gar nichts rein Poſitives; das ſogenannte Poſitive ent-
ſteht dadurch, daß, was in ſeiner Sphäre aus Naturgeſetzen oder Geiſtes-
geſetzen allerdings begreiflich wäre, in der Verwachſung von Bedingungen,
in welche es mit Erſcheinungen aus andern Sphären verſchlungen iſt,
ſich mit Anderweitigem vermiſcht, auf deſſen Erklärung die Wiſſenſchaft,
wenn ſie es eben nur mit dieſer Sphäre zu thun hat, ſich jetzt nicht
einlaſſen kann. Das Schöne, deſſen Begriff hier Aufgabe iſt, bietet
zugleich als Kunſt das paſſendſte Beiſpiel. Daß irgend ein Kunſtwerk
gerade in einem gewiſſen Jahre, unter gewiſſen räumlichen und andern
Bedingungen entſtand, dies iſt, ſobald man die äußere Geſchichte des
Volkes, das es hervorbrachte, bis auf ihre urſprünglichſten Grundlagen
verfolgt, die politiſche Geſchichte ſammt ihren Hülfswiſſenſchaften hinzu-
zieht und weiter erwägt, daß auch dieſe ſich bis auf letzte nothwendige
und begriffsmäßige Grundlagen verfolgen laſſen, keineswegs etwas Zu-
fälliges. Die Kunſtgeſchichte aber, wiewohl ſie mit allen concreten Be-
dingungen des Volkslebens ſich lebendig durchdringen muß, kann dies doch
ſo weit keineswegs verfolgen, noch weniger die Philoſophie der Kunſt-
geſchichte als Theil der Aeſthetik; ſie läßt ſich daher nur auf diejenigen
Kunſtwerke und ihre hiſtoriſchen Bedingungen ein, in welchen die letzteren
ſo günſtig zuſammenwirkten, daß das reine Weſen der Kunſt bedeutungsvoll
hervortrat, führt auch ſie nicht in hiſtoriſcher Weiſe auf, ſondern hebt
nur das Allgemeine in ihnen hervor; alles Uebrige aber iſt für ſie ein
Zufälliges, was ſie als blos Poſitives der Kunſtgeſchichte überläßt; auch
dieſe aber trifft noch eine Auswahl und weist das Uebrige an das Geſchäft
der bloßen Stoffſammlung, in welcher die Zufälligkeit das Herrſchende iſt
und daher ein bloßes Aggregat zu Stande kommt. Uebrigens hat be-
kanntlich die Bezeichnung: poſitiv noch eine andere Bedeutung; ſie be-
zeichnet nicht blos das, was in das Wiſſen aufgenommen wird als ein
Zufälliges, das einmal ſo und nicht anders iſt, ſondern auch das, was
das Empfinden und Wollen der Völker durch Autorität beherrſcht, d. h.
ohne ſich zu beweiſen. Die letztere Bedeutung des Worts gehört nicht
hieher. Hettner (Gegen die ſpekulative Aeſthetik S. Wigand’s
Vierteljahrsſchrift 1845. B. 4.). bekämpft die hier ausgeſprochene Anſicht
über das Verhältniß der Aeſthetik und Kunſtgeſchichte. Er verlangt eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/50>, abgerufen am 29.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.